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Russland steckt wohl hinter Paket-Brandanschlägen auf Frachtflugzeuge

The airplane arrives during the official launching ceremony of the Airbus A330-200 cargo airplane by the European Air Transport Leipzig GmbH (EAT) at the European DHL Express air freight hub in Schkeu ...
Ein A330-200 des deutschen Logistik-Unternehmens DHL. Nur durch Zufall zündeten die Magnesium-Brandsätze nicht in der Luft.archivBild: AP

Russland steckt wohl hinter Terror-Anschlägen auf Frachtflugzeuge – das wissen wir

Als Luftpost aufgegebene DHL-Pakete mit explosivem Inhalt hätten in Europa beinahe zur Katastrophe geführt. Für solche Anschläge soll der russische Militärgeheimdienst «Wegwerf-Agenten» einsetzen.
24.04.2025, 10:2124.04.2025, 13:21
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Brandsätze mit Zeitzündern. Im Frachtraum grosser Maschinen, die Städte in Europa anfliegen.

Was nach einem spannenden Thriller klingt, hat sich 2024 als knallharte Realität herausgestellt. Und nun zeigen die Recherchen deutscher Investigativ-Journalisten, dass wohl der Kreml dafür verantwortlich ist.

Europäische Sicherheitsbehörden gingen davon aus, dass hinter der länderübergreifenden Operation der russische Militärgeheimdienst GRU stecke: Dies berichteten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten WDR und NDR und die «Süddeutsche Zeitung» am Mittwoch.

Demnach konnten bei gemeinsamen Recherchen mehrere Verdächtige in einem als vertraulich geführten Ermittlungsverfahren identifiziert werden. Dazu gehörten «hochrangige mutmassliche GRU-Mitarbeiter».

Laut den Ermittlungen kam es nur durch Zufall nicht zur Katastrophe: Die Brandsätze zündeten, als sich die Pakete am Boden, nicht im Flugzeug befanden.

«Offiziell halten sich die Behörden weiterhin bedeckt, und das, obwohl die Ermittler in Polen, Deutschland, England und Litauen weit vorangekommen sind.»
quelle: tagesschau.de

Wie wurden die Anschläge entdeckt?

Im Mittelpunkt der internationalen Ermittlungen stehen mehrere Paketsendungen, die versteckte Brandsätze enthielten und am Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius bei einer DHL-Station aufgegeben wurden:

  • Zwei dieser Pakete sollten im Juli 2024 per Flugzeug von Litauen aus nach Polen verschickt werden.
  • Zwei weitere Pakete sollten von Litauen aus nach Grossbritannien spediert werden.
  • Eines der Pakete mit Ziel London ging bei einer Zwischenlandung in Leipzig in Flammen auf.
  • Weitere Brände ereigneten sich in DHL-Lagerhäusern in Jablonowo (Polen) und Birmingham (UK).

Wie Fotos des Brandes auf dem DHL-Gelände in der Nähe des Flughafens in Birmingham zeigten, gab es zunächst eine grosse Stichflamme. In der Folge war das brennende Paket nur schwer zu löschen.

Vom Wall Street Journal veröffentlichtes Bild zeigt ein brennendes Luftfracht-Paket am Boden.
Dieses Foto eines brennenden Pakets hat das «Wall Street Journal» veröffentlicht.Screenshot: ard.de

Damit sei die russische Geheimdienst-Operation aber nicht abgeschlossen gewesen. «Anfang August 2024 soll ein Mann von Warschau aus ein Paket in die USA und eines nach Kanada verschickt haben.» Bei jenen Versuchen sei aber kein Brandsatz enthalten gewesen.

«Die polnische Staatsanwaltschaft glaubt, dass die Gruppe den ‹Transportweg für solche Sendungen› prüfen wollte. Seither fragen sich europäische Sicherheitsbehörden, ob auch Brandsätze in die USA geschickt werden sollten.»

Anzumerken ist, dass die unheimliche Serie der Paket-Brandsätze noch im selben Jahr stoppte. Laut Bericht hätten Verantwortliche in den USA dem Kreml deutlich gemacht, dass sie wüssten, wer dahinterstecke – und dass keine weitere Eskalation geduldet werde. «Schon gar nicht bei Flügen nach Nordamerika.»

Woraus bestanden die Brandsätze?

Gemäss den Ermittlungen handelte es sich um Brandsätze auf Magnesiumbasis. Das heisst, sie hätten im Frachtraum von Verkehrsmaschinen wohl auch in grosser Höhe gebrannt, wo kaum Sauerstoff vorhanden ist. Zudem hätten Sprinkleranlagen den Brand nicht gelöscht.

Die Untersuchungen ergaben, dass die Brandsätze als elektrische Massagegeräte, Sexspielzeug (Vibratoren) und Kosmetiktuben getarnt waren.

Sicherheitskontrolle: verdächtiges Paket mit Brandsatz
Die in Massagekissen versteckten Magnesium-Brandsätze wurden beim routinemässigen Durchleuchten nicht entdeckt.Screenshot: ard.de

Weder das routinemässige Öffnen der Pakete in der DHL-Paketstation noch die Scans der Flughafen-Sicherheitskontrolle führten zur Entdeckung.

