Das Radisson-Hotel Park Inn im Stadtzentrum von Donezk, das erste Haus am Platz, liegt jetzt im Kriegsgebiet. Die Mitglieder der OSZE-Mission, die dort untergebracht sind, konnten immer wieder Granatwerfer, Maschinengewehr-Feuer und Kalaschnikow-Salven hören. In der Nacht waren zwei ukrainische Kampfflugzeuge im Tiefflug über die Stadt gejagt, sie hatten eine Autowerkstatt, die den Separatisten als Unterschlupf diente, in Trümmer geschossen. Trotz der Kämpfe machten sich die internationalen Beobachter am Mittwoch wieder auf den Weg zur Absturzstelle der malaysischen Boeing 777.
Die Arbeit am Trümmerfeld gut 60 Kilometer östlich von Donezk kommt nur schleppend voran. Das bestätigte der Vize-Missionschef der OSZE in der Ukraine, Alexander Hug, Spiegel Online. Der Schweizer hatte am Dienstag mit seinem Team erneut ausländische Experten zur Absturzstelle der malaysischen Maschine gebracht: 45 Niederländer, 28 Australier und zwölf Malaysier. Es war Tag 19 nach dem mutmasslichen Abschuss der Boeing. Fast drei Wochen sind seit der Katastrophe vergangen, aber die Arbeit an der Unglücksstelle ist nicht gerade leichter geworden.
Allein die Anfahrt nimmt jetzt etwa zweieinhalb Stunden in Anspruch. «Wir fahren von Donezk nicht Richtung Osten zur Absturzstelle, sondern erst einmal die H20 nach Norden bis Soledar», so Hug. Soledar ist in der Hand der Ukrainer, dort sind die Niederländer, Australier und Malaysier untergebracht. Dann geht es wieder nach Süden durch Niemandsland bis nach Schachtarsk, eine Stadt, in der sich jetzt beide Seiten festgesetzt haben. Und weiter zur Absturzstelle.
Es ist ein Umweg von vielleicht 160 Kilometern, der aus Sicherheitsgründen aber unumgänglich ist. Fünf Stunden Fahrt stehen dann – wie am Dienstag – sechs Stunden Arbeit im Trümmerfeld gegenüber. Am Vortag waren es nur eineinhalb Stunden, dann musste die Suche wegen der Kampfhandlungen abgebrochen werden. Entgegen der Zusicherung beider Seiten wurde in unmittelbarer Nähe geschossen.
Gesucht wird gegenwärtig in sechs Abschnitten zwischen den Orten Krasnyj Lutsch, Petropawlowka, Rassypnoje, Moskowskoje und Grabowo. Am Dienstag waren die Experten in fünf Gruppen rund um die Siedlung Petropawlowka im Einsatz, wo sie zuvor aus Sicherheitsgründen nicht arbeiten konnten.
Leitfaden für die Suche ist eine Karte, die mit Hilfe von Satellitenaufnahmen zusammengestellt wurde. Hug breitet sie in der Hotel-Lobby aus: Jedes auch nur kleine Fundstück ist mit einem gelben Punkt markiert – es sind Hunderte solcher Punkte, die sich über mehr als ein Dutzend Kilometer verteilen – bis an den Dorfrand von Grabowo, wo die schweren Teile der Maschine liegen: Triebwerke, Fahrwerke, Heckteil und eine der Tragflächen. An manchen Stellen finden sich gehäuft Reste des Flugzeugs, in anderen Teilen der Karte wiederum sind nur einzelne Punkte markiert. Der westliche Teil des Trümmerfeldes befindet sich in der Hand der Ukrainer, der östliche liegt im Rebellengebiet. «Die Experten haben in den letzten Tagen erneut auch Leichenreste gefunden – meist Arme oder Schulterteile. Dazu weitere persönliche Sachen der Passagiere», sagt Hug.
Wie lange die Suche in den Feldern östlich von Schachtarsk fortgesetzt wird, vermag auch Hug nicht zu sagen. Die Rebellen bestünden darauf, dass die Trümmerteile von internationalen Fachleuten abtransportiert werden. «Danach soll nach Auffassung der Separatisten der gesamte Boden des Gebiets dekontaminiert werden». Welchen Sinn es ergeben sollte, in einem Kriegsgebiet grossflächig Erdschichten abzutragen, erschliesst sich nicht.
Denn rundherum nehmen die Kämpfe an Heftigkeit zu, die ukrainische Armee zieht den Ring um Donezk immer enger. Hug beobachtete auch gestern grosse Militärkolonnen in dem Gebiet. Die Grenze zu Russland östlich der Absturzstelle von MH17 wird aber weiterhin allein von den Rebellen kontrolliert. Die Ukrainer haben das Gebiet entgegen eigenen lautstarken Versicherungen bislang nicht erobern können. Es bleibt ein potenzielles Einfallstor für Kämpfer und Waffen.
Die Arbeiten an der Absturzstelle könnten sich noch Wochen hinziehen, glaubt Hugs Kollege, OSZE-Sprecher Michael Bociurkiw. «Doch nehmen wir jeden Tag als den möglichen letzten. Die Kampfhandlungen, das schwierige Gelände mit dem hohen Gras und die unerträgliche Hitze machen uns die Arbeit extrem schwer.»