Was steckt hinter dem Glauben des Milliardärs Alfred Gantner?
Der mehrfache Milliardär Alfred Gantner war bis vor einiger Zeit der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Der 57-jährige Finanzunternehmer, der mit zwei Partnern die Investmentfirma Partners Group gegründet hat, suchte das Rampenlicht nicht.
Als jedoch die Diskussion um die neuen bilateralen Verträge mit der EU die politische Debatte bestimmte, scharte er 2021 Reiche und Prominente um sich und gründete mit ihnen die Kompass-Initiative. Die Stossrichtung: EU? Nein danke.
In Utah studiert
Einen noch grösseren Auftritt hatte Gantner Anfang November beim Besuch des «Teams Switzerland» beim US-Präsidenten Donald Trump. Er mauserte sich zum Sprecher der Schweizer Wirtschaftsbosse, die im Zollstreit die Kohle aus dem Feuer holen mussten.
Seine Rolle als inoffizieller Captain der Schweizer Milliardäre verdankt Gantner unter anderem seinem Glauben. Der Tycoon ist Mitglied der Religionsgemeinschaft mit dem auffälligen und sperrigen Namen «Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage», im Volksmund Mormonen genannt.
Gantner studierte in Utah, der Hochburg der Mormonen, und lernte Gläubige der Kirche kennen. Er liess sich für den Glauben begeistern und trat mit 23 Jahren der Kirche bei. In der Schweiz engagierte er sich für die Glaubensgemeinschaft in Richterswil und wurde später zum Bischof ernannt. Er hat das Amt mehrere Jahre ausgeübt.
Das «Team Switzerland» hatte mit dem Handelsbeauftragten Jamieson Greer, der bei den Zollverhandlungen eine wichtige Rolle spielt, einen Fürsprecher im Weissen Haus. Greer und Gantner hatten an der Brigham Young University studiert, und beide sind Mormonen.
Die Geschichte der Mormonen
Was also zeichnet die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage aus? Wer sind die Mormonen?
Vorweg sei festegehalten: Auch wenn Jesus Christus im Kirchennamen vorkommt, mit einer christlichen Kirche im engeren Sinn haben die Mormonen wenig zu tun.
Die Geschichte der Mormonen begann Anfang des 19. Jahrhunderts. Gründer Joseph Smith (1805-1844) behauptete, 1823 habe ihm der Sohn des Propheten Mormon das Versteck von heiligen goldenen Schrifttafeln verraten. Da Smith sie nicht lesen konnte, hätten ihm die Sehersteine Urim und Tummim bei der Übersetzung geholfen. Auf diese sonderbare magische Weise entstand das Buch Mormon, die «Bibel» der Mormonen.
Das Buch enthält quasi Neuoffenbarungen und erinnert über weite Strecken an die vier Evangelien der Bibel. Festgeschrieben ist auch die Geschichte des Propheten Mormon.
Seine Vorfahren, das Volk der Lamaniten, verliessen angeblich Jerusalem 600 v. Chr. und zogen nach Nordamerika. Die Lamaniten seien die Ahnen vieler indigener Völker in Nord- und Südamerika. Also auch der Indianer, erklärte Smith. Das sind abenteuerliche Behauptungen. Sie dienen dazu, Amerika zum weltweiten religiösen Zentrum zu machen.
Das Buch Mormon sei das «richtigste aller Bücher und der Schlussstein unserer Religion», behauptete Smith weiter. Deshalb darf nichts davon revidiert werden.
Die Mormonen wurden wegen ihrer sonderbaren Lehre und der «Vielweiberei» verfolgt, ihr Gründer 1844 ermordet. Deshalb flüchteten Tausende Mormonen in einem denkwürdigen Treck 1847 durch den Westen Amerikas. Nach 98 strapazenreichen Tagen erreichten sie den Salzsee von Utah und liessen sich in der Einöde nieder. Auch heute noch ist Salt Lake City der Hauptsitz der Mormonen. Die Kirche zählt weltweit rund 16 Millionen Mitglieder. In der Schweiz sind es etwa 5000.
Trotz massiver Zuwanderung stellen die Mormonen weiterhin die grosse Mehrheit der Bevölkerung in Utah. Ohne die Mormonen bewegt sich auch heute noch fast nichts in Salt Lake City.
