Schweiz
Aargau

Fall Rupperswil: Opferhilfe kritisiert Gefängnisleiter

Gefängnis-Leiter Bruno Graber erzählte im Fernsehen, dass ihm Thomas N. gesagt habe, er fände es fantastisch, wie nett man in Lenzburg zu ihm sei. (Montage)
Gefängnis-Leiter Bruno Graber erzählte im Fernsehen, dass ihm Thomas N. gesagt habe, er fände es fantastisch, wie nett man in Lenzburg zu ihm sei. (Montage)bild: Severin Bigler/Sandra Ardizzone/Marco Tancredi

Fall Rupperswil: Opferhilfe kritisiert Gefängnisleiter wegen Aussagen über Thomas N.

Die Aussagen des Lenzburger Gefängnisleiters Bruno Graber sorgen für Kopfschütteln. Die Opferhilfe und Angehörige kritisieren, wie er über den Vierfachmörder Thomas N. gesprochen hat.
24.05.2019, 08:3524.05.2019, 15:50
noemi lea landolt / ch media
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Viele Zuschauerinnen und Zuschauer konnten nicht glauben, was sie gehört hatten. Im «Talk Täglich» auf Tele M1 erzählte Bruno Graber, der Chef des Zentralgefängnisses Lenzburg, der nach 36 Jahren in Pension geht, dass er regelmässig mit Thomas N. gesprochen habe. Er habe den Vierfachmörder zum Beispiel gefragt, wie es ihm gehe und dieser habe geantwortet, es sei «fantastisch», wie nett man hier zu ihm sei.

Bruno Graber führte aus, man müsse darauf achten, dass es Straftätern den Umständen entsprechend gut gehe. Es sei wichtig, auch ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. Die meisten Gefangenen kämen schliesslich irgendwann wieder auf freien Fuss, dann zahle sich das aus.

Diese Aussagen dürften bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern für Kopfschütteln gesorgt haben. Auch Georg M. hat das Gespräch gesehen. Er war der Lebenspartner der ermordeten Carla S. In einem Leserbrief an die AZ schreibt er: «Bruno Grabers zynische Worte wirken auf mich wie ein Faustschlag ins Gesicht der Angehörigen der Opfer, die immer noch verzweifelt versuchen, das Geschehene zu verarbeiten.»

Den Angehörigen gehe es nicht «fantastisch» und «nicht mal den Umständen entsprechend gut», schreibt er und fragt, ob Bruno Graber auch so sprechen würde, wenn seine Familie «auf brutalste Art ausgelöscht worden wäre».

Täter im Zentrum – und die Opfer?

Susanne Nielen, die Leiterin der Beratungsstelle Opferhilfe Aargau Solothurn, versteht Georg M. sehr gut. Sie hat die Angehörigen der Rupperswil-Opfer eng begleitet – auch während des viertägigen Prozesses vor dem Bezirksgericht Lenzburg. Sie sei von Angehörigen auf die Fernsehsendung und Bruno Grabers Aussagen aufmerksam gemacht worden.

«Für Angehörige ist es schlimm, wenn so verharmlosend über einen Täter gesprochen wird»: Susanne Nielen, Leiterin der Opferhilfe Aargau Solothurn.
«Für Angehörige ist es schlimm, wenn so verharmlosend über einen Täter gesprochen wird»: Susanne Nielen, Leiterin der Opferhilfe Aargau Solothurn.bild: Sandra Ardizzone

Es sei für Angehörige immer schwierig, wenn Täter eine Plattform bekämen, sagt Susanne Nielen. Sie stört, dass Bruno Graber während seines Auftritts überhaupt nicht an die Angehörigen der Opfer gedacht hat und ihr Leid mit keinem Wort erwähnt hat, obwohl Moderator Rolf Cavalli nachgebohrt hatte. «Ich hätte mir von Bruno Graber mehr Sensibilität gewünscht», sagt sie. «Für Angehörige ist es schlimm, wenn so verharmlosend über einen Täter gesprochen wird.»