Wer hat die Anschläge ausgeführt?

Der russische Geheimdienst rekrutiert im Internet Handlanger, die sich prorussisch geäussert haben, und ködert sie mit einfach verdientem Geld.

In mehreren europäischen Ländern laufen noch Ermittlungen wegen einer der spektakulärsten Geheimdienst-Operationen der vergangenen Jahre.

In den vergangenen Monaten sind mehrere Personen in Litauen, Polen, Bosnien-Herzegowina und zuletzt Grossbritannien verhaftet oder vorübergehend festgenommen worden. Ihnen wird vorgeworfen, mit dem Verschicken der Brandsätze zu tun gehabt zu haben.

Die Ermittler bezeichnen sie als «Wegwerf-Agenten» oder «Low Level»-Agenten. Es sind Personen, die über Messenger-Dienste wie Telegram anonym angeworben werden, «um für einen geringen Geldbetrag eine vielleicht harmlos erscheinende Aufgabe zu erfüllen». Die Bezahlung erfolgt in Kryptowährungen (Bitcoin).

Zu diesen Wegwerf-Agenten zählt ein 26-jähriger Ukrainer, der in Polen lebte. Offenbar ein Kleinkrimineller, der in seiner Wahlheimat bereits von einem Gericht wegen Cyberbetrugs und Geldwäscherei zu zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden war, aber die Gefängnisstrafe noch nicht angetreten hatte.

In der polnischen Hauptstadt Warschau lotsten ihn die Hintermänner zu einem geparkten Fahrzeug, in dem die Pakete mit den Brandsätzen lagerten. Daraufhin reiste er mit dem Auto nach Vilnius, wo er die versteckten Zeitzünder aktivierte und die gefährliche Fracht an einen litauischen Bürger russischer Herkunft überreichte. Dieser gab sie als Luftpost bei der DHL-Paketstation auf.

Dieser Screenshot zeigt einen mutmasslichen Täter der Paket-Brandanschläge.
Eine Überwachungskamera hat den mutmasslichen Paket-Absender erfasst.Screenshot: ard.de

Was wissen wir zu den Hintermännern?

Bei den Sabotageaktionen gab es wohl zahlreiche Zwischenglieder zwischen den Geheimdienst-Offizieren und den unmittelbaren Ausführenden. Dies wird so gemacht, um die Nachverfolgung zu erschweren.

Russland setzt laut Bericht verstärkt auf Wegwerf-Agenten, da Hunderte professionelle Geheimdienstler nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs 2022 ihre Botschaftsposten in Europa verlassen mussten.

Die Ermittler seien aber auch mutmasslichen Hintermännern auf die Spur gekommen. Die polnische Staatsanwaltschaft werfe dem Russen Aleksandr B. die «Koordinierung von Sabotageakten» vor.

Das Investigativ-Medium Dossier Center hält fest:

«In den [russischen] Datenbanken gibt es für Bezrukavy keine Übereinstimmungen mit GRU-Adressen oder Militäreinheiten im Allgemeinen, und seine umfangreiche kriminelle Biografie könnte darauf hinweisen, dass er aus der kriminellen Welt rekrutiert wurde – eine gängige Praxis bei den Geheimdiensten.»

Gemäss westlichen Nachrichtendiensten sei auch ranghohes GRU-Personal in die Sabotage-Aktionen eingebunden gewesen: Im Verdacht stehe unter anderem der GRU-Oberst Denis Smolyaninov, der Ende 2024 von der Europäischen Union (EU) sanktioniert wurde.

Welche Ziele verfolgt Russland mit solchen Anschlägen?

Wladimir Putin führt einen hybriden Krieg gegen den Westen und das verhasste freiheitlich-demokratische System. Seit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine hat der russische Despot auch abseits der Schlachtfelder die Angriffe eskaliert.

Zu den strategischen Zielen des Kreml gehört, westliche Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterbinden sowie die militärische Ausbildung und medizinische Rehabilitation ukrainischer Truppen in Europa zu stören.

Die russischen Geheimdienste (es gibt mehrere, alle unterstehen Machthaber Putin) versuchen mit perfiden Methoden, den Ausbau der europäischen Verteidigungsfähigkeiten zu sabotieren und Zwietracht zwischen den NATO-Verbündeten zu säen.

Ukrainische Geheimdienstler warnen, dass hinter vermeintlich kleinen Sabotageakten und Provokationen der Russen gefährlichere Absichten stecken.

«Ziel ist es, einen Terroranschlag durch Stellvertreter zu organisieren, den Zielstaat zum Ressourceneinsatz zu zwingen, ein Feindbild zu schaffen und die Gesellschaft weiter zu destabilisieren. Chaos dient der Ablenkung und ermöglicht es anderen Operationen, unentdeckt fortzuschreiten.»

Putin unternehme keine plötzlichen Schritte, sondern steigere die Aggressivität schrittweise. Auf diese Weise gelinge es den russischen Geheimdiensten, ihre Zwischenziele zu erreichen, ohne eine übermässige Reaktion der europäischen Länder zu provozieren.

