Dmitry Medwedew durfte vier Jahre lang Wladimir Putin als russischen Präsidenten vertreten und gilt nach wie vor als einflussreicher Mann im Umfeld des Kremls. Kürzlich erklärte er: «Wir werden Nahrung und landwirtschaftliche Produkte künftig nur noch an unsere Freunde liefern.» Putin selbst droht derweil mit einem Export-Stopp von Dünger. Ein Mangel an Düngemittel sei «unausweichlich», erklärte er, und man werde die Exporte in «uns feindlich gesinnte Länder» sorgfältig prüfen.
Dass Russland Hunger als Waffe einsetzt, ist nichts Neues. Weil sich die Bauern nicht für seine Kolchosen-Pläne begeistern mochten, liess Josef Stalin in den Dreissigerjahren gegen fünf Millionen Menschen in der Ukraine verhungern. Russland hat auch die Möglichkeit, mit der Hunger-Waffe zu drohen. Letztes Jahr hat es zusammen mit der Ukraine 28 Prozent des gesamten Getreideexports der Welt bestritten.
Wie mit der Drohung, Atomwaffen einzusetzen, geht es Putin vor allem darum, rund um den Globus Angst und Schrecken zu verbreiten. Hunger ist dabei eine sehr potente Waffe, denn hungrige Menschen sind zu fast allem bereit, auch zu gewalttätigen Aufständen oder gar zu einer Revolution.
Klimaleugner und Vertreter der industriellen Landwirtschaft haben Putins Steilpass bereits dankend angenommen. Im «Wall Street Journal» warnt der bekannte Klimaleugner Bjørn Lomborg vor einer drohenden Lebensmittel-Verknappung und holt zu einem Angriff auf die Bio-Landwirtschaft aus. Sie sei «ineffektiv, landhungrig und sehr teuer» so Lomborg, und sie würde «Milliarden von Menschen hungern lassen, sollte sie sich weltweit durchsetzen».
Der Krieg in der Ukraine ist für Lomborg daher ein Mahnmal für einen Paradigmenwechsel. «Es ist Zeit, dass wir unsere selbstgefällige Obsession mit Bio aufgeben und uns auf effektive und wissenschaftliche Methoden konzentrieren, die den Planet ernähren können», fordert er apodiktisch.
Auch Syngenta-Chef Erik Fyrwald nimmt Putins Vorlage auf. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» erklärte er plakativ: «Menschen in Afrika hungern, weil wir mehr Bio kaufen.» Aber nicht nur der Schwarze Kontinent ist bedroht. «Die Gefahr ist gross, dass wir in eine weltweite Ernährungskrise geraten», so Fyrwald weiter.
Wie weit sind diese Kassandra-Rufe berechtigt? Nur teilweise. In der «Washington Post» stellt die auf Nahrungsmittel spezialisierte Publizistin Annie Ciezadlo klar: «Es gibt eine Tendenz zu glauben, Leute würden verhungern, weil es zu wenig Nahrung gibt. In den letzten 60 Jahren ist dies jedoch niemals der Fall gewesen.»
Auch den durch Putins Krieg verursachten Mangel gilt es zu relativieren. Russland und die Ukraine mögen zwar Getreide-Exportweltmeister sein. «Zusammen machen sie jedoch nur 13 Prozent der gesamten Getreide-Produktion aus», so Ciezadlo. «Beim Weizen beträgt der Anteil der Ukraine bloss 3,7 Prozent. Dabei sind die weltweiten Reserven noch nicht berücksichtigt.»
Zuerst die Pandemie und nun Putins Krieg haben zudem die Getreidepreise explodieren lassen. Das schmerzt die Konsumenten, für die Bauern hingegen ist dies ein Anreiz, ihre Produktion zu erhöhen. Von Iowa bis Indien haben sie angepflanzt als gäbe es kein Morgen. Die Reis-Produktion befindet sich auf einem Allzeit-Hoch. Auch der Weizen-Anbau hat massiv zugelegt. Angie Setzer von der Landwirtschafts-Beratungsfirma Consus erklärt daher: «Wenn alle die Nerven behalten, sollte genug für alle vorhanden sein.»
Einmal mehr zeigt sich, dass Hunger primär ein Verteil-Problem ist. «Die wirkliche Gefahr ist kein globaler Getreidemangel» so Ciezadlo. «Es ist vielmehr eine von Furcht getriebene Panik, welche die Preise in die Höhe treibt und die wirklich Hungrigen von der Nahrung abschneidet.»
Es gibt somit tatsächlich Länder, in denen wegen Putins Krieg eine Hungerkatastrophe droht. Der Sudan beispielsweise importiert rund 80 Prozent seines Getreides aus Russland und der Ukraine. Gleichzeitig gibt es eine Hyperinflation, die dazu führt, dass sich die Menschen kein Brot mehr leisten können, selbst wenn das Getreide vorhanden ist.
Auch der Libanon importiert sein Getreide vorwiegend aus Russland und der Ukraine. Dort hat im August 2020 eine gewaltige Explosion im Hafen von Beirut die Silos zerstört, in denen die Getreidereserven gelagert waren. Die politische Lage ist instabil, um es milde auszudrücken. Sollten die Getreidelieferungen ausfallen, sind die Folgen nicht abzuschätzen.
In den reichen Ländern hingegen droht kein Getreidemangel. Doch die Menschen in diesen Ländern könnten viel dazu beitragen, eine Hungersnot bei den Armen zu verhindern, und zwar ganz einfach, indem sie vermehrt auf Fleisch verzichten. Rund 70 Prozent des Agrarlandes wird heute für die Viehzucht verwendet. In den USA wird zudem ein beträchtlicher Teil der Maisernte für Ethanol benutzt, einem Benzinersatz. Diese Verwendung des Maises war niemals besonders sinnvoll und ist heute noch fragwürdiger geworden.
Die Bio-Bauern als Sündenböcke für eine drohende Hungerkatastrophe dazustellen, ist somit billige Demagogie. Urs Niggli, der langjährige Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) erklärt ebenfalls in der NZZaS: «Ein Bioanteil von 20 bis 30 Prozent verschärft die weltweite Lebensmittelknappheit nicht.»
Niggli hält jedoch auch den Grabenkrieg zwischen industrieller und biologischer Landwirtschaft für überholt. Die Gentechnik hat grosse Fortschritte gemacht, und selbst Erik Fyrwald spricht mittlerweile von einer «regenerativen Landwirtschaft». «Man übernimmt von der Biolandwirtschaft die Fruchtfolge, damit die Böden gesund bleiben», so der Syngenta-Chef. «Gleichzeitig werden die Pestizide gezielt eingesetzt, damit die Äcker nicht gepflügt werden müssen und das CO₂ in der Erde bleibt.»
Bio-Landwirtschaft und moderne Technik müssen keine Gegensätze sein. Wenn wir uns zudem dazu durchringen können, deutlich weniger Fleisch zu essen, dann verliert Putins Hungerwaffe endgültig ihren Schrecken.
Sam1984
Linus Luchs
Triple A