Inmitten grosser Spannungen, Sorgen und kriegerischer Auseinandersetzungen im Nahen Osten startet am Dienstagabend in Den Haag der erste Nato-Gipfel seit dem Wiedereinzug von Donald Trump ins Weisse Haus. 32 Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten werden erwartet.
Das Wichtigste in 5 Punkten:
Die Vereinigten Staaten waren am Wochenende an der Seite Israels in den Krieg mit dem Iran eingetreten. Sie griffen mehrere Atomanlagen an, die dem Bau einer iranischen Atombombe dienen sollen. Irans Regierung verurteilte den Angriff als völkerrechtswidrig. Nach den Vergeltungsangriffen der Iraner dankte Trump für die Vorwarnung und nannte den Angriff eine «sehr schwache Antwort».
Neben den Kriegen in Nahost und der Ukraine sowie den Verteidigungsausgaben spielt auch die Geschlossenheit der Bündnispartner eine grosse Rolle. Die europäischen Nato-Mitglieder erhoffen sich von US-Präsident Trump auf dem Gipfel ein klares Zeichen der Geschlossenheit. Denn die Frage, ob sich die USA dem transatlantischen Bündnis noch bedingungslos verpflichtet fühlt, ist offen.
Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonten einen Tag vor dem Gipfel in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die «Financial Times» ihre Entschlossenheit, die Freiheit und Sicherheit in Europa zu verteidigen.
Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen stellt die BBC gar die Frage, ob der bevorstehende Nato-Gipfel der bedeutendste seit dem Ende des Kalten Krieges ist.
Auf der Agenda steht im Wesentlichen ein zentrales Traktandum: der offizielle Beschluss, die Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anzuheben.
Davon dürfen jedoch 1,5 Prozent für sicherheitsrelevante Infrastruktur verwendet werden. Für den enger gefassten militärischen Bereich – einschliesslich Rüstung sowie beispielsweise Personalkosten – sind demnach 3,5 Prozent vorgesehen. Zudem sollen Ausgaben für die Terrorismusbekämpfung und militärisch nutzbare Infrastruktur angerechnet werden können. Dabei geht es etwa um Investitionen in Bahnstrecken, panzertaugliche Brücken und erweiterte Häfen.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte nennt die Verpflichtung einen «Quantensprung» - ehrgeizig zwar, aber historisch und fundamental «für die Sicherung unserer Zukunft». Was sich nach einem Durchbruch anhört, ist allerdings nicht unumstritten.
Aus Spanien regte sich Widerstand: Ministerpräsident Pedro Sánchez stellte sich gegen die Pläne. Es folgten Einzelverhandlungen, anschliessend kursierten Berichte über eine Einigung. Am Sonntagabend trat Sánchez in Madrid vor die Fernsehkameras und erläuterte seine Sicht auf den gefundenen Kompromiss.
«Spanien wird nicht fünf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben», so der spanische Ministerpräsident. Das klang deutlich anders als die Worte des Nato-Generalsekretärs. Diplomaten bemühen sich seitdem, das Problem tiefer zu hängen - Sánchez stehe innenpolitisch unter Druck, so heisst es, aber es werde keine Ausnahmen für Spanien geben.
Der prominenteste Befürworter des Fünf-Prozent-Ziels für Verteidigungsausgaben ist Donald Trump. Anfang des Jahres erhob er jene Forderung. Nach seiner Auffassung sollen jedoch die USA selbst von dieser Verpflichtung ausgenommen sein.
Andererseits hätten die europäischen Staats- und Regierungschefs in Bezug auf die Selbstverteidigung schon längst besser vorbereitet sein müssen, sagt Trump.
Nachdem US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bei seinem ersten Nato-Auftritt das transatlantische Verhältnis grundsätzlich infrage gestellt hatte, wuchs die Sorge, Trump könnte den Gipfel für weitreichendere Ankündigungen nutzen – zumal er bereits 2018 einen Austritt der USA aus dem Bündnis in Aussicht gestellt hatte.
Trotz Trumps als unberechenbar geltendem Verhalten halten diplomatische Kreise ein solches Szenario derzeit für wenig wahrscheinlich. Vielmehr wird erwartet, dass der US-Präsident in Den Haag als treibende Kraft hinter dem neuen Ausgabenziel auftritt. Aus seiner Sicht ist es vor allem seinem Druck zu verdanken, dass die Nato-Staaten eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben anstreben. Ein tatsächlicher Austritt der USA würde aus realpolitischer Sicht ohnehin vor allem deren eigene strategische Position schwächen.
Wenn die europäischen Nato-Partner und Kanada das Fünf-Prozent-Ausgabenziel akzeptieren, könnte Trump auf dem Gipfel einen Triumph einfahren. Damit würden die Chancen steigen, dass Trump dem Bündnis wieder positiver gegenübersteht, so die Einschätzung von SRF-Korrespondent Fredy Gsteiger. Trotzdem rechnet man in der Nato nun mit zwei «Hochrisikotagen».
Die Ukraine hat am Nato-Gipfel im Vergleich zu den vorangegangenen wahrscheinlich das Nachsehen: Laut SRF-Korrespondent Fredy Gsteiger dürften weder neue Waffenlieferungen noch finanzielle Zusagen beschlossen werden. Unklar sei ausserdem, ob die Trump-Regierung den Nato-Beschluss vom vorigen Jahr bekräftigen mag, der Kiew zumindest grundsätzlich die Perspektive einräumt, Nato-Mitglied zu werden.
Doch Merz und Macron betonen in ihrem Gastbeitrag: Die grösste Bedrohung für Europas Stabilität gehe von Russland aus, das danach strebe, europäische Länder zu destabilisieren und die Weltordnung infrage zu stellen.
Über die russische Bedrohung und die Unterstützung der Ukraine hinaus, gehe es um die Abwehr von Terrorismus und die Verteidigung von Staatsgebiet, Bevölkerung sowie eigenen Interessen weltweit. «Wir werden uns diesen Herausforderungen stellen müssen. Nicht weil uns jemand darum bittet, sondern weil wir klarsichtig sind und es unseren Bürgern schuldig sind, dies zu tun.»
Offiziell beginnt der Nato-Gipfel am Abend (19.00 Uhr) mit einem Gala-Dinner der Staats- und Regierungschefs zusammen mit ihren Partnerinnen und Partnern im Schloss des niederländischen Königs Willem-Alexander. Im «Huis ten Bosch» in Den Haag werden unter anderem Trump mit seiner Frau Melania und Merz mit seiner Gattin Charlotte erwartet. Auf der Gästeliste stehen auch Staats- und Regierungschefs aus Partnerstaaten, darunter der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Angesichts des Bedrohungspotenzials durch die aktuellen Kriege will die niederländische Regierung den Nato-Gipfel mit der nach ihren Angaben grössten Sicherheitsoperation der Geschichte des Landes schützen. Bei der Operation «Orange Shield» sind rund 27'000 Polizisten im Einsatz, etwa die Hälfte aller Polizeibeamten des Landes. Dazu kommen mehr als 10'000 Soldaten.
(les mit Material der sda/dpa)