Diese Vorstellungen haben Männer – und das wünschen sich Frauen tatsächlich
Als Donald Trump im Juli 2024 am Parteitag der Republikaner zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten gewählt wurde, schallte ein Song aus den Boxen, der einen Grundton setzte, der bis heute nachhallt: «It’s a Man’s Man’s Man’s World.»
Der Sieg des alten weissen Mannes über die jüngere schwarze Frau, Kamala Harris, brachte die neue alte Männlichkeit zurück. Kurz bevor Donald Trump im Amt verteidigt war, forderte Mark Zuckerberg, Chef von Facebook, Instagram und WhatsApp: «Wir brauchen mehr maskuline Energie.» Was er darunter versteht, sagte er auch, nämlich Aggression und Durchsetzungsvermögen. Viele Unternehmen seien zu sehr entmannt.
Und Elon Musk, der reichste Mensch der Welt, schimpft lauthals gegen das «Woke Mind Virus», das unsere Gesellschaft zersetze. Diversität war gestern, heute regiert das starke Geschlecht.
Donald Trump, der mächtigste Mensch der Welt, Mark Zuckerberg, der König der sozialen Medien, und Elon Musk, der wichtigste Unternehmer unserer Zeit: Alle drei sind sich einig: «It’s a Man’s Man’s Man’s World.»
Dass James Brown, der den Song 1966 zusammen mit Betty Jean Newsome geschrieben hat, damit ziemlich genau das Gegenteil bewirken wollte, ist eine Nuance, die im Gebrülle des Männerchors schlicht untergeht.
Wer ist schuld, dass der Macho-Mann zurück ist?
Doch wie blicken Schweizerinnen und Schweizer auf das Wiedererstarken der Maskulinität? Wie verbreitet ist hierzulande das Männerbild von Trump und Co.? Gibt es tatsächlich einen Backlash, und ist die Gleichstellungsbewegung in Gefahr?
Antworten liefert eine bisher unveröffentlichte Studie von Sotomo, die der «Schweiz am Wochenende» exklusiv vorliegt. Die Rückkehr der betonten Männlichkeit in der Politik lässt sich nicht wegdiskutieren. 87 Prozent der Befragten sehen das so.
Warum das so ist, darüber sind sich die Menschen in unserem Land aber weitgehend uneins. Während 64 Prozent der FDP-Wähler den Grund darin sehen, dass der Feminismus mit seinen Forderungen zu weit gegangen ist, sehen 68 Prozent der SP-Wähler die Ursache darin, dass rechte Bewegungen gegen feministische Anliegen mobilisieren.
Kurz: Man ist sich einig, dass der starke Mann zurück auf der Bühne ist, wen ihn zurückgeholt hat, darüber streiten sich die (politischen) Geister. Beziehungsweise: Jede Seite macht, wie das so oft der Fall ist, die andere dafür verantwortlich.
Gleichzeitig zeigt die Studie, die im Auftrag von Geschlechtergerecht erstellt worden ist, dass Stimmen in der Mitte kaum mehr etwas zu melden haben respektive nicht gehört werden. So glaubt rund die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer, dass in der Gleichstellungsdebatte die rechtsextremen Stimmen lauter geworden sind, und ebenso viele, dass die linksextremen Stimmen lauter geworden sind. Studienautorin und Psychologin Lisa Frisch von Sotomo sagt dazu: «Die politischen Mehrheit in der Mitte entgleitet die Diskurshoheit. Das ist deshalb gefährlich, weil man die Debatte so den extremen Rändern überlässt.»
Parteiübergreifend besteht immerhin Konsens darin, dass die globalen Krisen das Bedürfnis nach traditionellen Strukturen verstärkt hat und dass sich heutzutage viele nach «klaren Verhältnissen» sehnen.
Bin ich ein toxischer Mann – oder ist meine Stärke gefragt?
Mit dem Einmarsch Putins in die Ukraine 2022 begann auch für den Mann eine neue Zeitrechnung. Bis dahin wurde im Zuge der Me-Too-Bewegung Männlichkeit im öffentlichen Diskurs vor allem als toxisch wahrgenommen, und der «alte weisse Mann» wurde zum geflügelten Schimpfwort. Seither werden plötzlich auch wieder konservativere männliche Tugenden gefragt. Schliesslich ist wieder Ernstfall. Und im Ernstfall lassen sich mit genderneutralen Toiletten die Demokratien ebenso wenig verteidigen wie mit Gendersternen Kriege gewinnen. An der Front in der Ukraine stehen vor allem Männer – während Frauen erlaubt ist, das Land zu verlassen.
