Jetzt ist er also überstanden. Der berühmte Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Der Sechsteiler, der auf fünf Folgen gekürzt wurde. Die geplante Pop-Betriebs-Satire, die dies vielleicht zehn Minuten lang war. Denn sonst war sie so lustig wie das Video des lebendigen Schweines, das fünfzig Alligatoren zum Frass vorgeworfen wurde. Also gar nicht.
«The Idol» war der bisher grösste Absturz des Qualitätsserien-Giganten HBO. Eben erst hatte er mit «The Last of Us», «White Lotus» und der Vollendung von «Succession» perfekte Ware geliefert und gezeigt, wie das geht mit den grossen Drehbüchern und Ensembles. Beides fehlt «The Idol».
Protagonistin Lily-Rose Depp, das Nepobaby schlechthin, bringt zwar alle spektakulären körperlichen Merkmale ihrer (einst) schönen Eltern Johnny Depp und Vanessa Paradis mit, ist aber ein One-Hit-Wonder des Ausdrucks, alles sieht bei ihr gleich aus, egal ob angeschissen, arrogant, nachdenklich, traurig oder leidenschaftlich. Und wie der Musiker Abel Tesfaye (The Weeknd) jemals auf die Idee kam, er sei Schauspieler, steht in für uns alle unsichtbaren Sternen.
«The Idol» sei «Torture Porn», wurde der Serie vorgeworfen, Folterporno also. Das ist übertrieben. «The Idol» ist schlichter Erotik-Sado-Maso. «Fifty Shades of Grey», aber gequält wird nicht mit hübsch designtem Luxus-Spielzeug, sondern mit Mutters Haarbürste und einem sogenannten «Hunde-Erziehungshalsband» mit integriertem Elektroschocker. Gequält wird nicht immer, aber meistens, die Frau. Also der Popstar Jocelyn (Depp). Sie braucht das, damit die kreativen Säfte besser fliessen.
Denn Jocelyn ist nicht irgend so ein Pop-Tüpfi, Jocelyn sieht sich eigentlich schon als weiblichen Prince. Je bizarrer der Sex, desto besser der Song. Erst im Kranken findet sich das metaphorische Gold, aus dem, nun ja, reales Gold gemacht werden kann, das weiss auch ihr zynisches Management. Es ist einer der grossen Mythen der Kulturindustrie. Am Ende klingt Jocelyn wenigstens ein bisschen wie Lana Del Rey.
Ihr Quälgeist ist Tedros (Tesfaye), ein schmieriger Produzent und Guru, der Jocelyn an die kaum je vorhandene Wäsche gehen darf. Lily-Rose Depp hat wieder und wieder in Interviews betont, wie gerne sie nackt gedreht habe, dass dies geradezu ihr (französisch freigeistiger?) Wille gewesen sei, man muss dies respektieren und nicht prüde tun. Das Resultat ist trotzdem ein plakativ ausgestellter junger Frauenkörper, mit dem allerlei Dinge angestellt werden, die im Kopfkino (sehen tut man zum Glück nicht so viel) gelegentlich Übelkeit hervorrufen. Doch das war gewiss künstlerische Absicht.
Tesfaye hat mit «Euphoria»-Showrunner Sam Levinson und dem «Nightlife-Entrepreneur» Reza Fahim zusammen das Drehbuch geschrieben und auch gleich seine 70-Millionen-Dollar-Villa zum Dreh zur Verfügung gestellt. Eine tolle Villa! Und zweifellos ist das Showbiz-Knowhow von «The Idol» beträchtlich.
Ebenso zweifellos konnten sich die drei Männer nicht entscheiden, was sie denn nun wollten: satirische Kritik oder sentimentale Verherrlichung, eine stringente Erzählung oder ein kreativ bekifftes Chaos, Klischee oder Kunst? Meist ist «The Idol» ein sentimentales Klischee-Chaos und Depp wie Tesfaye sind unfähig, darin einen überzeugenden Lead zu spielen. Leader sind andere.
Umwerfend etwa ist Da'Vine Joy Randolph als Jocelyns Managerin/Bodyguard Destiny, mit ihr hätte sich das Projekt Satire mühelos verwirklichen lassen, im Gegensatz zu Depp und Tesfaye besitzt sie ein Gespür für Rhythmus, Pointen und eine gefährliche Streetsmartness. Geradezu überirdisch sind Moses Sumney (als Isaak) und Suzanna Son (als Chloe), zwei musikalische Findelkinder von Tedros. Sumney gilt schon seit mehreren Jahren als engelsgleiches Genie, Son singt wie die blutjunge Tori Amos. Sie bringen einen dringend nötigen Zauber, sind Figuren mit einem Geheimnis. Und dass mit Jennie Kim ausgerechnet eine Prinzessin aus dem K-Pop-Panzer Blackpink Jocelyns Kontrahentin spielt, ist natürlich ein Gag.
Vier Folgen lang geschieht in «The Idol» derart nichts Sinnvolles, dass die TV-Quoten um Hunderttausende sanken. Dafür stiegen sie im Streaming-Angebot. Millionen wollten sehen, was angeblich niemand sehen wollte. Die Kritik war schlecht, die Meinung auf den sozialen Medien vernichtend, die Rechnung ging trotzdem auf. Das Wort Feind ist im Alphabet nicht weit hinter Fan.
Und dann, so gegen Ende von Folge 4, ahnte man was. Dass da eigentlich gar keine so simple Geschichte erzählt wurde. Dass hinter der müeslidummen Fassade von «The Idol» in Wirklichkeit ein ziemlich guter Thriller über raffinierte und eiskalt kalkulierte Manipulation schlummern könnte. Dass mit einem knallhart gebürsteten Drehbuch und richtigen Hauptdarstellern etwas wirklich Interessantes, Ambivalentes daraus hätte werden können.
Nur so viel: Folge 5 übertrifft bis auf ein paar schludrige Details viele Erwartungen. Die Twists sind cool und alles ist ein bisschen schaurig wie in alten Hitchcock-Filmen, wo die Damen mindestens so blond und schön waren wie Lily-Rose Depp.
«The Idol» läuft bei uns auf Sky Show.
Habe nur Nerflix, höhöhö…
Aber Simone Meier dein Text ist fantastisch zu lesen!
Wie geschrieben; du machst aus säuen perlen🤪
(ich weiss, die Redewendung heisst anders)