Das Hauptziel der Operation bestand den Ermittlern zufolge darin, die Sicherheitsmassnahmen für den Luftfrachttransport zu testen – zunächst innerhalb Europas und dann auf transatlantischen Strecken.

«Den GRU interessierte vermutlich, welche brennbaren Stoffe auf Scannern und Röntgenbildern zu sehen sind, wie gründlich die Pakete kontrolliert werden und wie schnell sie ausgeliefert werden.»

Die russische Botschaft in Berlin bestritt laut Bericht, dass Moskau hinter den Vorfällen stecke und sprach von «Paranoia» und «Verschwörungstheorien».

Warum ist das viel gefährlicher als manche glauben?

Der Erfolg solcher Attacken wird aus Sicht des Aggressors nicht am angerichteten physischen Schaden gemessen. Es genügt, wenn die Menschen verunsichert werden und dem eigenen Staat nicht mehr vertrauen.

Besonders perfid: Die russischen Geheimdienste nutzen russischsprachige Menschen, die in den sicheren Westen geflüchtet sind, für ihre kriminellen Zwecke. Ukrainische Offiziere, die sich mit der russischen Infiltration in ihrer Heimat beschäftigt haben, haben deshalb eine eindringliche Warnung an den Westen gerichtet:

«Flüchtlinge sind aufgrund ihrer prekären Lage oft anfällig für religiöse und ideologische Manipulationen und werden zu einem Werkzeug der Destabilisierung des Aufnahmelandes. Obwohl nicht alle Einwanderer ein Risiko darstellen, ist es ein Fehler, diese russische Taktik zu unterschätzen.

Der Kreml instrumentalisiert alle Flüchtlinge als Druckmittel gegen westliche Gesellschaften, da der Zustrom die Staatshaushalte belastet und Mittel aus der Verteidigung abzieht. Dabei stellen russischsprachige Diaspora-Gemeinschaften in der EU, Grossbritannien und den USA eine besondere Bedrohung dar.»
quelle: bylinetimes.com

Wenn es Russland gelingt, Chaos und Schrecken in den freiheitlich-demokratischen Staaten zu säen, könnte dies letztlich politische Kräfte an die Macht bringen, die nicht bereit sind, die Ukraine weiter zu unterstützen. In den westeuropäischen Ländern sind es durchs Band rechtspopulistische Parteien, von der AfD bis zur SVP, die durch ihren Putin-freundlichen Kurs negativ auffallen.

Der GRU ist innerhalb des russischen Geheimdienstapparates für die schmutzigen Jobs zuständig. Seine Mitarbeiter führen auch Anschläge gegen Feinde des Kreml aus. Die gezielten Tötungen erfolgen im Auftrag von Wladimir Putin oder zumindest mit dessen Billigung. Und die GRU-Offiziere in Moskau beschäftigen sich zudem seit Jahrzehnten mit der Frage, wie man dem Luftverkehr der Feinde Russlands am besten schaden kann.

In geleakten russischen Geheimdienst-Dokumenten wird laut Dossier Center beschrieben, wie der Funk zwischen Piloten und Bodenpersonal gestört und wie das sogenannte Instrumentenlandesystem (ILS) behindert werden kann. Diese Technik wird von Passagierflugzeugen standardmässig genutzt. «Piloten und Tower sollen einander nicht mehr hören, sondern verwirrt werden.»

Wie das russischsprachige Investigativ-Medium weiter festhält, begannen die russischen Geheimdienste spätestens 2014 damit, sich mit der Störung von GPS-Signalen (bei Flugzeugen) und dem Manipulieren der Flugverkehrs-Kommunikation zu befassen.

«Menschenleben interessieren sie nicht. Ein Flugzeug runterzuholen ist akzeptabel für sie.»
Darius Jauniškis, langjähriger Chef des litauischen Geheimdienstes, VSD

Quellen:

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147 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Blindfish
24.04.2025 10:26registriert März 2025
War zu vermuten !
Wen wundert das noch ?
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ELMatador
24.04.2025 10:41registriert Februar 2020
Diese Taten sind kriegerische Akte und sollten auch als solche bezeichnet werden. Es ist an der Zeit, dass man versteht, dass Neutralität nicht bedeutet, einfach nichts zu tun. Nicht zu handeln ist ebenfalls eine Entscheidung.

Russland und all seine Verbündeten müssen klar als Gegner des Friedens und der Demokratie bezeichnet werden. Die Gelder, die in unseren Banken liegen, sollten beschlagnahmt und der Ukraine übertragen werden.

PS: Liebe SVP, es sind Angriffe auf die Weltordnung. Unsere Wirtschaft und unsere Neutralität – lasst ihr euch das wirklich gefallen?
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Fernrohr
24.04.2025 12:11registriert Januar 2019
Das ist ein staatlich gelenkter Angriff auf ein NATO-Land, oder etwa nicht? Doch ich fürchte, das hat keinen Einfluss auf Trumps 'Deal' mit den Ruzzen. So weit sind wir also schon!
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