Der Hinweis auf Übersättigung macht die beiden staubig. Der Hinweis kommt vom Europäer. Die anderen sind Journalisten in Kuba, Gründer der ersten regimekritischen Internetzeitung des Landes. «Bei uns geigt jeder frei seine Meinung», doziert der Europäer, «wann er will, wo er will – im Netz, also überall. Und keiner kräht danach. Ihr hingegen bloggt einen Satz, und gleich wird der Staat nervös. Famos! Ihr findet Beachtung weit über euer Land hinaus.» Ist das so kreuzfalsch? Hat der Mann etwa nicht recht?
Nein. Der Ärger der beiden Blogger ist berechtigt. Sie heissen Yoani Sánchez und Reinaldo Escobar (ihr Mann). Yoani ist mittlerweile weltberühmt. Sie hatte im Internet illegal eine Art Tagebuch zu schreiben begonnen. Sie schilderte einfach das, was einer jungen Mutter mit wachem Geist in Havanna widerfährt – und widerstrebt. Yoani war mutig genug, das nach eigener Fasson elegant und stilsicher zu formulieren. Es genügte, um von Staats wegen mit altem Starrsinn darauf zu reagieren. Die Bloggerin wurde als «Söldnerin» im Dienst des Feindes hingestellt. Erst nachdem das Regime die Reisebeschränkungen gelockert hatte, nahm auch die Bewegungsfreiheit der beiden stark zu.
Aber zurück zum Thema: Soll man Kubaner gönnerhaft belehren, wie sie mit Freiheit umzugehen haben? Mit Medienüberreizung? Westlichem Konsum? Die Frage stellt sich vor allem jetzt, da zwischen Kuba und den USA Tauwetter einsetzt. Womit ein Ende der unseligen Wirtschafts-Blockade näher rückt.
Was in der Folge die Sorge nährt, das «konsum-naive» Kuba werde von einem Trash-Schwall erfasst und untergehen. In einer Entwertungswoge aus Starbucks-Kaffee, Castings im Privat-TV und McDonald’s-Happy-Meals. In den düstersten Farben wird das an die Wand gemalt, gipfelnd im mahnenden Satz: «Tut um Gotteswillen alles, um kein zweites Miami zu werden!»
In anderen Worten: Es sind die neuen Möglichkeiten, die Kubaner fiebrig machen, egal ob vermeintliche Möglichkeiten oder nicht. Was gut sei und was schlecht, wurde ihnen lang genug vorgekaut. Wenn in der «Nordwestschweiz» gestern ein Kubaner zitiert wird mit den fröhlich besinnungslosen Worten: «Wir wollen mehr Internet, mehr Smartphones, mehr geile Klamotten!», dann schüttelt der fromme Revolutionspilger natürlich gramvoll den Kopf. Und die Esel von der Warenbörse glauben wieder mal, sie hätten gesiegt.
In Zürich und Basel, in Suhr und Sursee prallt der Bekümmerte mit jedem Schritt an einen McDonald’s. Aber vom Kubaner erwartet er jetzt, am Scheideweg zwischen Fidels Jurassic Park und Uncle Sam’s Shopping-Gotham, mehr politische Reife und Kultur. Mehr Unschuld, mehr Utopie. Wie Griechenland in den letzten Tagen, muss Kuba fast im Alleingang solche Hoffnungen tragen. Gefragt, ob sie das wollen, wurden Kubaner auf faire Weise bis heute nicht.