Frau Pieren, Sie mussten heute im Nationalrat eine Niederlage einstecken. Eine Mehrheit will die Anschubfinanzierung für Betreuungsplätze verlängern. Was passiert, wenn der Bund weitere 120 Millionen in Krippen und Tagesstätten steckt?
Nadja Pieren: Ich befürchte, dass ein Überangebot an Betreuungsplätzen entsteht. Meiner Erfahrung nach decken sich schon heute Angebot und Nachfrage. Bei einem Überangebot gäbe es leere Plätze und gerade private Krippen müssten dann schliessen.
Sie besitzen selber eine private Kindertagesstätte. Haben Sie nicht einfach Angst, Ihr Geschäft zu verlieren?
Meine Kindertagesstätte befindet sich in einem Vorort von Bern. Da mache ich mir keine Sorgen. Die Kitas in den Städten sind gefährdet. Dort gibt es viele Angebote. Meine Sorge ist eher, dass ich keine geeigneten Räume finde, um meine Institution zu vergrössern.
Wie kommen Sie darauf, dass sich Angebot und Nachfrage heute schon decken? Haben Sie Zahlen dazu?
Es wurden immerhin 43'000 neue Plätze geschaffen in den letzten Jahren. Genaue Zahlen gibt es aber nicht. Die hat auch der Bundesrat nicht. Ich weiss aber aus Erfahrung und von Fachleuten, dass die Wartelisten für Krippen nicht so lang sind, wie sie scheinen. Familien setzen sich auf die Warteliste von vielleicht 20 Institutionen und rufen dann nicht bei den anderen 19 an, wenn sie einen Platz gefunden haben.
Aber irgendwann sollte es doch gar keine Wartelisten mehr geben.
Ja, aber Eltern können nicht erwarten, dass die nächste Kita gleich vis-a-vis von ihrer Wohnung auf der anderen Strassenseite liegt. Und dass der Staat sie einrichtet, kann man schon gar nicht erwarten. Ein Weg von fünf bis zehn Minuten ist absolut verträglich. So findet heute in einer Stadt jeder innerhalb nützlicher Frist einen Platz.
Vielleicht können Sie nicht nachvollziehen, wie zermürbend es sein kann, eine Familie zu managen, weil Sie keine Kinder haben.
Durch meine Arbeit kenne ich diese Herausforderungen sehr gut. Dennoch bin ich gegen eine staatliche Betreuungsindustrie, die jedem in einem Radius von 100 Metern eine Betreuungsinstitution vor die Nase setzt.
Es gibt Ihrer Ansicht nach also gar kein Problem mehr?
In den Städten nicht. Höchstens punktuell in gewissen Dörfern und Regionen. Vor zehn Jahren, als das Impulsprogramm vom Bund begann, gab es tatsächlich ein massives Unterangebot. Das ist heute nicht mehr der Fall. Schliesslich hat der Bund bis heute bereits über 400 Millionen Franken in die Förderung der externen Kinderbetreuung investiert.
Ist es nicht ein wenig zu früh, jetzt die Förderung der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie schon wieder aufzugeben, kurz nachdem man ernsthaft damit begonnen hat?
Mütter die arbeiten wollen, können das heute. Es gibt genug Angebote. Das negative Klischee, das der Fremdbetreuung lange anhaftete, ist ebenfalls aus der Gesellschaft verschwunden. Der Generationenwechsel ist vollzogen. Ich glaube nicht, dass die Zahl der Frauen, die Kita-Plätze in Anspruch nehmen wollen, noch steigen wird. Deshalb reichen die Plätze.
Bundesrat Berset argumentierte aber damit, dass es beim aktuellen Fachkräftemangel besonders wichtig ist, dass Frauen sich vermehrt in die Berufswelt eingliedern können.
Der Fachkräftemangel hat mit dem vorliegenden Problem überhaupt nichts zu tun. Das führten die Regierung und Mitte-Links-Parteien bloss an, um wieder einmal die SVP-Masseneinwanderungs-Initiative und der angeblich dadurch ausgelöste Fachkräftemangel aufs Tapet zu bringen. Wir haben in der Schweiz keinen Fachkräftemangel. Abgesehen davon können sich Fachkräfte einen privaten Kitaplatz leisten oder eine Nanny, da braucht es den Staat nicht.
Das Geschäft geht jetzt zurück in den Ständerat. Was glauben Sie, wird er beschliessen?
Ich gehe davon aus, dass auch der Mitte-Links-dominierte Ständerat die Augen vor der Realität schliessen und sich für die erneuten 120 Millionen Franken aussprechen wird.