Wie Jugendliche online gemobbt werden – und warum die Politik trotzdem nichts tun will
Am 3. Dezember 2025 wäre Céline Pfister aus Spreitenbach 22 Jahre alt geworden. Doch im Sommer 2017 nahm sie sich mit nur 13 Jahren das Leben. Zuvor war sie Opfer von Cybermobbing geworden. Seither kämpfen ihre Eltern dafür, dass die Schweiz einen eigenen Straftatbestand dafür einführt. Jetzt steht die entscheidende Abstimmung bevor.
Wie würde der neue Straftatbestand lauten?
Das Schicksal von Céline Pfister bewegte die Öffentlichkeit – und SP-Nationalrätin Gabriela Suter zu einer parlamentarischen Initiative. Sie fordert einen Artikel gegen Cybermobbing im Strafgesetzbuch. Nach jahrelangen Beratungen legte die Verwaltung einen Vorschlag vor. «Wiederholtes Demütigen, Schikanieren, Bedrohen oder Belästigen einer Person» soll unter Strafandrohung gestellt werden. Wenn das Mobbing öffentlich geschieht, zum Beispiel über Social Media, sollen schärfere Strafen möglich sein. Doch die Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats will das Geschäft nun abschreiben. Am 19. Dezember entscheidet das Plenum.
Wie werden Jugendliche gemobbt?
Die Organisation Pro Juventute erhielt über ihr Beratungsangebot 147 folgende Anfragen von Kindern und Jugendlichen.
- Ich bekomme ständig Nachrichten wie «du bist so fett» und Schwein- und Papierkorb-Emojis. Ich weine deshalb viel zu Hause.
- Heute in der Schule haben mir ein paar Mädchen mein Handy weggenommen. Damit ich es wiederbekomme, musste ich peinliche Sachen machen, was sie gefilmt haben. Ich habe so Angst, dass sie das Video rumschicken.
- Hallo, ich bräuchte Unterstützung. Mein kleiner Bruder ist 14 und traut sich nicht selbst zu schreiben. Aber fühlt sich gemobbt im Netz, da ein alter Kollege peinliche Fotos von ihm auf Social Media postet. Kann das angezeigt werden?
Was spricht für einen neuen Straftatbestand?
Pro Juventute setzt sich für den Straftatbestand ein: «Es geht um ein gesellschaftliches Signal – wie beim Stalking.» Dieses wird in der Schweiz per 1. Januar 2026 explizit verboten. «Die Benennung hilft den Betroffenen. Sie wissen dann, dass ihnen etwas Verbotenes angetan worden ist.»
Die meisten Formen von Cybermobbing sind bereits strafbar - etwa als Nötigung. Es gibt allerdings eine kleine Rechtslücke: Wenn Betroffene unter vielen Handlungen leiden, die einzeln geringfügig erscheinen, aber in ihrer Gesamtheit verletzend wirken, können sie sich strafrechtlich nicht wehren. Auch das Verbreiten von peinlichen oder freizügigen Fotos ist nicht strafbar, wenn die Bilder nicht pornografisch sind.
Was spricht gegen einen neuen Straftatbestand?
Das Strafrecht eignet sich nicht für Symbolpolitik. Strafandrohungen haben keine präventive Wirkung. Gerade im Jugendstrafrecht geht es ohnehin nicht darum, die Jugendlichen zu bestrafen, sondern sie auf dem Weg in ein deliktfreies Leben zu begleiten.
In Österreich, wo Cybermobbing seit zehn Jahren verboten ist, kommt es seither zwar zu vielen Anzeigen. Aber zu fast keinen Verurteilungen.
Die Mehrheit der Rechtskommission warnt deshalb, dass ein neuer Straftatbestand nur zu Rechtsunsicherheit und heiklen Abgrenzungsproblemen führen würde.
Wie stehen die politischen Chancen jetzt?
Nationalrätin Suter hat ihre Initiative taktisch unklug lanciert und sich nur die Unterstützung ihres politischen Milieus gesichert. In der Kommission ist jetzt nur Mitte-Links dafür. Der Nationalrat wird das Geschäft wohl entsorgen.
Hinter den Kulissen läuft allerdings eine Rettungsaktion. Organisationen wie Pro Juventute argumentieren, das Parlament solle jetzt zumindest eine Vernehmlassung starten. So könnten sich Lehrer, Schulleiterinnen oder Staatsanwälte dazu äussern.
