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Zürich

Unterwegs mit dem «WC-Maa vo Züri» beim dreckigsten Geschäft der Welt

Hunderttausende Street-Parade-Besucher haben eines gemeinsam: Irgendwann müssen sie mal. Und dann kommt Marcel Beeler zum Zuge. 
Hunderttausende Street-Parade-Besucher haben eines gemeinsam: Irgendwann müssen sie mal. Und dann kommt Marcel Beeler zum Zuge. Bild: watson/rar
Streetparade

Unterwegs mit dem «WC-Maa vo Züri» beim dreckigsten Geschäft der Welt

Jeder Zürcher war schon mal sein Kunde: Marcel Beeler ist der Mann, der an fast jeder Party in Zürich die WC-Anlagen heranschafft. Die Streetparade ist sein grösstes Fest und auch sein grösster «Horror». 
03.08.2014, 08:0703.08.2014, 20:26
Rafaela Roth
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Als hätten Sie gerade den Einlass in die beste Party der Streetparade geschafft, rennen die farbigen Partyvögel in die WC-Anlage, mit seligem Lachen auf den Lippen. Das Örtchen am Bellevue war kurz geschlossen. Es floss zu wenig Wasser aus den Leitungen. Zu wenig Druck auf dem Hahnen bedeutet eine Verstopfung innerhalb kürzester Zeit und dies wiederum bedeutet eine Katastrophe: Die Anlage müsste geschlossen werden und beim Eingang würde es Schlägereien geben. 

Zum Glück fliesst das Wasser jetzt wieder – unter Hochdruck sogar – direkt aus dem Hydranten. Mit freundlicher Genehmigung der Wasserversorgung Zürich. 

Das kann nur Marcel Beeler. Er ist einer der Wenigen, der die Handynummer von Zürichs Wasserbeauftragten überhaupt hat. Und Zürich erlaubt dem Beeler alles. Denn ohne den Geschäftsführer der Toiwa GmbH würde sich das Gebiet rund ums Seebecken innert kürzester Zeit in eine riesige Toilette verwandeln. 

Marcel Beeler geht mit seiner Mutter Elisabeth den Einsatzplan durch.
Marcel Beeler geht mit seiner Mutter Elisabeth den Einsatzplan durch.Bild: watson/rar

Denn diese Hunderttausenden von Tanzwütigen haben eines gemeinsam: Irgendwann müssen sie alle mal. Mit fast 500 stillen Örtchen an 14 Stationen in der ganzen Stadt schaut Marcel Beeler dafür, dass sie das können. Er ist der einzige Privatanbieter, der im Auftrag der Organisatoren der Streetparade für das dringendste Bedürfnis der Partygänger sorgt. Ein paar wenige Hundert WCs stellen die Streetparade und die Stadt noch zusätzlich zur Verfügung. Reichen tut das kaum. Dies ist Beelers 14. Streetparade und der «Horror» hat gerade erst begonnen. 

Es ist 16.30 Uhr und die Chaos-Phase nimmt ihren Lauf. Das Mobilnetz über Zürich ist schon zusammengebrochen, am Strassenrand legen die ersten Partyopfer ihren Kopf auf die Knie, am Bürkliplatz jagt die Techno-Parade ihrem Höhepunkt entgegen. Beeler wird zum nächsten Notfall gerufen: Auch am Limmatquai fliesst das Wasser nur zögerlich. Vielleicht steht am anderen Ende der Limmat jemand auf dem Schlauch, vielleicht hat einer den Hahnen zugedreht, vielleicht ist schlichtweg der Druck zu niedrig. 

«Von jetzt bis 21 Uhr haben wir volle Auslastung, das Wasser ist knapp, der Andrang riesig», haucht Beeler und hetzt zum Bürkliplatz. Dort in der grössten WC-Anlage der Streetparade befinden sich gerade viel zu viele Menschen auf dem umzäunten Platz mit 100 Toiletten.

Marcel Beeler hat seit Donnerstag kaum geschlafen. Fluchen tut er trotzdem nie. Die ganze letzte Nacht hat er Leitungen geflickt. Bei der 1.-August-Feier haben ungeduldige Kunden mit grossem Bedürfnis die Schläuche sabotiert. Seit 14 Jahren macht der 45-Jährige das nun. Mit der Toiwa ist er an fast allen grossen und kleinen Anlässen Zürichs präsent: Am Knabenschiessen, am Zürich Openair, am Landenbergfest, an fast allen kleinen Openairs. 

Er bietet den vollen Service: Mit Teilzeitarbeitern stellt er die Installation, Betreuung, Sauberkeit und Sicherheit seiner WC-Anlagen sicher. Rund 70 Menschen arbeiten an der Street Parade für ihn: An der Kasse, in der Reinigung, und jede Station ist von Sicherheitsangestellten bewacht. 

Ein Stutz fürs Pissoir, zwei Stutz fürs WC: «Das ist die finanzielle Schmerzgrenze», sagt Beeler, «mehr können wir nicht verlangen.»

Direkt neben den WCs bilden sich regelmässig Freiluft-Pissoirs.
Direkt neben den WCs bilden sich regelmässig Freiluft-Pissoirs.Bild: watson/rar

Doch das reicht kaum. Die Streetparade ist für Beeler ein sprichwörtliches Drecksgeschäft. Mit dem immensen Personal- und Arbeitsaufwand für nur einen Nachmittag geht er ein grosses Risiko ein. Bis zu 50'000 Franken könnte ihn diese Parade bei schlechtem Wetter kosten. 

Seine Autowerkstatt von früher, mit 20 Angestellten, will er trotzdem nicht zurück. Seine Frau, die ihn im Frühling verlassen hat, weil er zu viel arbeitete, schon eher. 

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Um 20 Uhr ist der grosse Ansturm vorbei. Der Himmel über Zürich hat sich dunkel verfärbt. Die Partygänger sind früh gekommen, jetzt brechen jene die noch gehen können schon wieder auf. «Dieses Jahr hatten wir weniger Leute», glaubt Beeler. Wahrscheinlich wird auch dieses Jahr die Eine-Million-Grenze nicht geknackt. Wie es in der Kasse aussieht, weiss Beeler noch nicht. Abgesehen von den Wasserproblemen zieht er eine positive Bilanz.

Eine weitere Streetparade geht zu Ende, ein weiteres Jahr ist das meiste Pipi direkt im Abwasser gelandet, der Rest auf der Strasse. Die Stadt dürfte aber zufrieden sein. Sollte es am Sonntag wie prognostiziert noch etwas darüber regnen, kann sie sich sogar die Reinigung mit teurem Anti-Urin sparen. 

Beeler beginnt um 1 Uhr nachts mit dem Abbau der WC-Anlagen. Am Sonntagmorgen früh wird er mit ihnen in den Letzigrund einfahren. Die Leichtathletik-EM steht bevor. Am Montag beginnt der Aufbau des Zürich Openair. Und am Dienstag – am Dienstag wird Beeler voraussichtlich etwas schlafen können.

Die Street Parade und das Abwasser

Video: watson
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