Einen einzigen Tag und eine unglückselige Nacht habe es nur gedauert, dann war alles vorbei. So beschrieb der griechische Philosoph Platon um 360 vor Christus den Untergang von Atlantis. Erst habe die Erde gebebt und dann hätten Flutwellen das mächtige Reich ins Meer gespült. Platon war der erste, der vom Schicksal des untergegangenen Atlantis berichtete.
Und bereits in der Antike begannen die Spekulationen: Hat sich der Philosoph alles nur ausgedacht, um es als Lehrbeispiel in seinen philosophischen Argumentationen zu nutzen? Oder hatte es das legendäre Reich tatsächlich gegeben? Die Suche nach dem versunkenen Land mit seiner sagenhaften Hauptstadt dauert bis heute an.
Zumindest gab es einige Naturkatastrophen, die durchaus das Zeug zur Vorlage für die Atlantis-Legende haben könnten. So bebte im Jahr 373 vor Christus die Erde unter dem Golf von Korinth. Die dadurch ausgelöste Flutwelle zerstörte die Stadt Helike, allerdings lag die Katastrophe zu dem Zeitpunkt, als Platon die Geschichte niederschrieb, noch nicht besonders lange zurück.
Der Untergang von Atlantis aber habe, so der Philosoph, bereits vor mehr als 9'000 Jahren stattgefunden. Ein ähnliches Schicksal wie Helike ereilte die Stadt Orobiai im Golf von Euböa, als eine Flutwelle in Folge eines Erdbebens sie unter Wasser setzte. Doch auch diese Katastrophe passierte nicht etwa in grauer Vorzeit, sondern im Jahr 426 vor Christus.
Zeitlich weiter entfernt lag die sogenannte Minoische Eruption, bei der im 17. oder 16. vorchristlichen Jahrhundert der Vulkan Thera für verheerende Verwüstungen im östlichen Mittelmeer sorgte. Lange vermutete die Forschung, der Ausbruch habe den Untergang der minoischen Kultur auf Kreta herbeigeführt. Doch diese These ist inzwischen widerlegt. Zwar störte er empfindlich den minoischen Seehandel, doch Kreta lag weit genug entfernt, um bei dem Ausbruch keinen unmittelbaren Schaden zu nehmen.
Statt nach datierbaren Ereignissen halten die meisten Atlantis-Forschenden auch vielmehr Ausschau nach geografischen Besonderheiten, wie Platon sie detailliert beschrieb. Das Reich lag demnach jenseits der Säulen des Herakles. Gemeinhin sind damit der Felsen von Gibraltar an der Südspitze Spaniens und der marokkanische Dschebel Musa gemeint, von denen die Meerenge zwischen Europa und Afrika an der Durchfahrt vom Mittelmeer in den Atlantik gerahmt wird.
Doch jenseits der Meerenge von Gibraltar liegt nicht viel. Die Makaronesischen Inseln, so etwa die Kanaren oder Azoren, halten dem Vergleich mit Atlantis nicht Stand; von den undurchdringlichen Schlammfeldern, die Platon an der Untergangsstelle beschreibt, ist dort weit und breit nichts zu sehen. Auch die weitere Beschreibung des untergegangenen Atlantis hilft nicht unbedingt weiter. Edelmetalle wie Gold, Silber und das «feurig schimmernde Orichalchos» – das wir heute Messing nennen – habe es dort zuhauf gegeben, ebenso wie Bäume, Blumen, Wein, Getreide, Früchte und Gemüse.
Damit allein wäre Atlantis noch nichts Besonderes. Etwas spezieller wird Platon bei der Tierwelt: «Sogar die Gattung der Elefanten war sehr zahlreich», schreibt er, «welche die grösste und gefrässigste von allen ist.» Nur leider waren die Afrikanischen Elefanten zu Lebzeiten des Philosophen am südlichen Rand des Mittelmeeres noch deutlich weiter verbreitet als heute, wo ihr Lebensraum auf die Regionen südlich der Sahara beschränkt ist.
Die meisten Lokalisierungsversuche konzentrieren sich tatsächlich auf den Mittelmeerraum. Neben Helika, Orobiai und Kreta stand auch Troja schon im Verdacht, das legendäre Atlantis gewesen zu sein. Der Untergang in einer Riesenwelle sei metaphorisch gemeint, vermutete 1992 der Geoarchäologe Eberhard Zangger. In Wahrheit habe Platon den Untergang der bronzezeitlichen Stadt im Trojanischen Krieg beschrieben.
Besonders beliebt bei Atlantisforschenden sind auch die grossen Mittelmeerinseln – Korsika, Sardinien, Sizilien oder Malta – als angebliche Überbleibsel des untergegangenen Reiches. Des Weiteren wurde Atlantis sowohl im Schwarzen Meer als auch auf dem Balkan oder in Andalusien lokalisiert.
Ein ganz anderer Zweig der Atlantisforschung vermutet, die Zivilisation von Atlantis sei identisch mit den Megalithiker-Kulturen Nordwest-Europas. Und Monumente wie das britische Stonehenge seien die letzten Überreste ihrer einst grossartigen Bauwerke. In der Tat gibt es einen Aspekt, der diese These so attraktiv macht: das Storegga-Ereignis, bei dem vor rund 8'200 Jahren grosse Teile des Kontinentalabhangs vor der norwegischen Küste abbrachen und verheerende Flutwellen an den Küsten Nordeuropas auslösten.
An ein «Atlantis-im-Norden» glaubten vor allem auch die Nationalsozialisten mit naiver Begeisterung. Das Reich sei die Urheimat der «Arier» gewesen, hiess es in ranghohen Nazi-Kreisen, ein «arisch-germanisches Rassenhochzucht- und Kolonisationsmutterland», wie der antisemitische Publizist Heinrich Pudor es 1936 beschrieb. Heinrich Himmler, Chef der gefürchteten SS, war angetan von der Idee, Helgoland könnte der Rest der untergegangenen «Arier»-Heimat sein.
Er schickte gleich mehrere Forschungsexpeditionen auf die Insel, um Beweise zu finden. Vergeblich. Himmler lag insofern allerdings nicht ganz falsch, als dass Helgoland tatsächlich die letzte Bergspitze eines untergegangenen Landes ist: das Doggerland, eine fruchtbare, von unzähligen Flüssen und Seen durchzogene Ebene, die vor 10'000 bis 8'000 Jahren in der Nordsee versank, als der Meeresspiegel langsam anstieg. Eine «grosse» Zivilisation, geschweige denn die herbei fantasierten «Arier», hat es dort allerdings nie gegeben. Die Bewohner waren mittelsteinzeitliche Jäger und Sammler.