Nachdem Präsident Xi Jinping endlich nachgab und die harschen Covid-Lockdown-Vorschriften aufgehoben wurden, schien eine rasche Erholung der chinesischen Wirtschaft bloss eine Frage der Zeit zu sein. Schliesslich hatte das Land in den letzten Jahrzehnten das grösste Wirtschaftswunder in der menschlichen Geschichte vollbracht. Eine neue Mittelschicht war entstanden. Was konnte da schiefgehen?
Eine ganze Menge. Westliche Unternehmen, die sich vom neuen chinesischen Mittelstand glänzende Geschäfte versprachen, machen derzeit lange Gesichter. Deutsche Autobauer und französische Luxushersteller klagen über massive Einbrüche im Land der Mitte. So liegen die Verkäufe von VW und Porsche rund 30 Prozent unter Vorjahr. Bei L’Oréal sind es bloss zwei bis drei Prozent, doch gerechnet hatte man mit einem satten Plus.
Eine Besserung ist nicht in Sicht. Oliver Blume, CEO von Porsche und VW, erklärt gegenüber der «Financial Times»: «Es gibt in China derzeit kein Segment für Elektroautos im Luxussegment.» L’Oréal-CEO Nicolas Hieronimus ergänzt: «Der einzige Ort auf der Welt, in dem das Vertrauen der Konsumenten auf dem Tiefpunkt verharrt, ist China. Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor angeschlagen, und viele Chinesen haben mit Immobilien viel Geld verloren.»
Die Immobilienkrise werde frühestens 2026 ausgestanden sein, erklärt derweil Haibin Zhu, Chefökonom von J.P Morgan, einer Bank, im «Wall Street Journal». Aktuell bleibt die Situation dramatisch. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Immobilienpreise im Juli um rund ein Viertel eingebrochen.
Sorgen plagen auch die People’s Bank of China. Sie kämpft verzweifelt dagegen an, dass die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen nicht noch weiter fällt. Derzeit liegt sie knapp über zwei Prozent. Das deutet darauf hin, dass sich in China eine gefährliche Depressions-Spirale zu drehen beginnen könnte, eine Gefahr, die fast noch schlimmer ist als eine Inflation.
Warum gelingt es der chinesischen Wirtschaft nicht, wieder in Schwung zu kommen? Eine Antwort darauf liefert Zongyuan Zoe Liu in «Foreign Affairs». Liu ist Maurice R. Greenberg Fellow for China Studies on Foreign Relations.
Um die Ursache der Krise zu verstehen, braucht es kein Doktorat in Ökonomie. «Einfach ausgedrückt, in vielen zentralen Wirtschaftssektoren produziert China weit mehr, als der einheimische und die ausländischen Märkte absorbieren können», stellt Liu fest. «Deshalb besteht die Gefahr, dass die chinesische Wirtschaft in einen Teufelskreis von fallenden Preisen, Insolvenz, Betriebsschliessungen und dem Verlust von Arbeitsplätzen gerät.»
Der Grund des Übels liegt darin, dass die Kommunistische Partei Chinas traditionell die Industrieproduktion fördert und den privaten Konsum vernachlässigt. Liu spricht von einer «langen Tradition von wirtschaftlicher Planung, die enorm viel Wert auf die Industrieproduktion legt und die Konsumentenbedürfnisse ignoriert».
Obwohl Ökonomen immer und immer wieder auf diesen Missstand hinweisen, scheint er nicht auszurotten zu sein. So werden im Fünfjahresplan 2021–25 über viele Seiten detailliert die Ziele für die industrielle Produktion aufgeführt. Der private Konsum wird hingegen in einem einzigen Paragrafen abgehandelt.
Typisches Beispiel für diese Entwicklung ist die Produktion von Solarpanels. China ist hier nicht nur unbestrittener Weltmarktführer. Mehr noch: Derzeit werden doppelt so viele Panels hergestellt, wie die Märkte im In- und Ausland absorbieren können. Das Gleiche gilt für einfache Industrieroboter. Auch auf diesem Gebiet hat China Japan längst überholt. «All dies hat die chinesische Roboter-Technologie kaum vorangebracht», so Liu. «(...) Heute hat China riesige Überkapazitäten bei billigen Industrierobotern. Doch es fehlen die Kapazitäten, um im Hochpreis-Segment mithalten zu können.»
Diese Überproduktion hat Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Liu fasst sie wie folgt zusammen: «Die Überproduktion drückt die Preise generell und führt dazu, dass die Inflation gegen null tendiert und die Bedienung der Schulden des privaten Sektors auf eine Rekordhöhe steigt. Das wiederum untergräbt das Vertrauen der Konsumenten, schwächt den Binnenmarkt und erhöht das Risiko, dass China in eine Deflations-Falle gerät.»
Die Überproduktion ist auch die Ursache für die massive Verschuldung der Provinzen. Lokale Behörden werden von Peking belohnt, wenn sie die Industrieproduktion fördern. Sie tun dies, indem sie massiv Schulden machen. Auch das endet in einem Teufelskreis: «Zwangsläufig hat all dies nicht nur zu Überproduktion, sondern auch zu einem riesigen Schuldenberg der lokalen Regierungen geführt», so Liu. «Gemäss Untersuchungen des ‹Wall Street Journals› beträgt die Verschuldung der lokalen Behörden mittlerweile zwischen sieben und acht Billionen Dollar.»
Export hat das chinesische Wirtschaftswunder einst möglich gemacht. Die aktuellen Probleme wird China jedoch nicht mit Exporten lösen können. Schon in der Amtszeit von Donald Trump haben die USA Strafzölle gegen chinesische Importe verhängt. Die Biden-Regierung hat diese nicht nur nicht aufgehoben, sondern zusätzlich Massnahmen ergriffen, um die einheimische Industrie zu fördern. Auch die EU rüstet sich, um der chinesischen Importflut Herr zu werden. So soll beispielsweise auf chinesische Elektroautos ein Strafzoll von 50 Prozent verhängt werden.
Eigentlich wäre es im Interesse des Westens und Chinas, die Handelsbeziehungen wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Angesichts der geopolitischen Spannungen tendieren die Chancen für eine solche Entwicklung jedoch gegen null. Liu zieht daher ein ernüchterndes Fazit:
Ich persönlich boykottiere Und vermeide China so gut es geht und so oft es geht.
Eine schwache Wirtschaft in China ist für mich ein seht gutes Zeichen, dass dieses Regime gestürzt werden muss, und kann.