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Filmfestival Locarno

Filmfestival Locarno: Der geniale Phil Tippett machte Spielbergs Saurier

epa09398842 Film Director and visual effects supervisor and producer, Phil Tippett from USA at the Piazza Grande during the 74th Locarno International Film Festival in Locarno, Switzerland, 05 August  ...
Mit seinen Kreaturen für grosse Unterhaltungsregisseure hat Tippett bereits zwei Oscars gewonnen, seiner Ehrung in Locarno steht er jedoch skeptisch gegenüber, denn da ist auch noch sein eigener Film.Bild: keystone
Filmfestival Locarno

Der geniale Phil Tippett machte Saurier für Spielberg und Kartoffelbären für «Star Wars»

Er zeichnet, bastelt und animiert schon seit seiner Kindheit und würde im Kino gerne mal wieder überrascht werden. Doch leider sind all seine Träume schon verwirklicht worden. Von ihm selbst. Wir trafen ihn zum Gespräch.
07.08.2021, 16:5408.08.2021, 15:46
Simone Meier
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Er trägt eine Jeansweste über nackten Armen, enge schwarze Hosen, bequeme Schuhe, er ist 67 und wirkt tatsächlich, als wäre er nicht ganz unter uns. Phil Tippett hat in Hollywood unzählige fantastische Filme mit Special Effects und Kreaturen belebt. «Jurassic Park», «Indiana Jones», «Star Wars», «Starship Troopers», «Robocop» und die «Twilight»-Filme sind seine Spielplätze. Seine erste eigene Regiearbeit, die er jetzt an Festivals zeigt, heisst «Mad God» und könnte sowas wie ein Selbstporträt des Künstlers als völlig Verrückter sein.

Mr. Tippett, ich habe Sie eben rauchen sehen – welche Marke?
American Spirits. Ich bin aber eigentlich kein Raucher, Locarno macht mich zu einem. Weil ich nicht weiss, was als Nächstes passiert. Es ist, als würde ich vor einem Erschiessungskommando stehen und sie bieten mir an, noch eine letzte Zigarette zu rauchen.

Sie betrachten Publikum und Presse als Erschiessungskommando?
Ja. Ich habe neulich «Das Blut eines Dichters» von Jean Cocteau gesehen. Da wird Enrique Rivero an einen Pfahl gefesselt, das Erschiessungkommando richtet seine Gewehrläufe auf ihn, doch dann schiessen alle in die Luft. Ich hoffe immer, dass bei mir auch alle bloss in die Luft schiessen.

Für einen Meister der Angst wie Sie klingt das erstaunlich ängstlich. Dabei haben Sie die Fähigkeit, fantastische Dinge so täuschend echt wirken zu lassen, dass sie sich unweigerlich im Unterbewusstsein des Publikums einnisten. Ich kann zum Beispiel nicht an einer leeren Restaurantküche vorbeigehen ohne an Saurier zu denken. Und seit ich heute Morgen wieder Ihre Arachniden aus «Starship Troopers» angeschaut habe, weiss ich, wieso ich so Angst vor Spinnen habe. Was denken Sie, wenn Sie eine Spinne sehen? Haben Sie da Visionen?
Das hängt vom Job ab. Ich mache einfach, was Drehbuch und Regie haben wollen. Meine Fantasie hört auf zu arbeiten, sobald ich habe, was ich brauche. Ich bin der Mann fürs Organische. Das inspiriert mich. Technik dagegen gar nicht. Das war immer schon so. Ich glaube, mein Zeichnungsstil blieb stehen, als ich etwa zwanzig Jahre alt war. Ich habe mich seither nicht weiterentwickelt.

Jurassic Park, 1993
Kinder, Küche, Saurier: «Jurassic Park» von 1993.Bild: getty

Aktuell wimmelt es ja nur so von fantastischen Serien und Filmen. Entspringt das irgendeinem besonders gesteigerten, kindlichen Publikumsbedürfnis nach Eskapismus?
Ach nein, das entspringt bloss dem Bedürfnis nach viel, viel Geld von Netflix und HBO und ein paar anderen. Alle schreien nach Inhalten. Und produzieren nichts als heisse Luft. Aber ich habe das kommen sehen. Alles funktioniert zyklisch.

