Leben
Review

«The Idol»: Wenn die Bürste Brüste bürstet, kommt Kunst dabei raus

The Idol mit Lily-Rose Depp
Bild: HBO
Review

«The Idol»: Wenn die Bürste Brüste bürstet, kommt Kunst dabei raus

Nach der letzten Folge der Desaster-Serie von HBO ahnt man: Das hätte was werden können! Leider ist es jetzt zu spät.
03.07.2023, 20:0905.07.2023, 08:56
Mehr «Leben»

Jetzt ist er also überstanden. Der berühmte Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Der Sechsteiler, der auf fünf Folgen gekürzt wurde. Die geplante Pop-Betriebs-Satire, die dies vielleicht zehn Minuten lang war. Denn sonst war sie so lustig wie das Video des lebendigen Schweines, das fünfzig Alligatoren zum Frass vorgeworfen wurde. Also gar nicht.

«The Idol» war der bisher grösste Absturz des Qualitätsserien-Giganten HBO. Eben erst hatte er mit «The Last of Us», «White Lotus» und der Vollendung von «Succession» perfekte Ware geliefert und gezeigt, wie das geht mit den grossen Drehbüchern und Ensembles. Beides fehlt «The Idol».

Protagonistin Lily-Rose Depp, das Nepobaby schlechthin, bringt zwar alle spektakulären körperlichen Merkmale ihrer (einst) schönen Eltern Johnny Depp und Vanessa Paradis mit, ist aber ein One-Hit-Wonder des Ausdrucks, alles sieht bei ihr gleich aus, egal ob angeschissen, arrogant, nachdenklich, traurig oder leidenschaftlich. Und wie der Musiker Abel Tesfaye (The Weeknd) jemals auf die Idee kam, er sei Schauspieler, steht in für uns alle unsichtbaren Sternen.

Johnny Depp, and his girlfriend Vanessa Paradis, at the United Kingdom premiere of his new movie, Finding Neverland, in Leicester Square, London, Sunday Oct. 17, 2004. (KEYSTONE/AP Photo/John D McHugh ...
Schön kommt von schön: Das sind die Eltern von Lily-Rose Depp, also Vater Johnny und Mutter Vanessa.Bild: AP

«The Idol» sei «Torture Porn», wurde der Serie vorgeworfen, Folterporno also. Das ist übertrieben. «The Idol» ist schlichter Erotik-Sado-Maso. «Fifty Shades of Grey», aber gequält wird nicht mit hübsch designtem Luxus-Spielzeug, sondern mit Mutters Haarbürste und einem sogenannten «Hunde-Erziehungshalsband» mit integriertem Elektroschocker. Gequält wird nicht immer, aber meistens, die Frau. Also der Popstar Jocelyn (Depp). Sie braucht das, damit die kreativen Säfte besser fliessen.

Denn Jocelyn ist nicht irgend so ein Pop-Tüpfi, Jocelyn sieht sich eigentlich schon als weiblichen Prince. Je bizarrer der Sex, desto besser der Song. Erst im Kranken findet sich das metaphorische Gold, aus dem, nun ja, reales Gold gemacht werden kann, das weiss auch ihr zynisches Management. Es ist einer der grossen Mythen der Kulturindustrie. Am Ende klingt Jocelyn wenigstens ein bisschen wie Lana Del Rey.

Trailer zu «The Idol»

Ihr Quälgeist ist Tedros (Tesfaye), ein schmieriger Produzent und Guru, der Jocelyn an die kaum je vorhandene Wäsche gehen darf. Lily-Rose Depp hat wieder und wieder in Interviews betont, wie gerne sie nackt gedreht habe, dass dies geradezu ihr (französisch freigeistiger?) Wille gewesen sei, man muss dies respektieren und nicht prüde tun. Das Resultat ist trotzdem ein plakativ ausgestellter junger Frauenkörper, mit dem allerlei Dinge angestellt werden, die im Kopfkino (sehen tut man zum Glück nicht so viel) gelegentlich Übelkeit hervorrufen. Doch das war gewiss künstlerische Absicht.

epa10647656 French-American actor Lily-Rose Depp (L) and Canadian singer-songwriter and actor Abel Tesfaye aka The Weeknd attend the photocall for 'The Idol' during the 76th annual Cannes Fi ...
Depp und Abel Tesfaye im Mai in Cannes.Bild: keystone

Tesfaye hat mit «Euphoria»-Showrunner Sam Levinson und dem «Nightlife-Entrepreneur» Reza Fahim zusammen das Drehbuch geschrieben und auch gleich seine 70-Millionen-Dollar-Villa zum Dreh zur Verfügung gestellt. Eine tolle Villa! Und zweifellos ist das Showbiz-Knowhow von «The Idol» beträchtlich.

