«In einem unbekannten Land
Vor nicht allzu langer Zeit ...»
Oder war's erst gestern? Was sind Tage, was sind Stunden. Alles zerrinnt, wird zu Brei, Brei in meinem Kopf, auf dem Tisch, wisch wisch, Kötzlein hier, Kötzlein da, schrubb schrubb, Gallseife gegen Gaggi.
Gaggi gewinnt.
Zeit ist Ohrenschmalz. Lampt er bereits aus der kindlichen Ohrmuschel raus, ist eher viel davon vergangen. Etwa so viel, wie Ottolenghis blöder Knollensellerie an Zuwendung bräuchte, damit er so spektakulär wird, wie er behauptet.
Ja, ich weiss auch, dass ich nicht jeden Tag Ghackets und Hörnli kochen kann. Und ja, ich war offen, hab meine kulinarische Komfortzone verlassen, mach jetzt auch Müsli mit Hafermilch, aber «simple» ist etwas anderes, mein lieber Schwan.
Schnipp schnapp Fenchel, Finger ab.
Alles ist zerhackt, meine Hände sind Füsse, mein Busen gehört nicht mir, am Boden liegen Haare, futsch auch das Gesicht, von ungestutzten Kinderfingernägeln geschunden.
Zerfetzte Gedanken, halbe Sätze, noch blutend, warten aufs Ende, das nicht kommt.
So viele Fragen. Dafür reicht ein ganzes Leben nicht. Könnte ich sie dir im Schlaf beantworten, ich würde es tun.
Endlich ist das Haus ruhig. Die Treppe knarrt ein letztes Mal unter den Pfötchen der Katze, die sich nach dem Liegen im unteren Stock oben ein bisschen hinlegt.
Das Baby neben mir schläft so tief, dass man rein gar nichts hört. LEBT ES NOCH?
Schnell gucken, Gottseidank, das Bäuchlein geht auf und ab. Und auf und ab und ...
... noch schnell Handy gucken, scroll scroll ...
... na toll.
Vielleicht sollte ich besser noch ein paar Seiten aus dem «Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)» lesen. Sonst bin ich damit fertig, wenn meine Kinder zu pubertieren beginnen – und dann ist es zu spät. Dann hab ich sie längst verkorkst. Andererseits verkorks ich sie sowieso. Ganz besonders, wenn ich jetzt nicht schlafe.
Ich kann nicht mehr schaukeln, ohne dass mir schlecht wird und hör jetzt Musik von Menschen, die jünger sind als ich. Menschen, denen Schaukeln noch Spass macht.
«Wann, bitte, wann hat das hier angefang'n?
Wann, bitte, wann hab ich mich verloren, man?»
Klopf klopf, Kopf, was träumst du da von einem klitzekleinen Baby, so winzig, dass es der Arzt nach der Geburt auf sein Tisch-Karussell setzt. «Frau Rothenfluh, so wird es gross», sagt er. Das Karussell dreht sich. Das Baby wird nicht gross. Ich pack's in den Kinderwagen, verlasse das Spital, alle gucken gierig rein, sagen «Jö, so herzig!» und meinen's nicht. Ich seh's in ihren Gesichtern, weiss, dass etwas nicht stimmt mit dem Kind.
Hust hust, hallo Baby, du bist ja wieder wach und grinst mir deinen prallen Lebenshunger ins träge Gesicht. Verschleimte Lünglein, verstopftes Näschen, dein Strahlen durchdringt selbst Blei, als wär's nichts. Oh unbezwingbare Heiterkeit, wehe, jemand nimmt sie dir jemals weg, ich werd ihn ins Jenseits jagen, wo zwei Geier an ihm nagen.
Aber lass uns erst beschwingt in den noch verdächtig nach Nacht riechenden Morgen tanzen!
Tripp trapp, Treppe hinab, durch ein Meer von Autos watend, wiu wiu macht die Sirene und aua aua der Fuss, der gerade in die spitze Handbremse des alten Opels getreten ist.
Warum liegt hier ein ausgespucktes Apfelstücklein, meine Beissschiene ... Stroh?
Und was ist das? Das hab ich hier noch nie gesehen ...
Ding dong, Home-Lieferung ist da, Hundert Millionen Windeln, ja gern, danke, tschüss.
Bäh bäh, Baby brüllt, stracks in die Küche, fünf Milchpulver-Löffel auf 140 ml Wasser, schüttel schüttel Bäumeli, es fallen schöne Träumeli.
Sipp sipp, Sackzement, bist du schwer geworden, kleines Mädchen, machst mich zum Hulk, guck, mein linker Bizeps, Piz Bernina aus Stahl, vielleicht mach ich Emily endlich im Armdrücken platt.
Schlaf, Kindlein, schlaf, mein schnüsiges Speck-Gnocchi, mein samtig-seidenes Schmusebälklein, dich ring ich mit Stirnküssen und singenden Zwergen nieder.
«Far over the misty mountains cold
To dungeons deep and caverns old
We must away
ere break of day
To find our long forgotten gold ...»
Wrr wrr, was das für ein Geräusch? Mein Sohn massiert Rollirampf mit dem elektrischen Milchaufschäumer. «Lueg Mami, da hät er fescht gern.»
Krächz krächz, krächzte einst auch Rollirampf, die komische Krähe, sicher lebte sie mal in Dottikon-Dintikon, hing am Bahnhof rum und belästigte die Dottikon-Dintikönner:innen – bis es einer satthatte.
Seither trägt sie Plastikaugen und wird täglich sanft durchwalkt.
Gib mir deine Plastikaugen, ich kleb sie mir auf die schlafenden Lider.
Tick tack, was sind Tage, was sind Stunden. Schon strecken Schneeglöckchen ihre Köpfchen aus dem frostigen Boden. Frühling auf den frischen Friedhofsgräbern – und schon summt ...
PS: I'm back. Und ich freu mich riesig, in jenen geschützten vier Wänden des watson-Grossraumbüros ab und an wieder ganze Sätze zu denken und zu schreiben, ohne unterbrochen zu werden.
Des öfteren weine ich heimlich Tränen, weil die Hoffnung auf Kinder immer mehr schwindet und ich mich wohl definitiv vom Kinderwunsch verabschieden muss.
Aber beim Lesen von diesem Bericht (gemütlich auf dem Sofa, kurz vor 8h Schlaf), bin ich wohl doch ganz froh kann ich meine Energie anders im Leben einsetzen.
Danke für diesen ehrlichen Bericht und die lustigen Fotos. 💚