Leid vergisst man nicht

Thomas N. habe unsägliches Leid verursacht. «Das haben Angehörige vier Jahre nach dem Mord nicht einfach vergessen. Das vergessen sie nie.» Umso schlimmer sei es, «wenn freundlich über Menschen gesprochen wird, die Schreckliches getan haben», sagt Susanne Nielen. Vorwürfe will sie dem Gefängnisleiter dennoch nicht machen. «Er hat es bestimmt nicht böse gemeint, hat aber einfach nicht weit genug gedacht.»

Auch im Gefängnis Lenzburg gab der Fernsehauftritt zu reden. Bruno Grabers Chef, Gefängnisdirektor Marcel Ruf, sagt auf Anfrage der AZ: «Herr Graber hatte sich tatsächlich unglücklich ausgedrückt.» Marcel Ruf stellt klar, die Mitarbeitenden würden alle Gefangenen so gut es geht immer gleich behandeln. «Dabei gewähren wir weder einen möglichst angenehmen noch einen möglichst unangenehmen, sondern einen gesetzeskonformen Vollzug.» Bruno Graber selber will nun mit Georg M. Kontakt aufnehmen und ihn abseits der Öffentlichkeit einmal treffen, wie «Tele M1» berichtet.

«Herr Graber hatte sich tatsächlich unglücklich ausgedrückt»: Marcel Ruf, Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg.
«Herr Graber hatte sich tatsächlich unglücklich ausgedrückt»: Marcel Ruf, Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg.bild: Chris Iseli

Thomas N. nicht mehr in Lenzburg

Mit Thomas N. wird Bruno Graber nicht nur wegen seiner bevorstehenden Pensionierung nichts mehr zu tun haben. Der Vierfachmörder wurde 2017 – gut ein Jahr nach seiner Verhaftung – von Lenzburg in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf verlegt, wo er seine Strafe absitzt. Nur für die Dauer des erstinstanzlichen Prozesses war er noch einmal in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg untergebracht und wurde von dort aus von Polizisten zur Gerichtsverhandlung in Schafisheim gefahren.

Die Chancen, dass der heute 36-Jährige irgendwann wieder auf freien Fuss kommt, sind gering. Das Aargauer Obergericht hat im Dezember die vom Bezirksgericht ausgesprochene Verwahrung bestätigt. Das heisst, Thomas N. kommt erst raus, wenn von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Juristisch ist der Fall Rupperswil noch nicht abgeschlossen. Der Vierfachmörder hat das Urteil des Obergerichts ans Bundesgericht weitergezogen. Er kämpft für eine vollzugsbegleitende Therapie. Diese hatte ihm das Obergericht gestrichen.

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Vierfachmord von Rupperswil AG
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Vierfachmord von Rupperswil AG
Barbara Loppacher, leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, informiert wahrend der Medienkonferenz zum Tötungsdelikt Rupperswil.
quelle: keystone / alexandra wey
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Angehöriger Georg M. zum Urteil zum Fall Rupperswil
Video: watson
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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Joshuuaa
24.05.2019 10:12registriert Januar 2016
Gefängnisse dienen Mindestens 3 Zwecken: Bestrafung, Schutz der Öffentlichkeit und Rehabilitierung.
Das Personal muss hinter den 《Monstern》 Menschen sehen. Nur wenn wir Verbrecher als Menschen verstehen, können wir Strukturen schaffen, die Gewalt verhindern. Und nur wenn das Personal die Insassen als Menschen begreift, können sich diese selbst als solche erkennen (und entsprechend Schuld empfinden) . Entsprechend sind Strukturen zu gestalten. Graber macht einen harten Job gut und ist nicht gefühlskalt. Sein Statement aber geht nicht: Wieso er ein Individuum herausgreift, ist unverständlich.
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