Sie haben sich mit einer eigenen Regiearbeit befreit, mit dem Stop-Motion-Film «Mad God», an dem sie gut dreissig Jahre gearbeitet haben, eine Schlachtplatte aus Monstern und durchgeknallten Wissenschaftlern. Wie beglückend war diese Arbeit für Sie?
Gar nicht! Sie hat mich quasi in die Psychiatrie befördert. Ernsthaft.

Trailer zu «Mad God» (2021)

Okay, das war Ihre Wahl.
Nein, nicht wirklich. Ich hatte keine Ahnung, was da mit mir passiert. Das Projekt hat mich gefressen. Die letzten paar Jahre habe ich es gehasst, es war zu viel, ich zerfiel. Meine Kleider hingen in Fetzen, meine Hände waren vernarbt, weil ich mich so häufig verletzte, ich hörte auf zu duschen und mir die Haare und den Bart zu schneiden – ich bemerkte das alles gar nicht, aber mein Umfeld bemerkte es.

Sie haben sich also regelrecht mit dem Titel identifiziert. Filmregisseure sind ja im Kern nichts anderes als verrückte Götter.
Ja. «Mad Dog» war wie eine Vision, die ich umsetzen musste, ich hatte gar keine Kraft, mich dagegen zu wehren.

Sie haben erwähnt, dass die frühen Jahre für Ihre Kunst die prägendsten waren. Erinnern Sie sich an das erste Monster, das Sie gezeichnet haben?
Ich begann mit etwa fünf Jahren, Dinosaurier und Raumschiffe zu zeichnen, immer mit viel Blut und viel Rot. Ich war schon damals total besessen. Und mache seither nichts anderes. Ich zeichne und kreiere. Sonst nichts. Um alles andere kümmern sich andere, ich will keine Zeit verschwenden. Meine Frau leitet mein Studio.

Starship Troopers
«Starship Troopers» (1997), hier sehr schön die fiesen Arachniden, sei das letzte Projekt gewesen, das ihm richtig Spass gemacht habe, meint Tippett.Bild: Filmfestival Locarno/ Sony Pictures

Sie sind ein Baumeister des Fantastischen. Wie würden Sie das beschreiben?
Ich will nur Dinge schaffen, die ich noch nie gesehen habe. Alles andere interessiert mich nicht.

Das heisst, ein Riesenprojekt wie «Jurassic Park» war für Sie reine Pflichterfüllung?
Nein! Das war ein Spass! Ich hatte ja als Kind meine Hausaufgaben gemacht und mehrere Jahrzehnte an paläontologischer Forschung intus. Ich wusste alles über Saurier.

Sie waren Spielbergs Sauerierberater?
Genau. Ich konnte sagen: Okay, wenn du Saurier brauchst, die in der Herde leben, brauchst du diese und diese Sorte. Wenn du Saurier brauchst, die schnell rennen können, gibt es eigentlich nur einen, der schafft 50 Stundenkilometer. Und wenn ein Tyrannosaurus einen Mann frisst, muss man das sehen! Das Studio machte sich in die Hosen.

Schliesslich war «Jurassic Park» auch ein Familienfilm.
Aber Spielberg fand, natürlich zeigen wir das!

Gibt es noch Filme, die Sie überraschen können?
Kaum, denn ich habe ja schon alles gesehen. Alle meine Kindheitsträume sind in Erfüllung gegangen. Scorsese sagte neulich in einem Interview, der letzte Film, der ihn umgehauen habe, sei «Gravity» von Alfonso Cuarón gewesen. Der war spektakulär! Ist aber auch schon acht Jahre her. Seither? Nichts!

This film image released by Warner Bros. Pictures shows Sandra Bullock in a scene from "Gravity." (AP Photo/Warner Bros. Pictures)
Und «Gravity», hier sehr schön die überlebenstüchtige Sandra Bullock, sei der letzte Film mit Umhau-Potential gewesen, sagen Scorsese und Tippett.Bild: AP Warner Bros. Pictures

Da finden wir doch noch was. Wie wär's mit «Interstellar»?
Nein. Ich bin kein Fan von Christopher Nolan.

Oder «Blade Runner 2049» von Denis Villeneuve?
Der war hübsch. Nicht schlecht. Aber auch nicht grossartig.

