Ich habe natürlich nichts gegen Gott. Wie auch? Ich weiss ja nicht mal, ob es ihn gibt. Oder sie.
Ich kenne Menschen, die an Gott glauben. Finde ich okay. Mehr noch: Ich glaube, Glaube kann einem sehr viel Kraft geben. Also no hate.
Was ich aber neulich erlebe, bringt mich doch etwas an die Grenze meiner Toleranz. Für diejenigen, die vor zwei Wochen nicht hier waren, fasse ich zusammen: Bei Sandro und mir herrscht Sex-Flaute. Der Grund: Meine Libido ist weg. Tschüss, Adieu, Merci.
Im Pilates erzähle ich Georg davon. Ich kenne Georg nicht sehr gut, aber gut genug, um immer nach der Lektion noch mit ihm auf einer Mauer zu sitzen und über, Achtung, Gott und die Welt zu reden.
Dieses Mal offenbare ich mich: Ich erzähle, dass in Sachen Lust bei mir nichts geht. Blockade statt Bumsen. Pennen statt Porno. Seelenfrieden statt shaking Orgasmen.
Georg schweigt. Dann legt er seine Hand auf mein Knie, schaut mir tief in die Augen. Ich erwarte alles ausser das, das jetzt kommt: «Bravo Emma. Dein Geist fokussiert das Wesentliche.»
Er hat nicht gesagt, dass Sex in eine Ehe gehört, also nicht mit Worten. Aber er hat es schon so gemeint.
Georg, er ist Ende 20, hatte noch nie Sex. Darüber ist er sehr froh. Sich aufsparen in Zeiten wie den heutigen, darin sieht er den grössten Sinn. Für mich ist das, nun, nichts. Aber der Gedanke ist schön. Dass Georg genau das tut, finde ich super. Für ihn, seine Zukünftige, von mir aus für Gott.
Gott, sagt Georg, ist das Beste in seinem Leben. Und er könnte es auch in meinem werden, ist sich Georg sicher. Er erzählt von Gemeinschaft, Predigten, Partys, Gleichgesinnten. Von Kräften, Energien und von bedingungsloser Liebe.
Er erzählt von den bösen Mächten. Von Drogen, Alkohol, Sex, Pornos. Davon, wie schlimm das alles ist und dass Gott aber dennoch alle liebt. Und Jesus in uns allen ist.
Der Herr, so ist sich Georg sicher, kann uns Wege weisen, über uns wachen, uns alles verzeihen, immer für uns da sein. Uns retten, tragen, uns vertrauen, uns lieben und ehren, egal, was wir machen.
Klingt easy praktisch, finde ich. Und frage mich, warum wir uns alle mit zwischenmenschlichen Beziehungen abmühen, wenn es mit Gott so gechillt ist. Ich frage. Und lache. Georg lacht nicht.
Georg ist jetzt voll in seinem Element. Er prahlt und strahlt und lobt und preist. Meine Bewunderung ist gross. Wenn einer als Sektenführer viel Stutz verdienen könnte, dann Georg.
Ich soll unbedingt mal zu einem Gottesdienst mitkommen. Die Brüder und Schwestern würden sich stets sehr freuen, wenn neue Gesichter auftauchen. Ich lehne ab.
Georg gibt alles, um mich für den Allmächtigen zu öffnen. Es sei normal, dass man sich am Anfang verschliesst. Hat man die Hürde aber durchbrochen, wird man mit purer Liebe belohnt.
Ich sage, dass ich seine Predigt übergriffig finde. Dass mein Nein reichen muss, um aufzuhören. Ich leide nicht unter zu wenig Liebe. Ich leide, wenn, dann unter Libidoverlust. Und da ist Gott glaubs der Falsche.
Georg lächelt dieses «Ach, du bist einfach noch nicht so weit»-Lachen. Er will mir schon fast auf die Schultern klopfen und verständnisvoll nicken. Als würde er mir sagen wollen, ich sei auf dem richtigen Weg und Gott wird mich da durch begleiten.
Geschieht ja alles aus einem Grund.
Hier weckt Georg dann doch wieder meine Neugier. Was ist Gottes Plan, wenn sich Völker bekriegen? Wenn Naturkatastrophen wüten? Wenn Unschuldige umgebracht werden? Wenn Kinder sterben? Wenn sich Menschen radikalisieren?
Eine Antwort will ich gar nicht. Zumal ich sicher bin, dass Georg keine liefern kann, die mich umstimmen würde. Also sage ich nichts für ungut und dass ich die Gespräche sehr schätze mit ihm, wir aber die Themen Sex und Gott sein lassen sollen.
Findet Georg gut.
Und so treffen wir uns eine Woche später am gleichen Ort und sitzen da. Wir reden nicht über Gott und alles ist gut.
Ha, geht doch. Leben und leben lassen. Wir verabschieden uns und ich fahre gut gelaunt nach Hause. Da angekommen hat mir Georg einen Link über WhatsApp geschickt. Er führt mich zu einer WhatsApp-Gruppe mit sehr vielen Brüdern und Schwestern.
Also gut.
Ich schicke alle zehn Minuten eine Frage an Gott in den Chat. «Yo Gott, soll ich heute den blauen oder roten Pulli anziehen?», «Hey, lieber Gott, kannst du mal die Lotto-Zahlen rausrücken?» «Hey, lieber Gott, wie würden sich Adam und Eva, wenn sie sich heute kennenlernen würden, kennenlernen?», «Lieber Gott, Pesto oder Bolo?», «Lieber Gott, hast du meine Libido gestohlen? Gib sie wieder her, sonst wird dich der Jäger holen mit dem Schiess-ge-weeeher …».
Am übernächsten Tag ist es aus. Gott hat Schluss gemacht.
«Nutzername hat dich aus der Gruppe entfernt.»