Es gibt den deutschen Schlager. Und es gibt den deutschen Rammelschlager, auch «Partyhit» genannt. Ersteres läuft im «ZDF Fernsehgarten» und anderen TV-Formaten für Menschen, die sich, nun, vergnügungstechnisch eher im Ruhe- als im Rauschzustand befinden. Letzteres läuft beim Après-Ski und am Ballermann. Dort, wo sich «Fritten» auf «Titten» und «Uschi» auf «Muschi» reimt und jedes zweite Wort «Bier» ist.
Der deutsche Rammelschlager ist direkt im Zugriff. Da wird benannt, was eine «geile Sau fast wie im Sexfilm» (die Atzen) oder was bloss «von hinten Blondine, von vorne Ruine» (Jürgen) ist. Da wird von «zehn nackten Friseusen mit richtig feuchten Haaren» (Mickie Krause) fantasiert. Helene Fischer ist dagegen abstrakte Avantgarde.
Dass einige Männer, die sowas singen, selbst aussehen wie gammeliger Kartoffelsalat – geschenkt. Dass die Männer, von denen sie singen, überdurchschnittlich oft arm, pleite, stockbesoffen, aber selbstverständlich dann doch noch sexy genug für so ziemlich jede Frau sind – logisch. Schliesslich herrscht am Ballermann brachiale Wunscherfüllung.
Und jetzt also «Layla» von DJ Robin und Schürze. In Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Platz eins der Single Charts. Weil? Weil gecancelt. Nicht von einer richtig grossen Macht wie der WHO, dem FBI oder dem Internet, sondern bloss von einem Stadtfest in Würzburg und ein bisschen noch von einer weiteren Party in Düsseldorf. Weil? Prädikat Sexismus. Worauf die Gegenseite natürlich sofort den Tod der Meinungsfreiheit skandierte, #freelayla erfand und «Layla» an die Charts-Spitze hochschaukelte. Aber was hat es damit auf sich?
Nun: «Layla» ist eine Hymne an eine Puffmutter, der der vermutlich männliche Teil einer ganzen Stadt zu Füssen liegt, was wiederum den Puffbesitzer total glücklich macht. Laylas Anziehungskraft wird äusserst differenziert besungen. Sie hat «blondes Haar, geile Figur» bzw. ist «wunderschön» bzw. «schöner, jünger, geiler». Schöner, jünger, geiler als wer? DJ Robin und Schürze?
Layla ist auch ein «Luder». Ein Luder ist definitionsgemäss ein durchtriebenes Wesen, das mit anderen spielt (ludere heisst spielen auf Lateinisch). Bei der Jagd ist ein Luder ein totes Tier, mit dem grössere Raubtiere angelockt werden. Als Puffmama hat Layla den Job, Männer anzulocken, die danach im doppelten Sinn kräftig abdrücken. Aber derart deutlich wird der Text nicht, im Vergleich zum Rammelschlager-Durchschnitt bleibt «Layla» echt dezent.
Wo steht «Layla» eigentlich im Vergleich zur amtlich anerkannten, auf den öffentlich-rechtlichen Sendern verbreiteten deutschen Unterhaltungsmusik? Oder wie ein Herr Icke Hüftgold, der «Layla» produziert hat, in der aktuellen «Zeit» fragt: «Leute, tut doch nicht so naiv, habt ihr eigentlich schon mal richtig hingehört, was da lange vor deutschem Gangsta-Rap in euren Wohnzimmern schon so alles unzensiert über den Sender ging?»
Wir hätten da zum Beispiel G.G. Anderson mit seinem Frauenversteher-Song «Nein heisst Ja», direkt flankiert von den österreichischen Biederfrauen Sigrid & Marina mit ihrem Hit «Zweimal Nein heisst einmal Ja». Oder den creepy Oldie «Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen», in dem ein alter Glüschteler eine junge Frau so lange mit dem Auto verfolgt, bis sie Schiss hat.
Der 31-jährige Udo Jürgens träumte 1965 von «17 Jahr, blondes Haar» und hörte bis zum Ende seiner Karriere nicht mit dem Anschmachten einer Minderjährigen auf. Peter Maffay fantasierte 1976 in «Und es war Sommer» vom Umgekehrten, nämlich von der MILF, der 31-jährigen Strandnymphe, die nichts trägt ausser ihrem Haar, blond natürlich, und einen 16-Jährigen kurzerhand zum Mann macht. Roland Kaiser hingegen entjungferte 1980 in «Santa Maria» im «Fieber, das wie Feuer brennt» ein wildes, stolzes «Kind der Sonne». Die süsse Schlagsahne eines Schlagers übertüncht alles.
Falco wurde damals von vielen Radiostationen boykottiert und das dazugehörige Video im Fernsehen oft frühzeitig abgebrochen. Natürlich war das PR vom Feinsten. Auch in meinem Mädchenzimmer lief nichts anderes. Habe ich einen Schaden davongetragen? Kein bisschen. Aber all die Leute, denen ich «Jeanny, quit living on dreams» entgegengebrüllt habe, vielleicht schon.
Und was sangen wir auf Schulreisen durch langweilige Landschaften lauthals im Chor? «Und draussen vor der grossen Stadt, steh'n die Nutten sich die Füsse platt!!!» von der Neue-Deutsche-Welle-Band Spider Murphy Gang, «Skandal im Sperrbezirk» hiess der Song, auch das eine Nummer eins bei uns. Dicht gefolgt von der Peepshow-Ode «Ich schau dich an (Peep Peep)», ebenfalls von den Spiders. Die herzige Stützlisex-Nummer schaffte es in die «ZDF Hitparade», der «Sperrbezirk» und «Jeanny» waren dafür zu skandalös. Und umso erfolgreicher.
Auf Spotify wird «Layla» täglich über eine Million Mal gestreamt. Da musste selbst der «ZDF-Fernsehgarten» einlenken. «Layla» wird am 31. Juli unzensiert ausgestrahlt, der bescheuerte Vorschlag des ZDF, «Puff» durch «Bus» zu ersetzen, ist vom Tisch. Und für den Herbst verspricht Icke Hüftgold einen versöhnlichen neuen «Layla»-Text. Herbst? Aber gut, so eine Umschrift braucht ihre Zeit, da muss man schon das sensible Dichter-Besteck hervornehmen.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Ebenfalls selbstverständlich dürfen private Veranstalter das Lied nicht spielen, weil sie den Inhalt nicht mögen.
Womit ich hingegen richtig Mühe habe, ist wenn Politiker (bspw Jusos) dieses Lied verbieten wollen wegen missliebigem Inhalt.
Schlechter Geschmack vermischt mit unterirdischem Niveau ist nicht verboten. Und das ist auch richtig so: Sonst ist die Gesinnungspolizei nicht mehr weit.