1995, in einer Zeit, in der eigentlich Eurodance und Seicht-Pop à la Ace of Base stimmigen Eskapismus lieferten, schlug urplötzlich die Wut-Hymne einer jungen kanadischen Singer-Songwriterin namens Alanis Morissette ein – wie eine Bombe:
«I'm here to remind you of the mess you left when you went away.»
Ha! Nimm das, heuchlerischer Ex-Freund!
Millionen Zuhörerinnen und Zuhörer erkannten sich im Song «You Oughta Know» wieder und hievten das Album «Jagged Little Pill» auf die Nummer Eins. Inzwischen ist es eines der erfolgreichsten Alben der Musikgeschichte. 33 Millionen Exemplare sollen davon verkauft worden sein. Die bekannteste Single daraus: «Ironic».
Los: Alle mitsingen!
Halt.
Denn wir sind beim Thema: Regen an deinem Hochzeitstag ist nicht ironisch. Wenn es an deinem Hochzeitstag regnet, ist das bedauerlich. Nervig. Schade. Für manchen vielleicht zum Heulen. Aber nicht ironisch.
Genausowenig wie die diversen anderen Beispiele, die im Song aufgezählt werden. «Vielleicht das Einzige, was am Song ironisch ist, ist die Tatsache, dass es ‹Ironic› heisst und von einer Frau geschrieben wurde, die nicht weiss, was Ironie ist», fasste es Ed Byrne in seiner inzwischen berühmten Analyse zusammen:
Aber eigentlich genügt es, zum 20. Jubiläum dieses Meilensteins der Popgeschichte zum Quellenmaterial zurückzukehren und «Ironic» Zeile für Zeile durchzugehen:
Trauriger Zufall, gewiss. Aber keine Ironie.
Nicht ironisch, sondern gruusig.
My life has become a friggin Alanis Morissette song. pic.twitter.com/8nRRrqqRqa
— Brittany Snow (@Brittanysnow) August 17, 2015
Nein, ist es nicht. Eine Begnadigung, die zwei Minuten nach dem Vollzug einer Hinrichtung eintrifft, ist keine Ironie, sondern eine krasse Fehlleistung des Justizsystems.
Nein. Oder, okay, höchstens, wenn der Brautvater, der die Hochzeit organisiert, ein bekannter Meteorologe ist, der in seiner über zwanzigjährigen Karriere als TV-Wetterfrosch noch nie eine Fehlprognose stellte, und ebendieser buchte nun den Ort und Tag der Hochzeit aufgrund des zu erwartenden schönen Wetters, und dann regnet es wider Erwarten ... Das wäre einigermassen ironisch.
Nein, das ist Pech.
Hier bist du ein klein wenig zu kryptisch, Alanis, so lange wir nicht wissen, welchen Rat du damals nicht angenommen hast.
Okay, technisch korrekt: Wenn Herr Vorsichtig «Na, ist dies nicht schön?» sagt, als er dabei ist, mit dem Flugzeug abzustürzen, dann ist seine Aussage – ta-daaa! – ironisch!
Aber vermutlich findet Alanis den Absturz per se ironisch ...
Wann hast du zum letzten mal in einem Stau gestanden und hast gedacht: «Total ironisch, dieser Verkehr?» Ironisch ist das womöglich, wenn du ein Verkehrsplaner auf dem Weg zu einer Konferenz über Staureduktion bist. Ansonsten ist's einfach nur nervig.
Keine Ironie, sondern die harte Realität des Arbeitsalltags im Jahr 2015.
Nicht ironisch. Sondern nun einfach nur noch doof. 10'000 Löffel? Ich muss doch sehr bitten!
Nein, ich denke nicht. Sondern bitter. Eventuell gar verletzend. Und – jetzt mal ehrlich – ein Hindernis vielleicht, aber keine Unmöglichkeit.
Indem du dich wiederholst, machst du deine Aussage nicht richtiger.
Alanis, die Wortverwechslungs-Königin der Pop-Geschichte! Ach, was wurde während den letzten 20 Jahre über diesen Song diskutiert! CollegeHumor veröffentlichte 2009 ein Remake des Songs, in der sämtliche Zeilen mit einem Zusatz versehen wurden, damit sie tatsächlich Ironie darstellten.
Ähnlich verfuhren die Geschwister Rachael and Eliza Hurwitz 2013 als sie den Song «It’s Finally Ironic» performten. Linguisten und Philosophen stritten sich um die Unterschiede zwischen situativer und dramatischer Ironie. Einige, wie Michael Reid Roberts von salon.com, kamen gar zum Schluss, dass «Ironic» am Ende doch ironisch sei. Es gibt sogar einen Wikipedia-Eintrag über den linguistischen Disput.
Unlängst wurde Morissette in einem Interview mit dem Guardian gefragt, ob sie sich nicht langweilt, hören zu müssen, dass an «Ironic» nichts ironisches sei. Ihre Antwort:
«Ich würde nicht sagen gelangweilt, sondern interessiert, denn ich will wissen, weshalb gewisse Sachen Leute dermassen nerven. Offenbar kommen Menschen nicht klar mit der Idee, dumm zu sein. Ich meine, Wortverwechslungen – na und? Es ist wie wenn man im Verkehr jemand anbrüllt, weil er einem den Weg abgeschnitten hat, während man anderen dasselbe macht.»