Der Schriftsteller Matthias Politicky hat den Essay «Mann gegen Mann» geschrieben und in einem Interview mit dieser Zeitung gesagt: «Es klingt zwar paradox, aber um die Werte eines emanzipierten Europas zu verteidigen, von denen einige durchaus woke sind, brauchen wir jetzt tatsächlich einige jener Tugenden, die als toxisch gebrandmarkt wurden.»
Wenn der Mann von heute nicht schon längst verwirrt wäre – etwa wegen Mikroaggressionen, für die er verantwortlich gemacht wird –, so ist er es wohl spätestens jetzt. Bin ich nun ein toxischer Mann? Oder ist nun meine männliche Stärke gefragt?
Politisch ein «harter Hund» – im Schlafzimmer zählen andere Werte
Auch darauf gibt die erwähnte Studie, für die 2960 Personen befragt worden sind, eine Antwort. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen dem Mann auf der politischen Bühne und dem Mann im Privaten. Wenn man Schweizerinnen und Schweizer fragt: «Was denken Sie, schätzt die Schweizer Bevölkerung bei Männern?», wird an den ersten Stellen genannt: Belastbarkeit, Selbstsicherheit und Durchsetzungsstärke.
Fragt man allerdings: «Und welche Eigenschaften schätzen Sie persönlich bei Männern?», ändert sich nicht etwa bloss die Reihenfolge, sondern es werden komplett andere Attribute genannt: Humor, Freundlichkeit, Fürsorge stehen jetzt an erster Stelle.
Studienautorin Lisa Frisch fasst das so zusammen: «Es gibt also eine gehörige Kluft zwischen dem, was an Männern geschätzt wird, und dem, was die Mehrheit denkt, dass die Gesellschaft an Männern schätzt.»
Man könnte auch sagen: Nur weil der «harte Hund» das Geschehen auf der Bühne der Weltpolitik lenkt, heisst das nicht, dass Frauen Wohn- und Schlafzimmer mit einem testosteronvollgepumpten Mann teilen möchten. Kurz: «Das Zwischenmenschliche ist viel wichtiger, als wir denken», sagt Lisa Frisch.
Etwas, das Männer konsequent unterschätzen: So glauben 44 Prozent der Männer, dass von ihnen gefordert wird, dass sie sich in einem Streitgespräch «männlich» verhalten würden, während sich hier Frauen kaum ein «männliches» Verhalten wünschen. Beim Sex glauben 61 Prozent der Männer, sich «sehr männlich» geben zu müssen, obwohl das nur 41 Prozent der Frauen wünschen.
Jeder fünfte Mann will Ehre mit Gewalt verteidigen
Heikel wird es spätestens, wenn die «Ehre des Mannes» ins Spiel kommt. So glaubt jeder fünfte Mann, dass er seine Ehre mit Gewalt verteidigen sollte. Es geht dabei nicht um Notwehr, nicht darum, Gewalt notfalls mit Gewalt abwehren zu können. Sondern darum, dass es Männer als legitim ansehen, auf Beleidigungen und Abwertungen unter Umständen mit Gewalt zu reagieren.
Diesen hohen Wert hat Studienautorin Frisch überrascht. Er lasse sich auch nicht mit kulturellen Unterschieden von Eingewanderten erklären, da insbesondere auch viele Schweizer diese Ansicht teilen. Das zeigt sich auch darin, dass sogar 24 Prozent der männlichen SVP-Wähler bereit wären, ihre Ehre mit Gewalt zu verteidigen. Bei den FDP-Wählern sind es noch immer 16 Prozent der Männer. Unter Wählern der linken Parteien sind es so wenige, dass sie statistisch nicht mehr ausgewiesen werden können. Doch immerhin noch 6 Prozent der Frauen finden, dass ein Mann seine Ehre mit Gewalt verteidigen können müsse.
Die Zahlen machen deutlich, dass das Bild der Männlichkeit in der Schweiz von starken Spannungen geprägt ist. Einerseits wirkt die Rückkehr betonter männlicher Stärke auf der politischen Bühne weit über die Landesgrenzen hinaus. Andererseits zeigen die Ergebnisse, dass im Alltag andere Werte zählen – solche, die mit Fürsorge, Emotionalität und sozialer Kompetenz zu tun haben. Zwischen öffentlicher Erwartung und privater Wertschätzung öffnet sich eine Lücke.
Das kann Männer verunsichern. Aber auch eine Chance sein: Denn am Ende entscheiden nicht Trump, Musk oder Zuckerberg, wie Männlichkeit aussieht. Sondern jeder einzelne Mann. Und jede Frau, die ihm sagt, was sie wirklich an ihm schätzt.
