Sota liebt Sashimi. Aber Sota ist noch sehr klein, etwas über drei Jahre alt vielleicht, und hat keine Ahnung, wie Sashimi im Urzustand aussieht. Sotas Vater ist Fischer. Nachts fährt er im Boot aufs Meer hinaus, am Morgen schickt er Sota mit drei frisch gefangenen Fischen zum Fischhändler, damit dieser sie zu Sashimi verarbeitet. Sota muss auch noch Früchte und Milchpulver für seine kleine Schwester kaufen.
Es ist die erste Besorgung, die er alleine macht. Und es ist ein Abenteuer. Denn Sota wird gegen die Schwerkraft, den Ekel und gegen ein Büsi, das es auf seine Fische abgesehen hat, kämpfen müssen. Doch er wird alle Hindernisse überwinden. Vor allem für seine kleine Schwester, als deren Beschützer er sich betrachtet. Und natürlich schmeckt das Sashimi am Ende köstlich.
Sota ist einer von vielen kleinen Heldinnen und Helden der japanischen Reality-Show «Old Enough!». Sie läuft seit dreissig Jahren, pro Jahr gibt es davon nur zwei Folgen, beide dauern drei Stunden, Kinder zwischen zwei und sechs Jahren bewältigen darin gemeinsam oder allein eine kleine Aufgabe in ihrer Nachbarschaft, man muss sich dies im Original wohl als Slow-TV mit Kleinkindern vorstellen. Jetzt hat Netflix 20 Folgen des japanischen Publikumslieblings gekauft und jede Folge auf unter 20 Minuten eingedampft. Und was erst einmal nach darwinistischer Freakshow klingt, ist bei näherem Hinschauen absolut entwaffnendes «Jöh!»-TV.
Wie sich Naoki (3 Jahre und 10 Monate) und seine Freundin Seina (3 Jahre und 11 Monate) gegenseitig anfeuern, um die 202 Treppenstufen hoch zu einem Heiligtum zu bewältigen, ist hochgradig komisch und rührend. Und wenn Naoki oben bemerkt, dass es wirklich viele hübsche Mädchen gibt, lacht man Tränen. Und als die viereinhalbjährige Inselbewohnerin Hinako, deren Grossmutter Austern-Taucherin ist, nach langem Nachdenken erkennt, dass sie einen Kohlkopf nicht durch Reissen, sondern durch Drehen von seinen Wurzeln trennen kann, möchte man ihr lautstark applaudieren.
Das Casting der Kids, so heisst es beim Produzenten Nippon TV, sei langwierig und unterliege grössten Vorsichtsmassnahmen. Die Quartiere, in denen gedreht wird, sind so gut wie verkehrsfrei, ein riesiges Kamera- und Betreuungsteam folgt den Kindern (und wird von diesen gelegentlich auch angesprochen, was wiederum zu den lustigsten Ausreden der Erwachsenen führt), jede Ladenbesitzerin und jeder Fischverkäufer ist eingeweiht.
Einerseits kann man sich fragen, was die Kinder aus «Old Enough!» von dem Format und ihren Eltern halten, wenn sie grösser sind, und sehen, wie sich Millionen von Menschen an ihren Missgeschicken, ihren lustigen Selbstgesprächen oder ihren Tränen ergötzen. Andererseits gelten japanische Kinder tatsächlich früher als europäische oder amerikanische als «alt genug», um Schulwege und Einkäufe alleine zu schaffen. Amerikanische SUV-Eltern, die ihre Kinder jahrelang zur Schule fahren, lernen jetzt erstaunt, dass im kriminalitätsarmen Japan Primarschüler alleine U-Bahn fahren und sich getrauen, fremde Erwachsene anzusprechen und um Hilfe zu bitten.
Wie in jeder guten asiatischen Produktion ist Essen ein Herzensthema von «Old Enough!». Ein Grossvater betreibt eine Mandarinenplantage, ein Vater ist Sushi-Koch, ein anderer stellt Soba-Nudeln her. Oft müssen die Kinder Dinge besorgen, die sie selbst gerne essen. Naoki und Seina haben die gute Idee, dass sie die Last ihrer Einkäufe minimieren könnten, indem sie einen Teil schon unterwegs verzehren. Anstrengung führt in vielen Fällen zu Belohnung durch Genuss. Ein Erziehungsprinzip mit durchschlagendem Erfolg. Und auch zum Zuschauen höchst befriedigend.
An ein paar Dinge von «Old Enough!» muss man sich gewöhnen – Lacher ab Konserve, den Kommentator, die fruchtgummiartigen Schriftzeichen, die immer mal wieder übers Bild tanzen. Und daran, dass in Japan offenbar sehr oft schlechtes Wetter herrscht. Abgesehen davon ist das Format (das bereits von England, Italien, China, Vietnam und Singapur eingekauft wurde) unwiderstehlich süss und ausnehmend positiv. Ein Seelenwärmer und ein Trostpflaster – mindestens von der Grösse einer Sushi-Rollmatte.
Ich hab mich getäuscht. Es ist goldig. 🥰
13 Folgen später und um 23:45, bin ich hin und weg. Die kleinen sind einfach nur goldig! 😍
Da wird einem einfach nur warm ums Herz.
Werde mir morgen abend noch die restlichen 7 folgenden ansehen.