Die Ermordung 21 koptisch-christlicher Gastarbeiter in Libyen ist ein neuer trauriger Höhepunkt in der IS-Gewaltorgie. Ganz überraschend kommt er nicht. Die Vorzeichen waren untrüglich:
Libyen präsentiert sich den Verbrechern praktisch auf dem Silbertablett: Eine funktionierende Zentralmacht gibt es schon lange nicht mehr. Die international anerkannte Regierung sitzt in Tobruk im Osten, die Hauptstadt Tripolis wird von einer Parallelregierung kontrolliert. In den anderen grossen Küstenstädten herrschen rivalisierende Milizen. Waffen gibt es seit dem Bürgerkrieg 2011 im Überfluss.
Der IS hat aus seinen Gelüsten nach diesen gesetzlosen Gebieten kein Geheimnis gemacht: Ende letztes Jahr hatte Terrorchef Abu Bakr al-Baghdadi Nordafrika und speziell Libyen in einer Botschaft namentlich zur Ausweitung seiner Schreckensherrschaft auserkoren. Dabei kann er auf tausende kampferprobte Dschihadisten zurückgreifen, die aus dem Maghreb stammen.
Schon vor dem Massaker an den Kopten machte der IS in der Region mit Gewalttaten auf sich aufmerksam: Mindestens zehn Personen sowie die beiden Attentäter wurden Ende Januar bei einem Anschlag auf das Luxushotel Corinthia in Tripolis getötet. Der IS bekannte sich später zu der Tat. Unter den Opfern waren auch ein Amerikaner und ein Franzose. Anfang Februar besetzten die Terroristen vorübergehend ein Ölfeld in der Nähe von Sirte und töteten 11 Personen.
Die inszenierte Verbrennung des Piloten Moas al-Kasasbeh hatte zum Ziel, Jordanien zum Kriegseintritt zu provozieren. Die Ermordung der 21 Kopten dürfte hinsichtlich Ägypten denselben Zweck verfolgen. Die Rechnung ist aufgegangen: Die ägyptische Luftwaffe hat Angriffe auf die libysche IS-Hochburg Derna geflogen.
Auch die USA und Frankreich sollen nach dem Willen des IS in Libyen in einen neue Kriegsfront hineingezogen werden. Ende 2014 eröffnete das Pentagon seine zweite Drohnenbasis im libyschen Nachbarland Niger. Frankreich verfügt zudem über eine Truppenpräsenz im nahen Mali. Präsident Obamas Kriegserklärung an den IS, der noch vom Kongress abgesegnet werden muss, ist geografisch unbegrenzt und könnte auch für Aktionen in Libyen herhalten.
Werden sich die unzähligen rivalisierenden Milizen in Libyen zu einem konzertierten Effort gegen die Gefahr des IS zusammenraufen? Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Innere Zerstrittenheit war schon in Syrien und im Irak ausschlaggebend, dass der IS dort Fuss fassen konnte.