Das Yuval Cohen Quartet verzaubert das Pflegidach Muri mit Jazz, der nicht unterhält, sondern berührt.
Schon bevor das Licht gedimmt wird, liegt Spannung in der Luft. Die Reihen sind dicht besetzt, das Publikum ist aufmerksam, viele Gesichter kennt man von früheren Konzerten. Man spürt: Hier sitzen keine Zufallsbesucher, sondern Menschen, die wissen, dass sie gleich etwas Besonderes erleben werden. Als die Musiker die Bühne betreten, ist es ganz still. Kein grosses Showgehabe, keine langen Erklärungen. Nur ein kurzes Nicken und dann beginnt „Avia“, der erste Song des Abends.
Wenn Klang zu Sprache wird
Das Stück startet mit einem warmen, dominanten Saxofon, das den Raum wie ein Atemzug erfüllt. Yuval Cohen steht leicht nach vorne gebeugt, die Augen geschlossen, als würde er nicht spielen, sondern erzählen. Um ihn herum bauen sich die Klänge auf: ein sanftes, suchendes Schlagzeug, das sich langsam steigert, das Piano, das sich vom Zögern ins Drängen bewegt, der Bass, der das Fundament legt.
Im Laufe des Stücks finden alle Musiker ihren Rhythmus, fast so, als tasteten sie sich gemeinsam durch ein Gespräch ohne Worte. Das Publikum folgt gebannt, kaum jemand bewegt sich. Am Ende dieses ersten Stücks liegt eine fast körperliche Stille im Raum. Ehe der Applaus ausbricht, gedämpft, ehrfürchtig.
Ein Abend zwischen Stille und Sturm
Das zweite Stück, „First Meditation“, taucht in eine andere Stimmung ein, langsamer, nachdenklicher, fast traurig. Man spürt eine Schwere, die aber nie erdrückt, sondern trägt. Cohen nutzt die Pausen zwischen den Tönen wie Atemzüge; sie sind Teil der Musik.
Nach dem Stück begrüsst er das Publikum, dankt für die warme Aufnahme und stellt seine Mitmusiker vor: Tom Orin am Piano, Alon Near am Kontrabass und Alon Benjamini am Schlagzeug. Ein Quartett, das so harmonisch miteinander kommuniziert, dass man kaum glauben mag, dass Worte nötig wären.
Cohen erzählt, dass die ersten beiden Stücke aus dem neuen Album „Winter Poem“ stammen und kündigt mit einem leisen Lächeln ein drittes an: „Blues for a Better World“, ein Werk, das noch unveröffentlicht ist.
Musik als Gebet
„Wir kommen aus Israel“, sagt Cohen ruhig. „Die letzten zwei Jahre waren schwer. Dieses Stück ist unser Gebet für eine bessere Welt.“ Was folgt, ist kein gewöhnlicher Blues. Der Einstieg kommt von Schlagzeug und Kontrabass, rhythmisch, suchend, das Saxofon setzt erst später ein, zögerlich, fast verletzlich. Dann entfaltet sich das Stück in einer intensiven, fast schmerzlichen Schönheit. Das Publikum hält den Atem an, während Cohen in seinem Solo aufblüht, Töne, die flackern wie Kerzen im Wind, eine Mischung aus Wut, Hoffnung und Trauer. Als der letzte Ton verklingt, bricht der Applaus aus, laut und anhaltend. Cohen lächelt, ein stilles, dankbares Lächeln. „Man sollte diesen Song jeden Tag spielen“, sagt er leise.
„Winter Poem“: Musik, die Bilder malt
Mit dem Titelstück des Albums, „Winter Poem“, folgt ein klangliches Gegenstück: klare, kalte Töne, wie gefrorenes Licht. Das Saxofon malt Linien, das Piano antwortet, und zwischendurch scheint es, als neige sich der Winter selbst über die Bühne. Hier wird deutlich, wie stark dieses Quartett kommuniziert. Kein Blick, kein Zeichen, und doch wissen alle, wann die Spannung kippt, wann das Piano übernimmt, wann der Bass Raum schafft. Der Jazz ist hier kein Stil, sondern ein Dialog, ein intuitiver, ehrlicher Austausch.
Zwischen Gebet und Ekstase
Später folgt „Nigun“, eine Interpretation einer traditionellen jüdischen Gebetsmelodie. Cohen erklärt kurz, dass „Nigun“ im Judentum weniger ein konkretes Lied als eine Form des Gebets ohne Worte sei. Was dann geschieht, ist genau das: Musik, die betet, ohne zu bitten. Das Saxofon klingt hier fast menschlich, rau, warm, brüchig, während Benjamini am Schlagzeug mit Rasseln eine fragile, fast meditative Stimmung erzeugt. Das Publikum scheint den Atem anzuhalten, als das Stück in ein ergreifendes Solo mündet. Cohen steht im Lichtkegel, hebt sein Instrument, lässt es singen, flüstern, schreien, und am Ende verstummen.
Finale mit Tanz und Nachklang
Mit „Dance of the Nightingale“ schliesst das Quartett den Abend offiziell ab. Ein Stück, das, anders als der Titel vermuten lässt, nicht leichtfüssig, sondern temperamentvoll beginnt. Schnelle Saxofonläufe, ein pulsierendes Schlagzeug, vibrierende Energie. Es ist ein Tanz, ja, aber einer, der zwischen Himmel und Erde pendelt. Cohen legt am Ende sein Saxofon ab, ein stiller, fast symbolischer Moment, nur um es wenige Sekunden später wieder aufzuheben und weiterzuspielen. Das Publikum lächelt, einige schliessen die Augen.
Doch natürlich ist das noch nicht das Ende. Als Zugabe spielt das Quartett „For Charlie“, ein zärtliches, fast nostalgisches Stück, das Cohen mit einem Augenzwinkern als kleines Rätsel ankündigt: „Überlegt euch selbst, welcher Charlie gemeint ist.“
Musik, die bleibt
Nach dem letzten Ton stehen viele Besucher auf. Kein frenetischer Jubel, eher ein warmes, ehrliches Dankeschön. Cohen und seine Mitmusiker verbeugen sich, sichtlich bewegt. Dieses Konzert war kein Spektakel, keine laute Show, sondern ein Abend, der bewies, dass Musik am stärksten ist, wenn sie leise wird. „Winter Poem“ heisst das Album, und genau so fühlte sich der Abend an: wie ein Gedicht aus Klang, das langsam in der Stille verschwindet.
