Na, wie geht's euch? Habt ihr «The Crown» schon geschaut? Seid ihr geflasht von Gillian Andersons Maggie Thatcher? Und habt ihr euch auch schon gefragt, wie das wohl so ist in der Liebesbeziehung zwischen Gillian Anderson und dem Drehbuchautor und «The Crown»-Erfinder Peter Morgan?
Nun, die beiden sind seit 2016 zusammen, und irgendwann, wahrscheinlich Ende 2018, Anfang 2019 gibt es diesen etwas sonderbaren Tag: Auf Netflix läuft «The Crown», Gillian Anderson nimmt das ganze Getue der Briten um die Queen und ihre Anverwandten amüsiert und distanziert wahr, denn sie lebt zwar schon länger in London, ist aber Amerikanerin.
Als Margaret Thatcher 1979 britische Premierministerin wurde, da zogen Gillians Eltern nach ein paar Jahren in Puerto Rico und England nach Grand Rapids, Michigan, und Gillian wurde einer von insgesamt sechs Grand-Rapids-Punks. Sie war eine miserable Schülerin, sie ging mit einem zehn Jahre älteren Punkrocker, trug Piercings und Haare in jeder möglichen Farbe. Ab und zu wurde sie verhaftet.
Und jetzt steht also ihr aktueller Boyfriend Peter vor ihr und fragt sie: «Willst du meine Margaret Thatcher werden?» Und als sie lacht, sagt er: «Ja genau! Das ist Thatcher!» Gillian Anderson schaut in den Spiegel und erblickt in sich tatsächlich Spuren der verhassten Iron Lady, Alter, Nase, Augen findet sie übereinstimmend. Sie schaut tausend Stunden Aufnahmen von Thatcher und liest Biografien (sie weigert sich, Meryl Streep als Thatcher in «Iron Lady» zu schauen, sie will ihre eigene Fiktion kreieren). Jedenfalls erzählt Gillian Anderson die Sache mit dem Lachen, dem Spiegel und den Aufnahmen genau so.
Und dann ist sie also Margaret Thatcher, zuerst denkt man sich, dass man ihr eventuell leichtes Overacting ankreiden könnte, aber man braucht sich nur einen einzigen Clip mit der echten Thatcher anzuschauen und weiss: Da stimmt die Stimme, da sitzt jedes Kostüm, jedes Haar, jede Intonation, die nach einer Halskrankheit aussehenden Kopfbewegungen, die seltsam schiefen Lippen, der eisige Hauch des Konservatismus, der latente Zynismus von einer, die sich und die Briten für besser hielt als die meisten andern Menschen dieser Welt oder schon nur des Commonwealth.
Es ist eine fabelhafte, hochdifferenzierte Leistung, die Anderson da zustande bringt. Und dank ihrer Thatcher wird der leicht surrealen Welt der Royals endlich wieder so viel Realpolitik gegenüber gestellt, wie in der ersten Staffel mit Winston Churchill.
Im Vergleich zu Thatcher ist die Queen (die vorzügliche Olivia Colman) in der Serie auch sowas wie eine progressive Linke, was natürlich masslos übertrieben ist. Thatcher will Spaltung, Apartheid und Krieg, die Queen, dieser mütterliche Hunde- und Pferdefreak, will das Gegenteil. Nur wenn es um die eigene Familie geht, gibt's nichts als Zucht, Ordnung und Tadel.
Man muss bei «The Crown» immer betonen, dass es sich um Fiktion handelt. Dass die Serie nicht die Geschichte ist, auch wenn sie das noch so überzeugend vermittelt. Dass da enorm vieles, eigentlich alles, was sich hinter den Türen der Paläste und der Downing Street abspielt, erfunden ist. Jeder einzelne private Dialog.
Lord Mountbatten, der Charles (Josh O'Connor) väterlich zugetan war, schrieb auch nicht kurz vor seiner Ermordung durch die IRA einen Brief an Charles, in dem er ihm befahl, sich von Camilla zu trennen. Aber es ist dramaturgisch hübsch. Und wie die Krisengespräche und kurzweiligen Versöhnungen zwischen Charles und Diana liefen, ist ebenfalls unbekannt.
Und wir wissen schon gar nicht, worüber sich die Queen und der arbeitslose Michael Fagan am 9. Juli 1982 unterhielten, nachdem dieser in ihr Schlafzimmer eingestiegen war (wahrscheinlich ist die Fagan-Folge von zehn sehr guten Folgen die beste). Aber natürlich macht es Sinn, wie Fagan, ein Maler und Tapezierer, im Schlafzimmer der Queen steht und ihr klar macht, wie marode ihr altes Schloss eigentlich ist. Das ist alles schamlos erfunden. Und alles toll geschrieben.
Die innerfamiliäre Mechanik der Royals funktioniert gleich wie in der dritten Staffel: Superprivilegierte Leute, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als sich um ihre Pferde (Anne), Gärten (Charles), Villen (Margaret) oder Affären zu kümmern, jammern, dass sie zu kurz kommen und sich in Therapie befinden.
Denn Diana betritt die Bühne zwar als für ihren Prinzen schwärmendes Reh, rächt sich jedoch für ihre Rolle als Alibigattin neben der Geliebten Camilla, indem sie schamlos in der Öffentlichkeit performt. Was für eine Meisterin der Aufmerksamkeitsökonomie und Medienmanipulation!
Und da stimmt nun alles: Die Bälle, die Familienfotos mit William und Harry, das Herzen eines Aids-Babys in New York und Dianas verrückter Auftritt in Covent Garden, als sie eine Geburtstags-Gala für Charles sprengte und mit einem Balletttänzer ein Duett zu «Uptown Girl» tanzte. Charles hasste es damals und hasst es in «The Crown», Presse und Publikum feierten sie dafür.
Überhaupt geht die vierte Staffel weit unsentimentaler mit ihren Heldinnen und Helden um als die dritte. Damals wurde einem das Mitgefühl für die gebrochenen, erschöpften Männer in der zweiten Reihe, also Charles und Philip, quasi unter erhobener Reitpeitsche abgenötigt. Jetzt sind einfach alle böse miteinander. Das macht die Dialoge spitzer und die Handlung weit unterhaltsamer. Besonders Jammerprinz Charles, der offen zwischen zwei Frauen lebt, ist ein verwöhntes, unreifes Arschloch sondergleichen.
Die ganze Dämonie des Gebildes namens Monarchie gipfelt schliesslich in der neunten Folge im Schicksal von fünf im Irrenhaus weggesperrten Cousinen und Cousins der Queen: Die geistig beeinträchtigten Verwandten wurden in den Familienannalen bereits für tot erklärt, damit sie die Mär der «reinen» Blutlinie der Windsors nicht beschmutzten.
Märchen werden in «The Crown» jetzt in einem Fort für tot oder Täuschung erklärt. Dass die Blase, in der sich die Royals befinden, in einem krassen Gegensatz zur Realität ihres (von Thatcher) heruntergewirtschafteten Landes steht, ist offensichtlich. Der Serie tut das gut. Sie ist frischer, schärfer, spannender. Die Pracht darf immer noch prächtig sein, aber ihre Defekte sind jetzt sichtbar.