Dies vorneweg: «Oxana» ist ein niederschmetternder Film, der keinerlei Hoffnung zulässt. Ein trauriger Film. Ein Film über eine junge Frau, deren Schicksal wir kennen: Oxana (oder Oksana) Schatschko, die mit 31 Jahren aus dem Leben ging. Die sich am Abend ihrer ersten und grossen Vernissage als vermeintlich freie Künstlerin in Paris erhängte.
Die Männer, gegen die sie vor über einem Jahrzehnt gekämpft hat und die sie gebrochen haben, die sie ins Gefängnis werfen liessen, folterten und mit dem Tod bedrohten, sind immer noch da, heissen Lukaschenko und Putin, vor allem Putin. Der Mann, der Oxanas Heimat, die Ukraine, zugrunde richtet.
Die französische Regisseurin Charlène Favier hat es auf sich genommen, aus Oxanas Leben einen Spielfilm zu machen, hat eng mit Oxanas Mutter zusammengearbeitet, hat ihre ukrainischen Schauspielerinnen während Putins Angriffskrieg auf ihr Land gecastet und betreut. Die Bedrohung ihrer Heimat, ihrer Existenz, auch die Lebensbedrohung ihrer Familien zuhause gab dem Spiel der jungen Frauen eine Aktualität, eine Dringlichkeit, die überwältigend ist. Albina Korzh als Titelheldin ist ein Wunder aus Wut und Verwundbarkeit.
Favier hat Oxanas letzten Tag als Rahmen für ihre Lebenserzählung gewählt, den 23. Juli 2018, es ist ein langer, rastloser, getriebener Tag, der schliesslich mit der ewigsten Pause von allen endet. Dazwischen sehen wir ihr Leben, Favier hält sich schmerzhaft genau an alles, was wir über Schatschko wissen, aus ihren Aktionen, ihren Texten, ihren Bildern, den diversen Dokumentarfilmen, die über sie und Femen schon gedreht wurden, allen Medienberichten, die es über sie gibt.
Sie kam 1987 in der ukrainischen Kleinstadt Chmelnyzkyj zur Welt, die Eltern arbeiteten beide in einer Fabrik, verloren ihren Job, das künstlerisch hochbegabte Kind Oxana trägt schon mit 12 Jahren wesentlich zum Einkommen der Familie bei, sie arbeitet nämlich für die orthodoxe Kirche als Ikonenmalerin. Und sie ist schon damals vom Gedanken beseelt, dass ihr Leben einem höheren Ziel gehorchen müsse, sie will ins Kloster. Die Eltern sind dagegen. Und allmählich wandelt sich Oxanas religiöser Eifer in die weltlichste aller Protestmethoden: den Nacktprotest. Oxana und ihre Freundinnen gründen Femen.
Zuerst beginnt alles mit dem intellektuellen Widerstand von ein paar Teenie-Mädchen, die Zetkin und Bebel lesen und sich daneben Gedanken über Mode und Beauty machen. Dann erfahren sie am Fernsehen das Schicksal einer andern Oxana. Sie ist erst 18, wurde von drei Männern (Söhne ehemaliger Beamten, deren Strafverfolgung schnell wieder aufgehoben wird) bewusstlos geschlagen, vergewaltigt, in ein Tuch gewickelt und angezündet.
Schatschko und ihre Freundinnen protestieren in Kiew für die 18-Jährige, die sterbend im Spital liegt. Sie protestieren weiter, gegen einen Arzt, der Frauen mit falschen Bluttransfusionen tötet, gegen Sextourismus. Und eines Tages protestieren sie mit nackten Brüsten. Weil sie damit rechnen, dass sie damit in die Medien kommen und dass die Medien, quasi die grösstmögliche Öffentlichkeit, ihr Safe Space gegen Polizeigewalt sein könnten.
Das Sexualobjekt wird zum Protestsubjekt, ihr Logo zeigt zwei Brüste in den Farben der Ukraine, sie nennen sich jetzt Femen, sie sind eine Bewegung, die jung, laut und oft voller Spass ist. Oxana ist die Kreativdirektorin hinter den Aktionen, ihre Mutter flicht den Mädchen in begeisterter Solidarität und immer auch in grosser Angst die berühmten Blumenkränze, zuerst geht das gut, sie haben Erfolg, im Ausland bilden sich weitere Femen-Gruppen.
Bei einer Anti-Lukaschenko-Aktion in Weissrussland werden sie von maskierten Männern gefangen genommen, in den Wald gefahren, müssen sich ausziehen, werden mit Benzin übergossen. Bei einem Anti-Putin-Protest wird Oxana in Moskau zwei Wochen lang in Isolationshaft gesteckt. Beide Arme werden ihr gebrochen. Schwer verletzt flieht sie nach Paris, es gibt zuhause keine Sicherheit mehr.
Sie wird für immer Femen bleiben, auch wenn sie mit der kultartigen Pariser Femen-Gruppe nichts mehr verbindet, sie kann mit den «Liberté, Nudité»-Rufen und den militärisch choreografierten Märschen nichts anfangen, es fehlt ihr in allem die Seele, der existenzielle Widerstandskampf und die Reflexion. Sie hat alles verloren, ihren Glauben an Gott, ihren Glauben an das Gute im Menschen, ihre Heimat, die alten Gefährtinnen. Ihr bleibt nur die Kunst.
«Oxana» ist nicht zuletzt ein guter Film über die Kunst, die in Filmen und Serien oft dargestellt wird, als würde es sich dabei um eine sexuell übertragbare Krankheit handeln, die zu hysterischen Anfällen und absolut grässlichen Werken führt. Favier nimmt Schatschkos Kunst ernst, zeigt sie in ihrem groben Aktionismus, aber auch in ihren herzzerreissenden Feinheiten, stellt sie dar als Normalität und Notwendigkeit ihrer Schöpferin.
Oxana malt bis zuletzt blasphemische Ikonen, malt Jesus, der vom Kreuz geholt und von seinen Jüngern befriedigt wird, oder Maria in einer Burka. Vermählt die Erinnerung an ihre Religiosität mit dem Zynismus einer Desillusionierten.
Ihre armen Arme heilen, ihr Herz bleibt gebrochen. Und dann befiehlt sie ihm, still zu stehen.
«Oxana» läuft ab dem 1. Mai im Kino