Leben in den letzten Tagen
Die Verfolgungsängste der Gründerväter haben viele Mormonen bis heute nicht ganz überwunden. Was sich hinter den Mauern des monumentalen Tempels von Salt Lake City und bei den Ritualen abspielt, wird immer noch geheimgehalten. Das Programm der Endzeitgemeinschaft kommt bereits beim Namen zum Ausdruck: Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Seit 170 Jahren leben sie «in den letzten Tagen».
Die Mormonen glauben an einen personalen Gott aus Haut und Knochen, der als liebender Vater im Himmel lebt. Gründer Smith sagte, die Gläubigen müssten lernen, «selbst Götter zu sein».
Die Mormonen haben ein starkes Sendungsbewusstsein und legen einen grossen Bekehrungseifer an den Tag. Strenggläubige Eltern achten darauf, dass mindestens eines ihrer meist vielen Kindern eineinhalb bis zwei Jahre als Missionar im Ausland Dienst leistet. So sind permanent bis 60'000 junge, adrette Mormonen weltweit unterwegs, um Zeugnis ihres Glaubens abzulegen und zu missionieren. Man muss ihnen zugut halten, dass sie bei ihren Hausbesuchen zurückhaltend auftreten und nicht aggressiv werben.
Geheime Tempelrituale
Eine Besonderheit der Mormonen ist ihre akribische Ahnenforschung auf der ganzen Welt. Millionen von Stammbäumen sind in atombombensicheren Archiven in Salt Lake City elektronisch gespeichert. Dahinter steckt ein religiöses Motiv. Die Mormonen glauben, dass nur Menschen nach dem Tod das Seelenheil erlangen, die in einem Mormonentempel getauft worden sind. Um die verstorbenen Ahnen und Urahnen zu retten, werden diese posthum getauft.
Die geheimen Tempelrituale hat Gründer Smith teilweise aus dem Freimaurertum übernommen. Zugelassen werden nur Mormonen, die als linientreu eingestuft werden. Sie brauchen einen Tempelschein, der erst nach zwei Würdigkeitsinterviews mit dem Bischof und dem so genannten Pfahlpräsidenten ausgestellt wird. Gefragt wird beim Interview beispielsweise: «Leben Sie das Gesetz der Keuschheit?» oder «Zahlen Sie den Zehnten voll?»
Tempelrituale dürfen nur in weisser Kleidung besucht werden. Die Frauen tragen meist ein bodenlanges, hochgeschlossenes Kleid mit langen Ärmeln. Männer nehmen in einem weissen Anzug und einer Krawatte am Ritual teil. Das Weiss symbolisiert die Reinheit.
Vorgeschrieben ist auch eine spezielle Unterwäsche, das «heilige Garment», die durch religiöse Muster und Symbole gekennzeichnet ist. Das heilige Gewand soll die Gläubigen stets an die abgelegten Tempelgelübde oder -bündnisse erinnern und einen Schutz gegen Gefahren darstellen.
Abkehr von der Polygamie
In den Gründungszeiten galt die Polygamie als Standard. Mormonen konnten mehrer Frauen ehelichen. Als die Vielehe vor über 100 Jahren in den USA verboten wurde, verabschiedeten sich auch die Mormonen von dieser Praxis. Es gab aber bis in die Neuzeit kleine Splittergruppen, die die Polygamie praktizierten.
Die Mormonen haben heute noch ein eher verkrampftes Verhältnis zur Sexualität und pflegen ein traditionelles Frauen- und Familienbild. Homosexualtät und LGBTQ werden kritisch beurteilt.
Die Gottesdienste dauern bei den Mormonen bis zu drei Stunden. Im Zentrum steht das Abendmahl. Es gibt keine Pfarrer, die den Gottesdienst leiten und eine Predigt halten. Vielmehr geben Gläubige Zeugnis ab und erzählen von ihren religiösen Erfahrungen. Dem Singen und Musizieren werden eine grosse Beachtung geschenkt.
Aussteiger kritisieren die soziale Kontrolle und den psychischen Druck, den sie empfunden haben. Zweifel an der Kirche oder kritische Fragen seien nicht erwünscht gewesen und als mangelnder Glauben gewertet worden.
Manche Mitglieder verliessen die Kirche, weil sie grundsätzliche religiöse und soziale Zweifel beschlichen. Dazu gehörten Lehre und Geschichte der Mormonen und die Rolle des Gründers Joseph Smith. Kurz: Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage ist nicht ganz frei von sektenhaften Aspekten.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
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