Die Familie Fennell hat noch nie ein Geheimnis aus ihrem Reichtum gemacht und ganz gut Kapital daraus geschlagen. Papa Theo Fennell sagt: «Ich bin ohne das Wissen über die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, gross geworden.» Seine Eltern waren schon reich, er besuchte das Elite-College Eton, danach wurde er Schmuckdesigner, sein bester Kunde ist Elton John, den Stil kann man sich vorstellen, zu viel ist nie zu viel. In England nennt man Theo Fennell «the king of bling».
Er liebt es abgedreht, ein Silbermesser mit Jack the Ripper als Griff oder Manschettenknöpfen, auf denen man durch ein Zielfernrohr auf (vermutlich deutsche) Zweitweltkriegs-Schiffe und Flugzeuge blickt. Mama Louise Fennell schrieb ein paar Superreichen-Insider-Trashromane wie «Dead Rich» und «Fame Game». Ihre Tochter haben sie Emerald getauft. Smaragd. Wie man das in einer Juweliersfamilie eben so macht.
Emerald Fennell ist heute 38, sie hat selbst in Oxford studiert und ist schon ihr halbes Leben lang Schauspielerin. Sie hat an der Seite von Keira Knightley eine russische Prinzessin in «Anna Karenina» und in «The Crown» die junge Camilla gespielt, sie war mit Eddy Redmayne in «The Danish Girl» und die ewig schwangere Puppe Midge in Greta Gerwigs «Barbie».
Nach 30 stieg sie gross als Drehbuchautorin ein, weltberühmt wurde sie 2018 mit ihren Drehbüchern für die Serie «Killing Eve», 2021 gewann sie ihren ersten Oscar für das Drehbuch von «Promising Young Woman», das punkfeministische Rache-Drama mit Carey Mulligan, bei dem sie auch Regie führte. Und jetzt ist ihr neuer Film «Saltburn» der überragende Hit auf Amazon Prime. Und das riesengrosse Gesprächsthema auf TikTok. Kurz nach dem Streamingstart sprengten die TikTok-Beiträge bereits die 4-Milliarden-Views-Grenze.
In unzähligen Clips sind da die beiden Hauptdarsteller Jacob Elordi (einfach nur schön) und Barry Keoghan (pervers) zu sehen. In Hunderten von Clips stellen sehr junge Menschen, vorwiegend Frauen mit teuer gepflegten Haaren, die Schlussszene aus «Saltburn» nach, Barry Keoghans Nackttanz. Nur sind sie dabei nicht nackt. Aber wie er führen sie tanzend durch die Villen, Landhäuser und schlossähnlichen Behausungen ihrer Familien. Es ist erschütternd, wie viele dieser Jungreichen es gibt. Aber wieso tun die das?
«Saltburn» gilt als «umstrittenster Film der Saison» («Guardian»), die einen finden ihn grandios, die anderen grandios gescheitert, im Kino lief er kaum, der Durchbruch kam auf Amazon Prime. Tatsächlich hat er dramaturgisch ein paar Herzrhythmusstörungen, die scharfe Konsequenz von «Promising Young Woman» ist hier eher holpernd, aber insgesamt ist das schon ein grosses, teuflisches, sensationell gespieltes und opulent inszeniertes Vergnügen. Er ist, wie schon «Promising Young Woman», ein Rache-Epos, aber kein «Revenge Porn», sondern ein «Revenge Property Porn», ein Immobilien-Porno mit einem Twist also.
Barry Keoghan, eben noch der geistig etwas dürftig ausgestattete Junge aus dem irischen Kaff in «The Banshees of Inisherin», ist jetzt Oliver Quick, ein finanziell angeblich minderbemittelter Student, der in Oxford dem Charme des schönen, entspannten, grosszügigen Rich Kids Felix Catton (Jacob Elordi) verfällt. Im Jahr 2007, retro, sagt Emerald Fennell dazu, aber nicht so retro, dass man schon nostalgisch werden könnte, das Retro-Gefühl sollte fürs Publikum eher ein bisschen unangenehm sein, awkward eben, man soll sich daran erinnern, dass man vielleicht etwas Ähnliches wie die Filmkostüme noch in einer dunklen Ecke des Kleiderschranks liegen und dass man zum Filmsoundtrack mal ausgelassen getanzt hat.
Und wie es in England nun einmal so ist – wir kennen das aus Film gewordenen Luxus-Immobilien-Anzeigen wie «Brideshead Revisited», «Gosford Park» oder «Downton Abbey» – besitzt der Catton-Clan seit Hunderten von Jahren einen prächtigen Landsitz: Saltburn – Salzbrand, das Salz, das brennt, wenn es in eine Wunde gestreut wird. Denn wie eine Wunde klafft in Oliver die Leere des Besitzlosen und des Menschen ohne nennenswerten Stammbaum.
