Ein junger Schwede kommt nach Polen, um Film zu studieren. Er ist zwanzig, will Regisseur werden und hat den Kopf voller polnischer Vorbilder – Kieślowski, Polanski, Wajda – und voller Idealismus. Einem Kinderdarsteller, den er bei einem Dreh kennenlernt und der im Kinderheim lebt, leiht er seine Kamera, weil er sich sicher ist, dass auch in dem Buben heimlich ein Regisseur steckt. Der Bub gehört zu einer Bande, sie verprügelt den naiven Wohltäter und klaut ihm die Kamera.
Der Schwede heisst Magnus von Horn, freundet sich daraufhin mit Polens Unterwelt an und dreht einen Dokfilm über einen Schläger. Weil er wissen will, was diesen motiviert. Was seine Aggression triggert. Was jenseits der Prügel geschieht.
Ein weiterer Krimineller, der Magnus von Horn fasziniert, ist der aus Uruguay stammende Stalker Ricardo López. Drei Jahre lang war López von der isländischen Sängerin Björk besessen, er hielt dies in einem 803-seitigen Tagebuch und auf 22 Stunden Videotape fest. Als 1996 Björks Beziehung zum britischen Musiker Goldie öffentlich wird, beschliesst er, sie zu töten. Am 12. September 1996 schickt er eine Briefbombe an ihre Londoner Adresse und erschiesst sich vor laufender Kamera. Am 16. September findet die Polizei seine Leiche, die Briefbombe kann abgefangen und von Scotland Yard entschärft werden.
Er beschliesst, eine Figur wie López zu bauen und sie in sein geplantes Filmprojekt über eine polnische Fitness-Influencerin einzubauen.
Seine Filmheldin Sylwia Zajac ist die fiktionalisierte Fassung einer echten Fitfluencerin mit 600'000 Insta-Followers, der er selbst monatelang fasziniert gefolgt ist. Fasziniert von der scheinbar lückenlosen Dokumentation ihrer Tage, an denen öffentliches und privates Leben in einem fluiden Dauerzustand verschmelzen. Aus Alltags-, Fitness- und Hundevideos und Produktewerbung für ihre Sponsoren. Und er fragte sich, was zwischen den Bildern geschehen könnte. Welche Geschichte sich wohl zwischen zwei Bildern, die auffällige 24 Stunden auseinander lagen, abgespielt haben könnte.
Der Film beginnt, wie er heisst, mit viel Schweiss, also «Sweat». Wir erleben Sylwia (die Theaterschauspielerin Magdalena Kolesnik macht ihre erste Filmrolle zum Ereignis) beim Vorturnen in einer Shopping-Mall, sie ist eine Art frühe Britney Spears als Fitnessprinzessin, genauso aufgestellt, genauso freundlich, genauso blond, die Fans jubeln ihr zu. «Arbeitet mit den Körpern, die ihr habt, nicht mit denen, die ihr euch wünscht!», schreit sie ins Mikro, alles ist hochtourig, anstrengend, und nach der Bühne wartet auch schon ein Mitarbeiter, der ihr eine Schachtel mit Sponsoren-Produkten gibt, die sie bitte gleich noch bewerben soll.
Zuhause filmt sie sich gutgelaunt beim Treppensteigen, Smoothie-Mixen und Produktetesten, und dann, als der letzte Smoothieschluck getrunken und das letzte rosa Ding in die Kamera gehalten und die letzte emojionalisierte Nachricht an die Fans gesendet worden ist, bleibt – nichts. Eine vollkommene Leere. Nur durch den Hund etwas erträglicher. Dafür durch einen Mann (das López-Double), der vor ihrem Haus im Auto sitzt und masturbiert, wenn sie vorbeigeht, umso beklemmender gemacht.
Es folgt der Geburtstag von Sylwias Mutter – detaillierter und peinsamer hat man das Unverständnis einer analog gealterten Generation für die vermeintlichen Hors-Sol-Jobs der digital Berufstätigen noch nie gespiegelt gesehen, viele werden sich darin wiedererkennen. Danach kehrt Sylwia erschöpft auf irgendeinen roten Teppich zurück, wirft sich in Pose, das ist ihr vertraut, die Oberflächlichkeit der Party-Begegnungen ihr Zuhause, jedes Mehr an engagierter Zwischenmenschlichkeit erweist sich als fataler Fehler. Denn nicht nur sie, auch die andern aus der Insta-Welt haben vergessen, wie man Emotionen in Realität übersetzt. Die Eskalation ist gründlich.
«Sweat» lief schon auf etlichen Festivals rund um den Globus, gewann Preise und wurde als erster Spielfilm gelobt, der sich ernsthaft mit dem Thema Influencer auseinandersetze. Das klingt übertrieben, scheint aber nicht so weit hergeholt, wenn man sich anschaut, wo Influencer sonst so vorkommen – vorwiegend in Horrorfilmen und Komödien.
Und tatsächlich bleibt nach «Sweat» die doch einigermassen eigenwillige Erkenntnis, dass Sylwia ein Wesen ganz im Dienst ihrer Followerschaft ist, ein Mensch, dessen Individualität sich auflöst in der Mission, andere zu unterhalten und ihnen ein paar Tipps für ein gesünderes Leben mitzugeben. Und dass die Liebe der Follower die grösste und reinste Liebe ist, die sie kriegen kann. Sylwias Weg hat schon fast etwas Jesushaftes, und noch nie war Narzissmus weniger narzisstisch. Keinen Selfieclick lang möchte man mit ihr tauschen.
«Sweat» läuft ab dem 6. Mai im Kino.