René Hunziker fährt im unauffälligen weissen Renault-Kombi vor. Früher, sagt er kurz nach dem Aussteigen, seien die Dienstwagen noch angeschrieben gewesen. Zerkratzte, zerbeulte, beschädigte Autos waren die Folge. Für den Unmut einiger Unbeherrschter sorgten sechs Buchstaben: BILLAG.
Die Swisscom-Tochterfirma, die hierzulande die Gebühren für den Fernseh- und Radioempfang eintreibt. 451.10 Franken müssen Haushalte dafür pro Jahr bezahlen – schätzungsweise 95 Prozent sind angemeldet, um die übrigen fünf Prozent kümmert sich René Hunziker, Leiter Region Nord, die sich von Basel bis Uri, von Freiburg bis Baden erstreckt. Er koordiniert die Einsätze seiner 14 Mitarbeiter, Field Agents genannt, von seinem Heimarbeitsplatz aus. Einmal pro Woche ist er selbst unterwegs, um Schwarzseher aufzuspüren.
An diesem frühlingshaften Mittwochnachmittag geht er in einem Neubauquartier in Mellingen im Kanton Aargau auf Kontrolltour. Er hängt sich die schwarze Tasche mit dem Billag-Logo drauf und den Billag-Unterlagen drin um, setzt die umgehängte Lesebrille auf, startet das Tablet – sein wichtigstes Arbeitsinstrument. Auf dem Bildschirm sehen die Kontrolleure, wer angemeldet ist. Die Namen auf der Liste vergleicht er mit jenen an den Klingelschildern. Schon beim ersten Haus findet Hunziker eine Person, die der Billag nicht bekannt ist. Er läutet, wartet, nichts passiert. «Bitte melden Sie sich», steht auf dem Kuvert, das er kurz darauf mit einer Anmeldekarte in den Briefkasten wirft. «Häufig reicht das bereits», sagt Hunziker und zeigt mit der rechten Hand, wie gross der Stapel der Karten ist, der Tag für Tag in der Freiburger Billag-Zentrale landet. Knapp 70'000 neue Anmeldungen waren es 2015.
Als René Hunziker 1988 zum Kontrolleur wurde, war erst jeder fünfte Haushalt gemeldet. Damals ging er in der PTT-Uniform von Tür zu Tür, war Beamter mit deutlich mehr Kompetenzen: Bussen ausstellen, Geld einkassieren, Geräte beschlagnahmen. Konnte oder wollte jemand nicht zahlen, wurden Fernseher oder Radio gleich mitgenommen.
Heute ist die Hauptaufgabe eines Kontrolleurs eine andere, wie Hunziker mehrmals wiederholt: «Ich informiere die Leute.» Die Arbeit sei leichter geworden. «Nicht wir, sondern das Bundesamt für Kommunikation büsst und bestraft.» Mehr als 4500 Bussen bis maximal 5000 Franken wurden letztes Jahr ausgesprochen, in vier Fällen kam es gar zu einer Hausdurchsuchung.
Lügen erkennt er sofort. In Wohnungen rein dürfen die schweizweit 40 Billag-Kontrolleure nur dann, wenn die Bewohner ihnen dies erlauben. Seinen Mitarbeitern rate er jeweils davon ab, sagt Hunziker. Der Grund: Sie laufen sonst in Gefahr, fälschlicherweise wegen Diebstahl oder sexueller Belästigung angezeigt zu werden, als Rache für die unliebsame Kontrolle. «Das hat es alles schon gegeben.»
Auf seiner nachmittäglichen Runde macht René Hunziker allerdings eine Ausnahme, weil ihm ein Mann zeigen will, warum er zu Recht nicht angemeldet ist – obwohl im Hintergrund ein Fernseher zu sehen ist. Nachdem dieser den Hund, der kläffend die Treppe runter Richtung Ausgang gerannt war, wieder zurück in die Wohnung getragen hat, bittet er Hunziker in die Stube. Kein Internet, kein Kabel, nur DVDs, erklärt der Mann.
Als die Haustür wieder geschlossen ist und das Bellen nur noch gedämpft zu hören ist, sagt Hunziker: «Ich glaube ihm.» Lügen erkenne er sofort. Wer zittert, schwitzt, sich hinter der Tür versteckt, macht sich verdächtig. Einmal deckte ein kleines Kind die Lüge der Mutter auf, die behauptete, keinen Fernseher zu besitzen: «Aber Mami, wir schauen doch jeden Abend die Gutenachtgeschichte.»
Skurrile und lustige Geschichten wie diese kann der 57-Jährige viele erzählen. Von der Prostituierten, die oben ohne die Türe öffnete, weil sie einen Freier erwartete. Vom Bierflaschensammler, der ihm stolz seine 3000 Stück zeigte. Vom Schlangenfan, der ihm beweisen wollte, dass in der Wohnung vor lauter Terrarien gar kein Platz mehr für einen Fernseher bleibt.
Richtung gefährlich ist es in den bald 30 Jahren für René Hunziker nur einmal geworden: Der Fernseher kam von der Galerie im ersten Stock geflogen – und verfehlte seinen Kopf nur knapp. Geworfen hatte das Gerät ein Mann, dem alles in die Brüche zu gehen drohte. «Scheidung, Familie weg, Geldsorgen – und dann kommt auch noch der Billag-Kontrolleur. Das war wohl zu viel», sagt Hunziker. Anzeige erstattete er nicht. Häufiger als mit körperlicher Gewalt ist er ohnehin mit Beleidigungen konfrontiert, doch Schimpfworte prallen an ihm ab. «Sonst hätte ich den Job nicht so lange machen können.»
Eine Arbeit, die René Hunziker auch nach fast 30 Jahren Freude bereite, wie er sagt. Die Gerechtigkeit treibt ihn an: «Wenn alle zahlen, zahlen alle weniger.» Das erklärt er geduldig all jenen, die nicht einsehen, warum sie Gebühren entrichten sollten. Allzu viele Gelegenheiten erhält er an diesem Nachmittag nicht; kaum jemand ist zu Hause. Und wer da ist, macht nicht immer auf. Einmal meint Hunziker, einen Schatten im Türspion zu sehen. Doch auf ein Klopfen und ein zweites Klingeln reagiert niemand. «Was willst du machen», sagt er und zuckt mit den Achseln. Kein Gesetz schreibt vor, dass die Türe geöffnet werden muss. Hunziker wirft ein Kuvert in den Briefkasten und zieht weiter. Geht doch mal eine Tür auf, stellt er sich kurz vor – «Mein Name ist Hunziker von der Firma Billag» – und zückt den Mitarbeiterausweis, der am Bund seiner Jeans hängt.
«Früher musste ich ständig erklären, was die Billag ist. Das ist heute anders.» Eine Folge der politischen Diskussion über das Gebührensystem. Das knappe Ja zum neuen Radio- und Fernsehgesetz bei der Abstimmung vom letzten Juni nimmt René Hunziker gelassen – auch wenn der Volksentscheid ihn den Job kostet. Die Kontrollen werden 2019 eingestellt. Dann ist er 60. Wie es für ihn weitergeht, ist ungewiss. «Irgendein Türchen geht immer auf.» Bis dahin wird er noch öfters vor geschlossenen Türen stehen; die Suche nach den Schwarzsehern ist noch nicht zu Ende. (aargauerzeitung.ch)
So einfach ginge das.
Die Initiative von Frau Rickli hingegen.. ein Blick auf die Kommentare der entsprechenden Facebook-Seite gibt prima Auskunft über das Niveau dieser Klientel.