Die Autofahrt, die ihre letzte werden wird, beginnt um 6.15 Uhr am 16. Mai 2013. Ein Donnerstag im Mai vor zwei Jahren. Das Ehepaar – sie 65, er 67 Jahre alt – setzt sich in den BMW, fährt vom Wohnort im Kanton Zürich in den Aargau. Bei einem Waldstück in Scherz steigen die beiden aus, gehen zu Fuss in den Wald hinein. Dort, zwischen Bäumen und Sträuchern, zieht der Mann den Schal um den Hals der Ehefrau zu, würgt sie minutenlang. Als er loslässt, ist die Frau tot, mit der er über 40 Jahre verheiratet war.
Wegen vorsätzlicher Tötung stand der Ehemann am Dienstag vor dem Bezirksgericht Brugg. Grauer Anzug, graue Brille, graue Haare. Der kleine, feingliedrige Mann sitzt aufrecht auf seinem Stuhl, hört aufmerksam zu. «Gute Manieren, ein gepflegtes Erscheinungsbild», wird der Staatsanwalt später in seinem Plädoyer sagen. Und doch ist er der Täter, daran besteht kein Zweifel. Er selber hat den Tod seiner Frau auf der Gemeindeverwaltung gemeldet, nachdem er auf dem Heimweg die Todesanzeige aufgegeben hatte. Kurz darauf wurde er verhaftet. Die Tat begründete er mit ihrem wiederholten Wunsch, er solle ihr helfen, «zu gehen». Sie habe unter Existenzängsten gelitten und gefürchtet, das Geld reiche für die Zukunft nicht aus.
Einzelheiten, die bei der Untersuchung der Tat ans Licht kamen, stützen die Aussagen des Angeklagten. So wurden am Tatort keine Kampfspuren gefunden, bei der verstorbenen Frau wurden keine Abwehrverletzungen festgestellt und eine Zeugin beobachtete, wie das Ehepaar am besagten Tag gemeinsam zügig in den Wald lief.
Deshalb drehte sich die zentrale Frage des Prozesses nicht um den Tathergang, sondern um die Schuldfähigkeit. Denn der Angeklagte leidet an einer frontotemporalen Demenz. Eine Krankheit, die sich langsam ausbreitet und die Persönlichkeit verändert. Anzeichen davon kamen auch am Prozess zum Vorschein: Auf die Frage der Gerichtspräsidentin, ob er wieder in der eigenen Wohnung lebe, antwortete der Angeklagte mit Ja. Sein Anwalt, der neben ihm sass, schüttelte den Kopf und widersprach. Derzeit ist er in einer betreuten Institution untergebracht.
Die Gutachterin stellte beim Täter ein «irritierendes» Verhalten fest, wie sie vor Gericht sagte. Typische Reaktionen für einen Menschen, der gerade seinen Ehepartner ums Leben gebracht hat, liessen sich bei ihm keine beobachten: Verzweiflung, Enttäuschung, Suizidalität. «Reue», sagte die Gutachterin, «hat er kein einziges Mal gezeigt. Auch seine Trauer war relativ flüchtig.» Alles Hinweise darauf, dass er über keine oder zumindest nur über eine stark eingeschränkte Schuldfähigkeit verfügt.
Die Verteidigung plädierte denn auch auf Freispruch – der Angeklagte sei vollständig schuldunfähig. Das hingegen bestritt die Staatsanwaltschaft. Sie forderte aufgrund der minimalen Schuldfähigkeit eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten. Viele Hinweise hätten darauf hingedeutet, dass die Tötung in völliger Übereinstimmung mit dem Opfer geschah, begründete Gerichtspräsidentin Gabriele Kerkhoven das Urteil. Der Angeklagte sei von seiner Frau richtig unter Druck gesetzt worden. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, seine Handlung einzuordnen.
Deshalb müsste er zum Tatzeitpunkt als schuldunfähig betrachtet werden. Für den Angeklagten wurde eine ambulante Massnahme angeordnet. Zudem muss er einen Teil der Verfahrenskosten tragen. Trotz des Freispruches erachtete das Gericht den Tatbestand der vorsätzlichen Tötung als erfüllt. Der demenzkranke Mann soll im Rahmen einer ambulanten Massnahme «engmaschig» betreut und überwacht werden, wie Gerichtspräsidentin Gabriele Kerkhoven sagte. Die Rückfallgefahr für Gewalttaten sei gering. «Er hat seine Ehefrau aufgrund ihres Todeswunsches getötet», sagte Gabriele Kerkhoven. «Ob es auch ein Akt der Liebe war, sei dahingestellt.»
Das Paar war seit 42 Jahren verheiratet und lebte in guten finanziellen Verhältnissen in einer Eigentumswohnung mit Seeblick in Rüschlikon ZH. Dennoch hatte die Frau finanzielle Existenzängste und drängte ihren Ehemann dazu, sie zu töten.
Der Staatsanwalt wird das Urteil nicht an die nächste Instanz weiterziehen. Er akzeptiere es, sagte er auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. (mbü/sda)