Ebenso zweifellos konnten sich die drei Männer nicht entscheiden, was sie denn nun wollten: satirische Kritik oder sentimentale Verherrlichung, eine stringente Erzählung oder ein kreativ bekifftes Chaos, Klischee oder Kunst? Meist ist «The Idol» ein sentimentales Klischee-Chaos und Depp wie Tesfaye sind unfähig, darin einen überzeugenden Lead zu spielen. Leader sind andere.

the idol Da'Vine Joy Randolph
Die eigentliche Queen in «The Idol» heisst Da'Vine Joy Randolph.Bild: hbo

Umwerfend etwa ist Da'Vine Joy Randolph als Jocelyns Managerin/Bodyguard Destiny, mit ihr hätte sich das Projekt Satire mühelos verwirklichen lassen, im Gegensatz zu Depp und Tesfaye besitzt sie ein Gespür für Rhythmus, Pointen und eine gefährliche Streetsmartness. Geradezu überirdisch sind Moses Sumney (als Isaak) und Suzanna Son (als Chloe), zwei musikalische Findelkinder von Tedros. Sumney gilt schon seit mehreren Jahren als engelsgleiches Genie, Son singt wie die blutjunge Tori Amos. Sie bringen einen dringend nötigen Zauber, sind Figuren mit einem Geheimnis. Und dass mit Jennie Kim ausgerechnet eine Prinzessin aus dem K-Pop-Panzer Blackpink Jocelyns Kontrahentin spielt, ist natürlich ein Gag.

Vier Folgen lang geschieht in «The Idol» derart nichts Sinnvolles, dass die TV-Quoten um Hunderttausende sanken. Dafür stiegen sie im Streaming-Angebot. Millionen wollten sehen, was angeblich niemand sehen wollte. Die Kritik war schlecht, die Meinung auf den sozialen Medien vernichtend, die Rechnung ging trotzdem auf. Das Wort Feind ist im Alphabet nicht weit hinter Fan.

Moses Sumney poses for photographers upon arrival at 'The Idol' after party at the 76th international film festival, Cannes, southern France, Tuesday, May 23, 2023. (Photo by Vianney Le Caer ...
Der ziemlich göttliche Moses Sumney in Cannes.Bild: keystone

Und dann, so gegen Ende von Folge 4, ahnte man was. Dass da eigentlich gar keine so simple Geschichte erzählt wurde. Dass hinter der müeslidummen Fassade von «The Idol» in Wirklichkeit ein ziemlich guter Thriller über raffinierte und eiskalt kalkulierte Manipulation schlummern könnte. Dass mit einem knallhart gebürsteten Drehbuch und richtigen Hauptdarstellern etwas wirklich Interessantes, Ambivalentes daraus hätte werden können.

Nur so viel: Folge 5 übertrifft bis auf ein paar schludrige Details viele Erwartungen. Die Twists sind cool und alles ist ein bisschen schaurig wie in alten Hitchcock-Filmen, wo die Damen mindestens so blond und schön waren wie Lily-Rose Depp.

«The Idol» läuft bei uns auf Sky Show.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Alle Schlammbilder des Openair St.Gallen seit 2010
1 / 25
Alle Schlammbilder des Openair St.Gallen seit 2010
Schlammgallen oder Sankt Güllen – die Tage um das Openair im Sittertobel scheinen den Regen magisch anzuziehen. Ein Blick zurück in die letzten 13 Jahre.
quelle: keystone / ennio leanza
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Openair St. Gallen: Schafft Sergio diese drei Challenges?
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
15 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
dodo, dodo?
03.07.2023 21:01registriert Mai 2020
Ich habe nix gesehen und verstehe nur Bahnhof was da mit wem und wie passiert.
Habe nur Nerflix, höhöhö…
Aber Simone Meier dein Text ist fantastisch zu lesen!
Wie geschrieben; du machst aus säuen perlen🤪
(ich weiss, die Redewendung heisst anders)
319
Melden
Zum Kommentar
15
    «Soll ich der Freundin meiner Ex-Affäre erzählen, was alles abging?»

    Ich hatte eine Affäre mit meinem ehemaligen, liierten Arbeitskollegen. Es hat einfach gepasst. Wir waren so verliebt. Er hat dann einfach nie seine Freundin (zirka sechs Jahre zusammen) verlassen. Irgendwann konnte mein Kollege dem Trauerspiel nicht mehr zuschauen und hat die Freundin informiert. Er hat sie dann belogen (seien nur Küsse gewesen. Der Klassiker. Dabei hatten wir so geilen, animalischen Sex), mit mir den Kontakt dann abgebrochen. Und sie sind bis heute ein Paar.

    Zur Story