Es gab mal eine Zeit, vor gefühlten 175 Jahren, da war Paris Hilton das wichtigste Mädchen der Welt. Blond, dünn, dumm. Mit nichts ausser sich selbst und dem Geld des Hilton-Hotels-Imperiums unterwegs. Manchmal mit einem Täschchen. Oder einem Hündchen, das ins Täschchen passte. So war ihr Image. Trotzdem war sie wichtig. Sie galt als «New York's Leading It-Girl» und war die meistfotografierte Person der Welt.
Das war 2001. Und Paris Hilton gebar damals wie heute zwar kein Kind, hob aber eigenhändig die Celebrity-Netz-Kultur aus der Taufe. Ein Mann aus Miami taufte sich 2001 um in Perez Hilton und wurde zum prominentesten Promi-Blogger des Universums. Das Paparazzi-Portal «X17online» wurde 2001 ins Leben gerufen. Paris Hilton war die frivole Kehrseite des Turmfalls von New York. Die goldene Null der Nullerjahre.
Sie hatte viele Männer, manchmal tanzte sie derangiert auf Tischen oder im Zürcher Club Saint-Germain von Carl Hirschmann an einer Stange. Sie wirkte entspannt sportlich, plantschte gern in den Weltmeeren oder fuhr Ski in Gstaad und manchmal versuchte sie, gemeinsame Sache mit einem andern blonden Mädchen zu machen: mit ihrer Schwester Nicky Hilton oder mit Nicole Richie. Es waren Geschäftsfreundschaften und irgendwie waren sie nicht von Dauer.
Paris Hilton war eine Ego-Einzelanfertigung und allein am erfolgreichsten. Und obwohl man ihr auf den ersten und zweiten Blick keine plastische Chirurgie nachweisen kann, wirkte sie immer wie aus Plastik. Leicht distanziert, abwaschbar. Auf den Listen mit den wichtigsten Menschen der Welt stand sie jahrelang weit vorn und selbst heute verdient sie pro Jahr noch gute 12 Millionen Dollar. Mit Parfüm, Handtaschen, Uhren, mit Auftritten in koreanischen Musikvideos, als DJ. Auf den roten Teppichen und den Celebrity-Portalen ist die heute 34-jährige allerdings schon fast unsichtbar geworden. Weil ihr Celebrity-Modell inzwischen viel zu einfach geworden ist, um noch interessant zu sein.
Ihr Problem: Eine Hilton ist einfach keine Kardashian. Mit dem Clan der Clans kann Paris einfach nicht mehr mithalten. Denn die Kardashians machen restlos alles richtig im Kampf um die Aufmerksamkeit und obendrein sich selbst zum öffentlichen Kunstwerk. Erstens verkörpern die Kardashians im Gegensatz zum privilegierten Weissbrot Hilton den Mythos der Einwandererfamilie – mit armenischen Wurzeln –, die es in Amerika zu Königen geschafft hat. Zweitens stehen sie im Gegensatz zur Einzelgängerin Hilton für eine alle umarmende Familie: Eine, die riesig ist, die Kinder kriegt ohne Ende, die zusammenhält, die den (Stief-)Vater, der jetzt eine (Stief-)Mutter ist, ohne Vorbehalte liebt und unterstützt.
Und das Vorzeigemädchen der Familie, Kim Kardashian (ebenfalls 34), hat natürlich credibility-strategisch gesehen den besten Mann geheiratet, der sich weit und breit finden liess: Kanye West, einen Schwarzen, der es in der Musikindustrie bis ganz nach oben geschafft hat. Auch er ein amerikanischer Märchenprinz. Obwohl man an dieser Stelle einwenden muss, dass beide nicht aus unterprivilegierten Verhältnissen stammen: Kim Kardashians Vater ist Prominenten-Anwalt, Kanye Wests Mutter war Professorin für Anglistik.
Aber im Gegensatz zur ethnischen Einfalt einer Paris Hilton taugt die Aura von Kim und Kanye für eine zukunftssichernde globale Celebrity-Fankultur natürlich viel mehr: Die beiden stehen für eine neue, nicht weisse Elite. Amerika, Afrika, Asien finden sich da vereint. Und wenn das alles gerade mal nicht reicht, so greifen die Kardashians zu noch radikaleren Mitteln. Und auch dies mit der ganzen Power eines Clans.
Ihre Radikalität liegt dabei in ihren Körpern. In Kim, die sich ihre Oberschenkel absaugen und mit dem Eigenfett ihren Hintern aufpumpen liess. Nicht die Brüste, wie unzählige andere Frauen, sondern das Alleinstellungsmerkmal Hintern. In Kylie, die findet, siebzehn sei das beste Alter, um eine absurde Anzahl von Schönheits-Operationen durchzuführen und junge Mädchen mit ihrem Lippentrick in Verletzungsgefahr bringt. Von allen Kardashians ist Kylie ohne Frage die fahrlässigste.
Und natürlich ist da Bruce Jenner, der sich auf dem Höhepunkt der Kardashian-Mania, im grösstmöglichen Paparazzi-Gewitter also, endlich seinen Herzenswunsch erfüllt und zur Frau wird. Und damit dem Clan gleich noch die Zuneigung der ganzen Trans-Gemeinde sichert. Smarter, breiter und cooler kann man sich seine Anhängerschaft tatsächlich nicht zusammenzimmern.
Man mag sie lächerlich finden in ihren immer zu engen Kostümen, die aussehen wie vom Nutten-Ausstatter. Man mag sie doof finden in ihrer zelebrierten Überheblichkeit. Aber als Meister der Steuerung von Medien und Mainstream sind sie derzeit verdammt unverwundbar.