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«Für Deutschland kommt es knüppeldick» – Flaute und Haushaltsurteil

«Für Deutschland kommt es knüppeldick» – Flaute und Haushaltsurteil

24.11.2023, 13:43
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Die Menschen in Deutschland treten wegen der höheren Inflation beim Konsum auf die Bremse. Die schwächelnde Weltkonjunktur belastet den Export. Die Konjunkturaussichten sind nach einem schwachen Sommer mau.

Die deutsche Wirtschaft findet nicht aus der Flaute heraus. Für zusätzliche Unsicherheit sorgt das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Im dritten Quartal bremsten die Konsumzurückhaltung der Verbraucher und die Schwäche der Weltkonjunktur Europas grösste Volkswirtschaft aus.

German Chancellor Olaf Scholz attends a joint statement with Vice Chancellor and Economy and Climate Minister Robert Habeck and Finance Minister Christian Lindner at the chancellery in Berlin, Germany ...
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kämpft mit einer Wirtschaftsflaute. Bild: keystone

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank gegenüber dem Vorquartal preis-, saison- und kalenderbereinigt um 0.1 Prozent. Das Statistische Bundesamt bestätigte am Freitag eine erste Schätzung. Volkswirte und die Bundesregierung rechnen auch im Gesamtjahr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Konjunkturmassnahmen gefordert

«Für Deutschland kommt es gerade knüppeldick», sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Von staatlicher Seite wären dringend Impulse notwendig.

«Doch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnten Sparmassnahmen der Regierung zu einer zusätzlichen Wachstumsdämpfung führen.»

Nach Einschätzung von ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hat das Urteil zwei neue Risikofaktoren für die deutsche Wirtschaft aufgedeckt: Haushaltssparmassnahmen und politische Unsicherheit. Zusammen mit anderen Faktoren wie gestiegenen Zinsen sei ein baldiges Ende der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland kaum vorstellbar.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro an Corona-Krediten für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft kassiert hatte, laufen in Berlin Sparbemühungen.

Immerhin verbesserte sich die Stimmung der Unternehmen im November. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg den dritten Monat in Folge. «Die deutsche Wirtschaft stabilisiert sich auf niedrigem Niveau», sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Verbraucher treten bei Konsum auf die Bremse

Die weiterhin hohe Inflation belastete Verbraucherinnen und Verbraucher auch im Sommer. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Viele Menschen schränken ihre Konsumausgaben ein. Im Zeitraum Juli bis Ende September sank der Privatkonsum, der eine wesentliche Stütze der deutschen Konjunktur ist, gegenüber dem Vorquartal um 0.3 Prozent.

Die Jahresteuerungsrate lag im Oktober bei 3.8 Prozent nach 4.5 Prozent im September und 6.1 Prozent im August. Nahrungsmittel verteuerten sich auch im Oktober überdurchschnittlich stark.

Exporte schwächeln

Zudem bekommt die deutsche Exportwirtschaft die Schwäche der Weltwirtschaft zu spüren. Der Export fiel als Wachstumsmotor im Sommer aus. Es wurden insgesamt 0.8 Prozent weniger Waren und Dienstleistungen exportiert als im zweiten Quartal.

Der Gegenwind kommt auch von den gestiegenen Zinsen. Diese drücken die Nachfrage unter anderem nach Bauleistungen. Die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe lagen in den ersten neun Monaten bereinigt um Preiserhöhungen (real) um 5.6 Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums.

Positive Impulse für die Konjunktur kamen den Angaben zufolge im dritten Quartal von den Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen (plus 1.1 Prozent), zum Beispiel in Fahrzeuge und Maschinen.

«Nach der schwachen Entwicklung in der ersten Jahreshälfte ist die deutsche Wirtschaft mit einem leichten Rückgang in das zweite Halbjahr 2023 gestartet», erläuterte Ruth Brand, Präsidentin des Statistikamtes. Im ersten Quartal stagnierte die Wirtschaftsleistung, im zweiten Vierteljahr gab es ein Miniwachstum von 0.1 Prozent.

Deutschland findet nur mühsam aus Schwächephase

Nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank wird sich die deutsche Wirtschaft nur mühsam aus ihrer Schwächephase befreien, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine andauert. Volkswirte und die Bundesregierung rechnen damit, dass die Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr 2023 um 0.4 bis 0.6 Prozent schrumpfen wird, bevor es 2024 wieder aufwärts gehen soll.

«Steigende Reallöhne bei gut stabiler Beschäftigung lassen die Lohnsumme auch in realer Rechnung 2024 spürbar steigen und bescheren den Privathaushalten einen Zuwachs an Kaufkraft, den sie für den Konsum verwenden können», erwartet KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Im kommenden Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft zu einem moderaten Wachstum von 0.6 Prozent zurückkehren.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erwartet allerdings auch 2024 keine allzu grossen Sprünge. Zwar erholten sich die privaten Konsumausgaben und die durchschnittliche Inflationsrate wird nach Einschätzung der «Wirtschaftsweisen» auf 2.6 Prozent sinken.

Jedoch komme die Weltwirtschaft – besonders in China – nur schleppend in Schwung. Das belaste die exportorientierte deutsche Wirtschaft. (saw/sda/awp/dpa)

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