Als im vergangenen November der gross angekündigte Börsengang der Ant Group, einem vielschichtigen Finanzunternehmen, kurzfristig abgesagt wurde, war die Reaktion eine Mischung aus Überraschung und Verständnis. Überraschung, weil niemand damit gerechnet hatte, dass die KPC eines ihrer besten Tech-Pferde im Stall mutwillig kastrieren würde. Verständnis, weil es einsichtig ist, dass China kein Schattenbanksystem zulassen kann, das die Geldpolitik der Bank of China unterläuft.
Doch nun hat Peking wieder zugeschlagen. Nicht nur Ant, auch Alipay wird nun zurückgebunden. Alipay ist eine Tochter von Ant und wird von Jack Ma beherrscht, der chinesischen Antwort auf Jeff Bezos. Um seine Stellung zu schwächen, soll Alipay nun aufgespalten werden. Das hochprofitable Kleinkreditgeschäft wird vom Zahlungssystem getrennt.
Nicht nur Ant und Alipay müssen Federn lassen. Auch Tencent, das von Pony Ma beherrschte Konkurrenz-Unternehmen, ist vom neuen Kurs der KPC betroffen. Diese hat nämlich beschlossen, die Zeit, die Jugendliche für das Gamen aufbringen dürfen, auf drei Stunden pro Woche zu beschränken. Tencent ist ein führender Anbieter von Video-Games.
Peking nimmt dabei kurzfristige Verluste in Kauf, sei es Wertverluste der IT-Giganten an der Börse oder der Verlust von Spitzenathleten bei den immer populärer werdenden Game-Turnieren. China kann derzeit mehrere Champions vorweisen, doch ein Spitzen-Gamer muss 60 und mehr Stunden pro Wochen trainieren.
Präsident Xi Jinping orientiert sich an Wladimir Lenin und dessen Doktrin, dass die Partei die Avantgarde ist, welche das Volk führt. Wer dies im digitalen Zeitalter erfolgreich tun will, der muss die Kontrolle über die Daten haben. Deshalb erklärt He Aoxuan, ein führender IT-Professor an der Beihang University in Peking, gegenüber der «Financial Times»:
Der Aufbau dieser digitalen Souveränität wird rigoros verfolgt. Auch ausländische Unternehmen müssen sich diesem Diktat unterwerfen. Deshalb musste Elon Musk versprechen, dass die mit Tesla gesammelten Daten China nicht verlassen dürfen. Apple musste derweil in der Provinz Guizhou ein Datencenter eröffnen und zusagen, dass alle Daten aus China dort verarbeitet werden. Microsoft betreibt gar vier Datenzentren in China.
In Russland hat Wladimir Putin seinerzeit ihm missliebige Oligarchen durch solche ersetzt, die sich ihm unterwarfen. Die KPC verfolgt ein anderes Ziel. Dimitar Guerguiev, Professor an der Syracuse University und Autor eines neuen Buches über Leninismus, sagt dazu in der «Financial Times»:
Der KPC gelingt es auf diese Weise, nicht nur die Kontrolle, sondern auch das Wohlbefinden der Menschen zu steigern. Obwohl es nirgends auf der Welt so viele Überwachungskameras gibt – es sind geschätzte 415 Millionen –, und obwohl die bei uns verbotene Gesichtserkennungs-Software längst eingesetzt wird, hält sich der Protest der Chinesen in Grenzen, denn es ist gelungen, eines der lästigsten Probleme, die grassierende Korruption, einzudämmen.
Die Kontrolle über die Daten erlaubt auch den Aufbau sogenannter «smart cities», Städte, in der die digitale Technik den Verkehr, den Energieverbrauch und alle anderen Dienstleistungen kontrolliert. Vorbild ist dabei Shenzhen, das als «grünste» Stadt der Welt gilt. Derzeit werden in China gegen 800 neue intelligente Städte gebaut.
Die KPC will nicht nur die Daten, sondern auch die populäre Kultur in den Griff bekommen. Deshalb geht sie gegen Popstars vor. Im Visier sind dabei die auch in China beliebten koreanischen Boygroups. Weibo, eine der grössten Internet-Plattformen in China, schloss 22 von K-Pop-Fans betriebene Seiten wegen des «unvernünftigen, Star-verherrlichenden Verhaltens». Angeprangert wird auch das «weibische» Verhalten dieser Popstars.
Das harte Vorgehen hat die chinesische Kulturszene aufgeschreckt. Manche befürchten gar eine zweite Kulturrevolution, wie sie Mao in den 1960-er Jahren äusserst brutal durchgezogen hatte. Diese Angst wird bestärkt durch ein Essay, welches kürzlich in der Zeitung «People's Daily» erschienen ist, dem englischsprachigen Parteiorgan der KPC.
Das Essay wurde von einem gewissen Li Guangman verfasst, einem pensionierten Redaktor. Er attackiert darin die schicken Medienstars und die IT-Milliardäre. Li spricht von einer neuen «tiefgreifenden Revolution» und einer Wiedergeburt des Sozialismus. «Diese Transformation wird alles hinwegfegen», so Li. «Die Kapitalmärkte werden nicht mehr ein Paradies sein, wo Kapitalisten über Nacht ein Vermögen verdienen können. Und der Marktplatz der Kultur wird nicht mehr länger ein Paradies für Weichei-Stars sein.»
Dieses Essay sorgt für Verunsicherung, weil nicht genau ersichtlich ist, wie viel Unterstützung der an sich unbedeutende Li von der Parteispitze erhält. Jude Blanchette vom Thinktank CSIS in Washington erklärt dazu in der «New York Times»: «Die Angst rührt daher, dass niemand weiss, wohin dies noch alles führen wird.»
Vieles ist noch ungewiss auf dem Weg Chinas in einen digitalen Leninismus. Eines ist jedoch sicher: Eine Rückkehr zu einem Steinzeit-Kommunismus à la Mao kann ausgeschlossen werden. Xi will die IT-Giganten unter Kontrolle haben und ausmerzen, was er für dekadente Auswüchse der Pop-Kultur hält. Auf keinen Fall will Xi die technische Entwicklung abwürgen.
Deshalb erklärt Kendar Schaefer von der Beratungsfirma Trivium in Peking in der «Financial Times»: «Die technische Innovation zu fördern, ist nach wie vor eine Top-Priorität für Peking.»