Wieso ist unter den 18 neuen Michelin-Sterneköchen keine einzige Frau?
Die Frauen sind leer ausgegangen, als Anfang Woche der Guide Michelin seine begehrten Sterne an Kochtalente verliehen hat. 18 Köche haben einen Stern erhalten – alles Männer.
Michelin bemühe sich um Diversität, schreiben die Verantwortlichen des Gastroführers auf Anfrage. Weil es aber nur sehr wenige Frauen in Chefpositionen in Top-Restaurants schaffen würden, gebe es nur wenige Kandidatinnen für einen Stern.
An weiblichem Talent, das streicht der Gastroführer heraus, mangele es nicht. Das Problem sind die Rahmenbedingungen. Die Arbeitszeiten seien lang und die Arbeitsbedingungen «oft schwer mit der Familienplanung oder der gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen vereinbar».
Denselben Schluss zieht auch Urs Heller, Chefredaktor des Gourmet-Guides GaultMillau: «Sehr viele Frauen werden es in der Top-Gastronomie nie sein. Die Arbeitszeiten sind nicht wirklich familienfreundlich.» Hingegen habe sich der Umgangston in den Küchen in den letzten Jahren «glücklicherweise stark verbessert».
Ein Betrieb wie ein ideales Dorf
Was aber sagen die Frauen, die es in den Olymp der Schweizer Gastronomie geschafft haben? Das Thema begleitet Spitzenköchin Tanja Grandits vom Basler Sternerestaurant Stucki schon ihre ganze Karriere. Früher sei sie ungern auf die Frauenfrage eingegangen. «Ich wollte nicht darauf reduziert werden.» Heute sei sie sich ihrer Vorbildrolle bewusst und nehme sie sehr ernst. Am nächsten Wochenende fährt sie mit ihren Lehrlingsdamen zur Female Kitchen Party in Bad Ragaz. «Ich freue mich sehr darauf, es ist wichtig, dass man sich zeigt.»
Grandits sagt, sie habe gute Voraussetzungen gehabt. «Ich musste mich nie besonders behaupten, war nicht benachteiligt.» Entscheidend sei ihr «grosses, gesundes Selbstvertrauen».
Grandits ist Mutter einer erwachsenen Tochter. Sie sagt: Mutterschaft und Gastronomie seien schwer zu vereinbaren. Es gebe eigentlich nur zwei Wege: Entweder der Partner übernehme die Aufgaben zu Hause oder man mache sich selbstständig. In einem grossen Hotel als Chefköchin Teilzeit zu arbeiten, sei kaum möglich. Ein kleiner, eigener Betrieb biete mehr Möglichkeiten, sich zu organisieren.
Grandits hat sich «ihre eigene kleine Welt» gebaut. «Ich habe meine Tochter anfangs mitgenommen in die Küche, habe ein Au-pair organisiert.» Das Au-pair ist heute ihre Assistentin. Viele Mitarbeitende hätten Rollen übernommen, die sonst Familienmitglieder übernehmen, sie würden ihre Tochter auch mal zu Reitturnieren fahren oder haben ihr Autofahren beigebracht. «Eben das Dorf, das es braucht, um ein Kind grosszuziehen.»
Der Maxi-Cosi stand im Weg
Auch bei Silvia Manser, Inhaberin des Restaurants Truube in Gais (AR), waren es der eigene Betrieb und ein gesundes Selbstvertrauen, die das Nebeneinander von Kindern und Karriere ermöglichte. «Ich wollte immer, dass das, was ich mache, für mich stimmt. Was andere dazu sagen, war für mich zweitrangig», sagt sie. Natürlich mit Ausnahme der Gäste, die sollen «happy zum Restaurant rausgehen.»
Manser hat drei Kinder, heute sind sie 24, 22 und 17 Jahre alt. «Die waren mit bei uns in der Küche, im Maxi-Cosi oder in der Wippe, sind im Weg gestanden.» Wenn der Service losging, hätten sie die Kinder hoch in die Wohnung zum Spielen geschickt. «Wenn es ging, haben wir zwischendurch nach ihnen geschaut, da hat uns schon manchmal der Schlag getroffen, weil sie so ein Chaos veranstaltet haben.»
Als Frau denke man oft, man habe für nichts Zeit, alles käme zu kurz. Manser sagte sich: «Ich muss diese Zweifel ablegen.» Die gemeinsame Zeit mit den Kindern habe sie dafür intensiv genossen.
Geholfen hat Manser, dass ihre Eltern in der Nähe waren. Und dass sie selbst nicht anders aufgewachsen war. «Meine beiden Eltern haben gearbeitet, im Restaurant und in der Metzgerei, wir kannten das nicht anders.»
Es war ein Ineinander von Beruf und Familie. «Die Kinder sind nach dem Kindergarten in die Küche gekommen, um von ihrem Tag zu erzählen.»
Vom Spitzenabschluss ins japanische Kloster
Wie sehen die Zukunftsaussichten für junge Frauen in der Spitzengastronomie aus? «Einen Frauenbonus gibt es sicher nicht», sagt Manser. «Eher werde man weniger wahrgenommen.» Darum brauche es Mut, Beharrlichkeit und Sichtbarkeit.
Grandits erzählt von den vielen Talenten, die ihr begegneten. «Ich habe bei den Lehrlingen immer die tollsten Frauen – und Männer.» Letztes Jahr hätten zwei ihrer Lehrlingsdamen als beste des Kantons abgeschlossen. «Tolle, lebenslustige, kreative Frauen. Eine wurde direkt Sous-Chefin, die andere ist auf dem Landweg nach Japan gereist und kocht jetzt da in einem Kloster.» (aargauerzeitung.ch)
