«Zu viel Gejammer» – Gewerkschafter treibt Unternehmer zur Weissglut
Es gibt sie, die «Arena»-Sendungen, bei welchen der watson-Reporter still bei sich denkt: Oh Gott, das wird eine zähe Angelegenheit.
Die Sendung zur kriselnden Wirtschaft in der Schweiz zum Beispiel.
Dann fährt er raus zum Leutschenbach-Studio und macht sich Sorgen: Das wird doch sicher mega technisch, viele Zahlen, wenig Kontroverse, schwierig zu erzählen.
Ganz leise, er würde es nie zugeben, bemitleidet sich der Reporter dann: Jetzt muss ich meinen Freitagabend mit steigender Inflation, bereinigter Kaufkraft und stagnierenden Löhnen verbringen. Es gibt unterhaltsamere Gesellschaft.
Und dann kommt Benjamin Giezendanner:
«Sie haben noch nicht manchen Bleistift verkauft in ihrem Leben»
Frontal greift der SVP-Nationalrat Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds an. Er habe noch nicht viel zur Wirtschaft beigetragen, sei vom Studium direkt zur Gewerkschaft gewechselt. Und überhaupt: «Geld muss zuerst verdient werden.»
Daniel Lampart reagiert schmallippig: «Auf dieser Ebene müssen wir nicht den Abend verbringen.» Und Moderator Sandro Brotz ermahnt Giezendanner, nicht auf die persönliche Ebene zu gehen.
Verspricht ja doch, ganz unterhaltsam zu werden.
Ins Studio 8 hat Moderator Brotz folgende Gäste geladen:
- Franziska Ryser, Natonalrätin Grüne/SG
- Benjamin Giezendanner, Nationalrat SVP/AG
- Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbund
- Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem
Die Fragen, die es zu klären gilt: Drohen in der Schweiz Massenentlassungen? Was braucht es, um der kriselnden Wirtschaft auf die Beine zu helfen? Und was hat SVP-Giezendanner so aufgebracht, dass er derart austeilt?
Konsternierte Kapitäne
Stefan Brupbacher vertritt mit Swissmem die Schweizer Tech-Industrie und damit allein 320'000 Mitarbeitende in über 1400 Firmen in der Schweiz.
Benjamin Giezendanner führt das Transportunternehmen, das sein Vater Ulrich Giezendanner (während fast 30 Jahren SVP-Nationalrat) aufgebaut hat. Seine Firma hat 280 Mitarbeitende.
Die beiden Unternehmer sind wenig erfreut, als Gewerkschafter Lampart ihnen ins Gewissen redet. Die Gewinne der Firmen in der Schweiz würden stetig steigen, die Löhne der Mitarbeitenden nicht:
«Das müssen Sie den Leuten erklären!»
Bevor man davon spreche, die Unternehmen zu entlasten, müsse man die Löhne der Mitarbeitenden erhöhen, fordert Lampart.
Dass die Firmen unter den US-Zöllen und dem starken Franken leiden würden, wischt der Ökonom vom Tisch: «Das ist ein bisschen viel Gejammer». Sagt er und lächelt:
Ist es dieses Lächeln, das Giezendanner zum Schäumen bringt?

Konsternierung auf der anderen Seite, bei den Wirtschaftskapitänen. Immer wieder schütteln sie den Kopf und Brupbacher stützt entrüstet seine Hände in die Hüfte.
Was sagen die Zahlen?
Warum widmet sich die «Arena»-Runde ausgerechnet heute den Streitereien zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Ganz ohne Zahlen geht es nicht:
Die Schweizer Wirtschaft ist im dritten Quartal um 0,5 Prozent geschrumpft. Die Arbeitslosenzahlen sind so hoch wie seit der Pandemie nicht mehr. 2,9 Prozent der Bevölkerung oder 140'000 Menschen haben keine Arbeit.
Besonders betroffen sind die Wirtschaftszweige, die viel in die USA exportieren, Tech-Industrie und Pharma zum Beispiel. So hat etwa Novartis gerade letzte Woche angekündigt, in ihrem Werk in Stein (AG) bis zu 550 Stellen abzubauen.
Hinzu kommt: Die Krankenkassenprämien haben sich seit Einführung der obligatorischen Krankenversicherung 1996 fast verdreifacht. Die Mieten steigen rasant. Die Löhne der Menschen halten damit nicht Schritt.
Konsequenz davon: die Kaufkraft nimmt ab. Darauf deutet auch eine repräsentative Studie hin, die watson exklusiv mit dem Forschungsinstitut Demoscope durchgeführt hat: Mehr als die Hälfte der Befragten gab darin an, weniger Geld zur Verfügung zu haben als noch vor fünf Jahren.
Wer ist unschweizerischer?
Dass die Kaufkraft angekurbelt werden soll, darüber sind sich in der «Arena» alle einig. Nur wie das geschehen soll, da könnten die Ideen unterschiedlicher nicht sein.
Lampart und Brupbacher gehen in die nächste Runde ihres Privatduells. Man merkt, dass die beiden wohl schon in so manchen Tarifvertrags-Verhandlungen die Klingen gekreuzt haben.
Genau diese Verhandlungen sind für Lampart Beweis dafür, dass die Arbeitgeber immer unnachgiebiger auftreten würden:
In anderen Ländern würde härter verhandelt bis hin zu Streik, sagt Lampart. «Das wollen wir nicht, Streik ist nie gut» fügt er an und lässt das «aber» als Drohung im Raum stehen.
Das regt Stefan Brupbach auf. Solche angekündigten Streiks seien es, die unschweizerisch seien, findet er:
«Ihre linken Rezepte führen direkt in die Inflation!»
Die Rezepte von Brupbach und Giezendanner sind andere: Bürokratie und Regulierungen abbauen, die Unternehmen wirtschaftlich entlasten. Dann könnten die nämlich auch wieder Gewinne machen und diese an die Mitarbeitenden weitergeben.
Der menschliche Moment
Der Hahnenkampf zwischen Gewerkschafter Lampart und Unternehmer Brupbacher ist unterhaltsam. Wirklich weiter bringt er die Diskussion nicht.
Zum Glück ist da noch Franziska Ryser. Die Grünen-Nationalrätin sorgt für den menschlichsten Moment in einer Sendung, die sonst immer mal wieder gehässig wirkt.
Nachdem Stefan Brupbacher geteilt hat, seinen Vater im Alter von nur 49 Jahren an den Krebs verloren zu haben, sagt Ryser, sie könne da mitfühlen. Ihr Vater starb im Alter von 52 Jahren, ebenfalls an Krebs.
Natürlich sei es richtig, dass die Prämien deshalb so viel teurer würden, weil die Behandlungen immer besser würden. Mit der modernen Medizin würden ihre Väter vielleicht noch leben, sagt Ryser. Und das koste Geld.
Deswegen seien die Krankenkassenprämien aber noch lange nicht gerecht:
«Ein Coiffure zahlt gleich viel wie eine Topmanagerin!»
Es bleibt der einzig verbindende Moment in einer mit Verve geführten «Arena». Zum Schluss will Moderator Brotz von den Gästen wissen, ob sie Weihnachtsguetsli backen – und welches ihre liebsten sind.
Auch da finden sich die Zankbrüder nicht. Giezendanner liebt Zimsterne, Brupbacher Spitzbuben. Lampart bevorzugt Änischräbeli.
Selbst bei Süssem geben sich Arbeitgeber und Gewerkschaften Saures. Wenn das mal für die weiter andauerenden Verhandlungen um neue Gesamtarbeitsverträge nur nichts Schlechtes verheisst.