Oder «Arrival», auch von Villeneuve?
Stimmt, der hat mir gut gefallen, obwohl ...

Ja?
Die Erzählung mäanderte mir zu sehr. Das erinnerte mich an Terence Malick. Den mag ich gar nicht.

Darf ich Sie als Schweizerin fragen, was Sie von H.R. Giger und seinem Alien halten? Schliesslich ist es schon bemerkenswert, dass einer mit seinem ersten Versuch für Hollywood gleich einen Oscar gewinnt.
Weil seine Kreatur genial war! Weil wir sowas alle vorher noch nie gesehen hatten. Gigers Alien war der Wahnsinn. Allerdings war es nicht seine Kreatur, die den Film gut gemacht hat, die war sogar ziemlich schlecht, deshalb musste alles um sie herum umso besser sein.

Alien 1979
H.R. Gigers Alien, 1979. Wie für Tippetts Saurier gab's dafür einen Oscar.Bild: Disney/20th Century Fox

Bitte?
Es war das gleiche Problem wie bei «Der weisse Hai», man war technisch einfach noch nicht so weit und musste mit einer guten Geschichte davon ablenken. Der weisse Hai war zum Beispiel ein riesiges Gummiungetüm, das schlecht zu bewegen war und das Salzwasser nicht vertrug, in dem es schwamm. Es gab nicht allzu viele Einstellungen, in denen das Alien oder der Hai gut aussahen. Und man musste mit Abstraktion arbeiten. Also erst nur einen kleinen Ausschnitt davon zeigen, eine alptraumhafte Ahnung, nicht schon das ganze Monster. Weil das ganze Monster einfach nicht allzu viel hergab.

Abstraktion ist ein gutes Stichwort: Abgesehen von Spielbergs Sauriern sind Ihre Geschöpfe ja nie naturalistisch, sondern Abstraktionen von Natur.
Ach, ich überlege nicht so viel. Ich mache mir kleine einfache Konzepte und führe sie aus. Als ich etwa das Sandgruben-Monster für «Star Wars» designte, wollte ich einen Bären mit einer Kartoffel kreuzen. Mehr nicht. Gigers Kunst finde ich übrigens richtig schlecht. Die ist redundant und nihilistisch und ...

Wer in diesem in einer Sandgrube hausenden Scarlacc aus «Star Wars» keinen Kartoffel-Bär sieht, hat keine Vorstellungskraft.
Wer in diesem in einer Sandgrube hausenden Scarlacc aus «Star Wars» keinen Kartoffel-Bär sieht, hat keine Vorstellungskraft.Bild: via wikipedia

... durchaus auch ein bisschen sexistisch ...
... eben richtige Alte-Männer-Kunst. Für mich war Giger immer schon ein alter Mann.

Kümmern Sie sich eigentlich um Nachwuchs? Unterrichten Sie junge Leute?
Hmmmm, ja, aber ich nenne mich lieber Mentor statt Lehrer.

Und ist Ihnen da schon das eine oder andere Talent aufgefallen?
Ja, doch, ein paar. Aber richtig interessant war niemand.

Denken Sie eigentlich an ein Publikum, wenn Sie arbeiten?
Kein bisschen. Ich lebe von Visionen und Energien. Von Eingebungen. Wenn man Mozart und Bach fragte, wie sie ihre Musik komponierten, dann sagten sie: «Ich denke nicht, ich übersetze bloss, was über mich kommt. Was Gott mir schickt.» So ähnlich geht es mir.

Und Ihre Inspiration? Kommt die auch von Gott?
Nein, ich glaube eher an sowas wie alte Seelen. Ich fühle mich zum Beispiel den Cro-Magnon-Menschen und ihrer Höhlenmalerei verbunden. Fantastische Kunst! Und kein Mensch weiss, woran sie glaubten und was sie sich dabei dachten. Grundsätzlich herrscht in meinem Kopf ein unausgesetztes weisses Rauschen, aus dem gelegentlich etwas auftaucht, und dann weiss ich, was ich zu tun habe. Ich habe mich daran gewöhnt, auch wenn es lästig ist.

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7 Kommentare
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Thomas Rothen (1)
07.08.2021 17:17registriert Juni 2016
Ich mag die Einstellung dieses Menschen. Herrlich erfrischend ehrlich 😅
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