Er enflammt: für Felix, für dessen Schwester, vor allem aber für Saltburn selbst. Und er macht sich auf den kriminellen Kreuzzug einer Aneignung. So wie «Saltburn» auch die Aneignungs-Orgie der Emerald Fennell ist. Sie bezieht sich dabei, ohne ein Geheimnis daraus zu machen, auf drei Vorbilder: Patricia Highsmiths talentierten Mr. Ripley, Hitchcocks «Psycho», und den mehrfach verfilmten Roman «Brideshead Revisited» von Evelyn Waugh.
Auch Brideshead ist der Name eines Herrenhauses, auch da verliebt sich ein junger Student, der nicht aus gehobenen Verhältnissen stammt, in das Haus, in den Sohn und die Tochter, doch am Ende bleibt er ein Ausgestossener, ein Ungenügender, der letzte Zutritt zu Brideshead und der damit einhergehende Klassenwechsel bleiben ihm verwehrt. Oliver Quick hingegen wird gute Gründe haben, splitternackt durch Saltburn zu tanzen. Sein Soundtrack: «Murder on the Dancefloor» von Sophie Ellis-Bextor, 2001 schaffte sie es damit auf Platz zwei der britischen Charts, jetzt ist sie dank «Saltburn» wieder auf Platz zwei. Die Rich Kids tanzen dazu auf TikTok ihre Hausbesichtigungen.
@sophieebtiktok Heading into 2024 like… Happy Saltburn New Year! Xx #murderonthedancefloor #sophieellisbextor #saltburnmovie ♬ Murder On The Dancefloor - Sophie Ellis-Bextor
@meg_coombs1 Dancing round my fiancés family home like… #saltburn #statelyhome #murderonthedancefoor #dancing #saltburnmovie #fyp #foryoupage ♬ original sound - Prime Video
Wie Ripley ist Oliver ein ungemein geschmeidiger und mörderischer Hochstapler, der blitzschnell (quick, eben) dazulernt. Und wie in «Psycho» besetzte Emerald Fennell die Rolle des Bösewichts mit einem Schauspieler, der bis dahin ein reiner Publikumsliebling war. In «Psycho» wurde aus dem herzigen Anthony Perkins das Böse schlechthin. Aus «Brideshead» und «Psycho» zitiert sie ganz direkt ikonische Bilder – das Sperma im abfliessenden (und von Oliver geschlürften) Badewasser von Felix entspricht dem Blut im abfliessenden Duschwasser in «Psycho», und wie der Patriarch von Brideshead hängt auch Elspeth Catton (Rosamund Pike) irgendwann an der Beatmungsmaschine.
Selbstverständlich hat die Innendekorations-Presse bereits herausgefunden, wo es die Badewanne von Felix zu kaufen gibt, und die Duftkerze mit dem Namen «Jacob Elordi's Bathwater» existiert auch bereits.
«Saltburn» ist so was wie die pittoreske Rache an der ganzen britischen Oberschichts-Verherrlichungs-Industrie. Und zugleich an denen, die ihre Träume und Sehnsüchte darauf projizieren. Auf die Häuser, die Titel, den Lifestyle. Es gibt in diesem System nichts Gutes, sagt Fennell, die das wissen muss, Geld oder das Streben danach verdirbt restlos jeden Charakter und macht amoralisch.
Aber natürlich sagt der Film das nicht so tranig, wie das jetzt klingt, dekadente Verblödung und schäbiges Emporkommen werden mit grenzwertigstem britischen Sarkasmus und in schön dekadenten Bildern zelebriert. In Bildern, die so memetauglich sind wie sonst nur Eichhörnchen, die Babykatzen kraulen. Da ist der schöne Felix. Da ist Oliver, der sich vampirgleich die Körpersäfte der Cattons und damit den Lebenssaft ihrer Existenz einverleibt, das Badewasser ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Und so weiter, die «Höhepunkte» von «Saltburn» sind nach einem kurzen schockierten Schluckauf des Publikums schnell Populärkultur geworden.
@olddownestate The Marketing Girls After Watching #saltburn 🥀🥃 #fyp #saltburnmovie #jacobelordi #saltburndance #olddowncountrypark #murderonthedancefoor #barrykeoghan #marketinggirlies #marketinggirl #manorhouse ♬ original sound - Prime Video
Superreiche sind die Unterhaltungs-Freaks der Stunde, und solange sie das sind, besteht auch gar kein Grund, ihre spassige Dekadenz aus der grossen Honigschleuder namens Fiktion wegzudenken. Unzählige Serien widmen sich ihren Häusern, Kleidern, ihrer privilegierten Realitätsferne und ihrer Korruptheit. Sie heissen «Succession», «White Lotus», «The Fall of the House of Usher», «Big Little Lies», «The Crown», «The Undoing», «Billions», «Expats» (erstaunlich oft spielt darin Nicole Kidman eine leidende reiche Frau) und so weiter. Vieles ist noch unterirdischer als «Die Geissens».
Die realen Reichen betrachten dies wohl mit narzisstischer Freude und als Auswuchs einer Neidkultur, die noch genüsslich geschürt werden kann, indem man auf TikTok durch seine Villa tanzt. Man will ja zeigen, was man sich wert ist.