Die Internationale Raumstation ISS hat schwere Monate hinter sich. Immer wieder geriet die Weltraum-WG rund 400 Kilometer über der Erde in den vergangenen Monaten in unrühmliche Schlagzeilen. Dabei hat die Mannschaft um den deutschen Astronauten Alexander Gerst eigentlich Grund zum Feiern: Die ISS wird 20 Jahre alt. Möglicherweise erlebt sie aber gerade ihre letzte Lebensphase.
On Nov. 20 at 9:50 am CT, we're celebrating our 20th anniversary! Tune in as we ask YOUR questions to the crew in space! Reply with your question or film yourself asking it (landscape-style & in English), then upload to YouTube with #SpaceStation20th in the title by Nov. 16. pic.twitter.com/czMC9OBaCj
— Intl. Space Station (@Space_Station) 14. November 2018
Am 20. November 1998 wurde das erste russische Modul «Sarja» (Morgenröte) ins All geschossen. Seither ist die ISS immer weiter gewachsen, inzwischen ist sie etwa so gross wie ein Fussballfeld und technisch vielfältig ausgerüstet. «Die komplexeste, wertvollste & unwahrscheinlichste Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat», nennt Gerst seinen derzeitigen Wohn- und Arbeitsort via Twitterbotschaft. Seit dem Jahr 2000 forschen ohne Unterbrechung Raumfahrer im Weltraumlabor. Gerst ist bereits zum zweiten Mal dort.
Es war US-Präsident Ronald Reagan, der am 25. Januar 1984 die US-Raumfahrtagentur NASA mit der Entwicklung einer bemannten Raumstation beauftragte. Bald schon warben die Amerikaner bei den Europäern um Teilhabe – auch um zu verhindern, dass dort an einer eigenen Station getüftelt wird. Mit dem Ende der Sowjetunion 1990 entstand die ebenfalls nicht ganz selbstlose Idee, die Russen mit ins Boot zu holen. Eine Kooperation mit unzähligen Vorteilen etwa für die Völkerverständigung nach dem Kalten Krieg – aber auch mit Nachteilen. So wurde die Station grösser als eigentlich geplant und gebraucht.
Die meisten Bauteile stammen aus den USA und Russland. Mit dem in Bremen und Turin (Italien) gebauten Forschungslabor Columbus erhielt das Haus im Orbit 2008 auch ein europäisches Zimmer. Mit einer gemütlichen Herberge ist der Koloss nicht vergleichbar. Bei voller Besetzung gibt es kaum Privatsphäre, die speziell vorbereiteten Mahlzeiten kommen aus der Tüte. Waschmöglichkeiten zwischen Kabeln und Computern sind zwar spektakulär, das Prozedere ist aber mühselig, wie die Raumfahrer immer wieder dokumentieren. Viel Arbeitszeit muss für die Wartung von Geräten und zum Putzen aufgewendet werden.
"As for me, I am tormented with an everlasting itch for things remote. I love to sail forbidden seas, and land on barbarous coasts." – Herman Melville, Moby-Dick #Horizons pic.twitter.com/zeJFCIoG0J
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) 9. November 2018
Über den Zustand der ISS gibt es zurzeit viele Spekulationen, auch weil die NASA und die russischen Kollegen von Roskosmos nur spärliche Informationen dazu geben. Die ISS dürfte trotz vieler Nachrüstungen über die Jahre ziemlich gelitten haben. Auch äusserlich: Einschläge verursachen immer wieder kleine Krater. Einige Male musste die ISS Weltraumschrott ausweichen und deswegen kurzfristig ihren Kurs ändern. Einmal durchschlug ein winziger Splitter ein Sonnensegel.
Vorfälle wie dieser brachten die Crew bisher noch nie in ernsthafte Gefahr. Konsequenzen für die Zukunft der ISS könnten aber zwei Notfälle haben, die noch immer nicht im Detail geklärt sind.
Seit im Sommer ein kleines Leck in der russischen Sojus-Kapsel einen Druckabfall in der ISS auslöste, kursieren wilde Spekulationen über die Ursache. War es Pfusch, Sabotage oder einfach ein Unglück? Wenige Wochen später kam es erneut zu einem ernsthaften Zwischenfall: Ein Raketenfehlstart mit zwei Raumfahrern an Bord endete zwar glimpflich, brachte aber den ganzen Zeitplan von Gersts Mission durcheinander. Wieder zweifelte man weltweit an der Sicherheit des Projekts.
It was in this fabulous country that I first learned what it means to travel beyond my #Horizons and how to see the world with open eyes. #NewZealand pic.twitter.com/GBJkUDjCX2
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) 7. November 2018
Kritiker bezeichnen die ISS gerne als das teuerste Gebäude der Welt - die Gesamtkosten seit 1998 liegen nach Schätzungen bei weit über 100 Milliarden US-Dollar. Zu den exakten Ausgaben halten sich die ISS-Mitglieder bedeckt. Mehr als drei Milliarden Dollar zahlen allein die USA Berichten zufolge jedes Jahr für den Betrieb.
Die europäische Raumfahrtagentur ESA gibt an, bisher zehn Milliarden Euro in die ISS investiert zu haben – davon vier Milliarden in die Entwicklung und sechs in ISS-Operationen zwischen 2008 und 2018. Die grössten ESA-Geber-Länder für die Station sind Deutschland, Italien und Frankreich, wie die Agentur mitteilt.
Die grosse Errungenschaft sei die Einigung auf den gemeinsamen Bau der ISS gewesen, auf einen «Plan für all diese Länder, gemeinsam langfristig erfolgreich zu arbeiten», sagte Lynn Cline, die damals für die NASA die Verhandlungen geleitet hatte. «Ich hoffe, dass dieser Plan in Zukunft ein Meilenstein in der Wissenschaft, der bemannten Raumfahrt und bei der Entwicklung hin zur nächsten Stufe sein wird.»
Bislang ist der Betrieb des Raumlabors bis 2024 gesichert. Die ESA hält es für möglich, dass die Mitgliedsstaaten das Projekt bis 2028 verlängern. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump allerdings strebt bei der ISS einen Schnitt an und will eine Privatisierung vorantreiben.
Der Chef der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Jan Wörner, glaubt aber nicht an ein solches Engagement von Unternehmen. Der Gesamtbetrieb der Raumstation sei einfach zu teuer, sagte er einmal. Will niemand mehr den 450-Tonnen-Koloss nutzen, soll die ISS stufenweise – wie schon der russische Vorgänger Mir – kontrolliert in den Pazifik stürzen.
Ob der politische Konflikt zwischen den beiden grossen Finanzgebern USA und Russland den gemeinsamen Betrieb möglicherweise schon vor 2024 enden lässt, ist derzeit unklar. Im nächsten Frühjahr wollen die USA und Russland über die Perspektiven verhandeln.
Dabei ist die ISS einer der wenigen Bereiche, bei der abseits der grossen Politik gemeinsam erfolgreich Projekte realisiert werden. Hunderte Kilometer über dem Boden könnte sie ein Beispiel für die Erde sein, meint Gerst. «Wenn wir über Kontinente hinweg so zusammenarbeiten können, dann können wir noch viel mehr zusammen erreichen», so der Astronaut. «Wir müssen es nur versuchen.» (sda/dpa)