Es fühlt sich fantastisch an, zertifiziert und kontrolliert mal wieder ohne Maske in einem Kino zu sitzen, ein bisschen wie eine Wiedergeburt. Und ein bisschen wie bei einem Pornodreh. Wo auch alle durch multiple Checks müssen, bevor sie aufeinander losgelassen werden. Jedenfalls ist das alles sehr genau in Ninja Thybergs Spielfilm «Pleasure» zu sehen, einer der Filme, die gerade in ganz Zürich die Werbewände des ZFF zieren. Ein Film, den man gebodigt wieder verlässt. Ein Film wie eine Faust. Und ein Film über die lukrativste Abteilung der Filmbranche überhaupt.
«Pleasure» erzählt die Geschichte einer jungen blonden Schwedin mit dem Künstlerinnennamen Bella Cherry (Sofia Kappel), die nach Los Angeles fliegt, um dort ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Sex, professionell nachzugehen. Sie will ein Pornostar werden, ein richtig grosser, sie hat sehr viel von Lindsay Lohan, die Stimme, den Blick, aber ist doch etwas zurechnungsfähiger als diese und äusserst pragmatisch in ihrem Streben. Was reinmuss, muss rein. Dehnung lässt sich üben, den Würgereiz zu beherrschen auch.
Womit sie nicht rechnet, ist jedoch, dass neben der Lust, die durchaus zum Business gehört, vieles hängenbleibt, was auf Dauer traumatisch ist: Unterwerfung, Erniedrigung, Missbrauch, Schmerz, zunehmende Leere – und die Umkehr des eigenen Traumas in Gewalt. Denn Bella Cherry, die Frau, die ihren Traum vom Superstartum einfach nicht aufgeben will, erlebt ihren euphorischsten Moment, als sie selbst bei einem Dreh eine Konkurrentin mit einem Dildo vergewaltigt. Da bleibt viel Dreck an der Seele kleben.
Ninja Thyberg hat für ihren Film jahrelang in der Pornoindustrie von Los Angeles recherchiert, hat das Vertrauen von Darstellerinnen und Darstellern gewonnen, lernte die vielen roughen und die wenigen fairen, umsichtigen Methoden kennen, den Rassismus der Branche, die Wohngemeinschaften der Starlets, die Agenturen, den Papierkram, den es vor einem Pornodreh auszufüllen gilt, weil sichergestellt werden muss, dass alles einvernehmlich geschieht.
Viele der Leute, die sie kennengelernt hat, spielen jetzt in «Pleasure» mit, bloss Sofia Kappel ist genau das, was sie spielt, eine absolute Newcomerin. Alice im Pornoland. Ein Trip zwischen Staunen und totalem Weltekel. Zwischen der flashy Hiphop-Video-Ästhetik von Sexmessen und Partys und der Einfamilienhaus-Biederkeit der Filmkulissen.
«Pleasure» ist einer von acht Filmen der Reihe #letSEXplore, die am ZFF gezeigt wird, es ist eine Reihe wie ein bunter Wirbel, Thybergs dokumentarisch grundierter Spielfilm steht am einen, der essayistische Berlinale-Gewinner «Bad Luck Banging or Loony Porn» aus Rumänien am andern Ende.
Auch «Bad Luck Banging» von Regisseur Radu Jude beginnt höchst anschaulich: Lehrerin Emi (Katia Pascariu) und ihr Mann drehen gelegentlich Amateur-Videos und stellen sie auf eine Plattform für Erwachsene. Den Ausschnitt, den wir zu sehen kriegen, ist bei allem Realismus sehr lustig, denn der elterliche Sex ist nichts als ein anhaltender Coitus interruptus innerhalb des Familienalltags.
Natürlich geschieht, was nicht geschehen dürfte, das Video gelangt auf YouPorn, die Schule sieht es, die Elternschaft sieht es, und Emi macht sich auf den Weg zu einem Tribunal. Sie geht dafür zu Fuss durch Bukarest, und es offenbart sich da eine Welt der allgegenwärtigen Obszönitäten: die aufgeblasenen Gummitiere einer Spielzeugabteilung, die Werbeplakate für Fitness oder Yoghurt, das sich spermatös auf dem Gesicht einer Frau räkelt, die Wechselstuben, die Pornokinos gleichen, die Sprache der Leute auf der Strasse – alles gibt sich ganz ungeniert sexualisiert und niemand stört sich daran.
Und dann verlässt der Film Emi und die Strasse und öffnet ein «kleines Wörterbuch der Anekdoten, Zeichen und Wunder», zeigt rumänische Nonnen, die die faschistische Jugend besingen und Zweit-Weltkriegs-Fanzines, zitiert Statistiken, etwa, dass sechs von zehn rumänischen Kinder Opfer sexueller Gewalt werden.
Emis Fall wird unterdessen von empörten Eltern ideologisiert, nicht nur die Sache mit dem Video sei verantwortungslos, sie würde den Kindern auch viel zu viel über den Holocaust erzählen und sei womöglich eh eine sexsüchtige Jüdin mit einer wahren Propaganda-Agenda. Es türmt sich da Argument auf Gegenargument, und der Film, der im Untertitel eine «Skizze für einen volkstümlichen Film» heisst, veranstaltet eine irrwitzige Übersteigerung von allem, was die Vorurteile hergeben. Die Verteidigung der Prüderie gebiert rhetorische Monster.
Gedreht hat Radu seinen (sichtbar) während der Pandemie entstandenen, aufklärerisch gemeinten Film in den gleichen Farben wie die Partys und Erotikmessen in «Pleasure», von allem viel, da wird nicht am Sättigungsgrad gespart. Doch natürlich hat dies bei Radu auch mit ganz anderen Messen zu tun, den katholischen nämlich, in denen bekanntlich Lust und Leid genauso hemmungslos zelebriert werden wie in den pornografischen. In Russland ist Radus Film verboten. Wegen «Promotion von Pornografie».
«Bad Luck Banging or Loony Porn» startet am 30. September in den Deutschschweizer Kinos ausser in Zürich, da läuft der Film ab dem 7. Oktober. Am ZFF ist er am 25. und 29. September zu sehen.
«Pleasure» ist am ZFF am 25. und 29. September sowie am 1. Oktober zu sehen. Der Film läuft ab dem 13. Januar 2022 im Kino.
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Man kann doch nicht einfach so eine krasse Aussage da hinschreiben, ohne jeglichen Kontext mitzuliefern, damit der Leser das einordnen kann
Ist doch simpel, man möchte es und tut es, dann ist alles ok oder etwas stört oder entspricht nicht, somit nicht ok oder eben strafbar bzw egoistisch und unsexy.
Respekt ist - wie auch sonst - das non Ultra.
Wer dies nicht akzeptiert ist ehh fehl am Platz.