30 Jahre ist es her, seit der europäische Binnenmarkt vollendet wurde. Das war lange eine Erfolgsstory: Der Abbau von gegenseitigen Handelshürden hat Europa Wachstum beschert.
Doch die Welt hat sich verändert. Im geopolitischen Wettbewerb zwischen China und den USA droht der alte Kontinent aufgerieben zu werden. Die beiden Grossmächte subventionieren ihre Unternehmen massiv, vor allem bei grünen Zukunftstechnologien wie E-Autos oder in der Solar- und Digitalindustrie. Europa wird abgehängt. Das Wachstum findet andernorts statt.
Jetzt versucht die EU das Steuer herumzureissen. Der frühere italienische Premierminister Enrico Letta hat im Auftrag der EU-Staats- und Regierungschefs einen detaillierten Massnahmenkatalog ausgearbeitet, wie die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden soll. Das ist sein Plan:
Die grüne und digitale Doppeltransformation verschlingt Unsummen. Allein der «Green Deal», die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft, dürfte laut Letta jährlich rund 620 Milliarden Euro kosten. Nur: In Europa sind die Staatskassen leer. Mehrere Länder sind schwer überschuldet.
Eigentlich aber wäre noch massenhaft Geld vorhanden. Genauer: 33 Billionen Euro. So viel beträgt der Wert des Privatkapitals in Europa, ein Drittel davon brachliegend als Ersparnisse auf den Banken.
Die EU will deshalb die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Bürgerinnen und Bürger ihr Geld nicht rumliegen lassen, sondern in die hiesige Wirtschaft investieren. In den USA, wo es einen einzigen und nicht wie in Europa 27 verzettelte Kapitalmärkte gibt, sind die Bedingungen dafür viel attraktiver. US-Start-ups kommen so viel leichter an Geld.
Die Ziel der EU ist es, ebenfalls einen einheitlichen Kapitalmarkt zu schaffen. Bestrebungen dazu gibt es seit 2015. Sie scheiterten bislang aber am nationalen Klein-Klein. Die Unterentwicklung der Kapitalmarktunion sei die Hauptursache, weshalb es Europa an Wachstumsdynamik fehle, so der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag in Brüssel.
Das Problem: Dazu müssten Regeln in sensiblen Bereichen harmonisiert werden. Etwa bei der Finanzmarktaufsicht, der Unternehmensbesteuerung oder dem Insolvenzrecht. Gerade kleinere Mitgliedstaaten wie Luxemburg oder Irland, die grosse Finanzzentren mit lockeren Regeln haben, weigern sich jedoch, in diesem Bereich Kompetenzen abzugeben.
Eigentlich ist Industriepolitik etwas, was die EU spätestens seit den 1990er Jahren abgeschafft hat. Staatsbeihilfen sind im Grundsatz verboten. Vielmehr lautet die Regel: Der Markt soll es richten.
Nur: Im Wettbewerb mit China und den USA zieht die EU mit diesem Ansatz den Kürzeren. Jetzt schwebt Enrico Letta vor, dass die EU ähnliche Massnahmen wie die USA ergreift, die Unternehmen im Rahmen ihres «Inflation Reduction Act» mit milliardenschweren Steuererleichterungen anlocken. Das Regime der Staatsbeihilfen soll angepasst werden. Weniger auf nationaler, dafür mehr auf europäischer Ebene.
Zentral ist auch, robuste Wertschöpfungsketten aufzubauen, um von anderen Ländern wie China unabhängiger zu werden - eine Lektion, die Europa aus der Corona-Krise gelernt hat. Bislang war es vor allem Frankreich, das immer auf eine aktive Industriepolitik gepocht hat. Nun setzt sich auch bei andern die Erkenntnis durch, dass Europa der Wirtschaft bewusstere Impulse geben muss.
Stark umstritten bleiben derweil neue gemeinsame EU-Schulden. Letta vermeidet das kontroverse Thema, schreibt aber: «Langfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, die politischen Divergenzen über eine gemeinsame EU-Finanzierung anzugehen».
Als der Binnenmarkt gegründet wurde, wurden die Bereiche Energie und Telekommunikation bewusst aussen vor gelassen. Diese wurden als strategische Sektoren der nationalen Souveränität betrachtet. Mit dem Internet und dem Zusammenwachsen der Energieversorgung hat sich das geändert. Heute sind die im Vergleich zu den USA hohen Energiepreise und der stockende Ausbau von Kommunikationsinfrastrukturen wie 5G und 6G eine Folge der Kleinteiligkeit des europäischen Markts.
Mehr Integration in diesem Bereich führe laut Letta zu Skaleneffekten und könne «europäische Champions» hervorbringen. Das steht freilich in Kontrast zum bisherigem EU-Ansatz, für möglichst viel Wettbewerb zu sorgen. Letta plädiert hier für einen Perspektivenwechsel: Heute sei der Markt global. Die Konkurrenz sitze vermehrt in China und den USA. Deshalb müsse die EU zusammenrücken.
Gerade beim Kernstück von Lettas «Revitalisierungs-Plan», die Vollendung der Kapitalmarktunion, gibt es grosse Widerstände. Der Italiener gibt denn auch zu, die grösste Gefahr sei, dass sein Bericht wie vorherige Vorschläge zur Reform des Binnenmarkts «in der Schublade» verschwindet.
Auf der anderen Seite gebe es heute ein politisches Momentum. Viele hätten erkannt: Weitermachen wie bisher ist keine Option. Nach der Corona-Krise und Russlands Angriff auf die Ukraine könnte es die Rückkehr von Donald Trump ins US-Präsidentenamt sein, was Europa zum Handeln zwingen könnte, auch wenn er der EU keine «Katastrophe» als Augenöffner wünsche, so der Italiener. (aargauerzeitung.ch)
- USA innovates
- China replicates
- EU regulates
Durch Regulierung wird man keine Weltmacht.
Ersteres ist seit Jahrzehnten der Fall und hatte den Wandel zur DL-Gesellschaft zur Folge.
Deswegen ist die markante Verschlechterung unseres Bildungswesens die eigentliche Katastrophe.