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Amherd-Nachfolge: Die Bundesratswahl wird zur Kabarettnummer

Der Ostschweizer Bauernpräsident Markus Ritter (links) und der Zentralschweizer Regierungsrat Martin Pfister wollen Bundesrat werden.
Markus Ritter (l.) und Martin Pfister sind sich weniger ähnlich, als sie aussehen.Bild: keystone
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Die Bundesratswahl wird zur Kabarettnummer

Die Mitte hat für die Amherd-Nachfolge erst auf den letzten Drücker eine Frau angefragt. Und jetzt bringt sich auch noch Christoph Blocher ins Spiel. Das kann ja heiter werden.
11.02.2025, 16:1111.02.2025, 17:09
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Bundesratswahlen folgen einem seltsamen Ritual. Im Vorfeld wird in den Medien gerne über wilde Kandidaturen spekuliert. Es sind in der Regel reine Luftnummern. Seit Christoph Blochers Abwahl vor bald 20 Jahren hat sich stets jemand durchgesetzt, der auf dem Ticket der jeweiligen Partei stand. Allenfalls gab es Störmanöver wie mit Daniel Jositsch.

Die Lust auf Experimente hält sich in der Bundesversammlung in Grenzen, zum Leidwesen der Grünen, die immer wieder aufgelaufen sind. Mit der Ersatzwahl für Viola Amherd am 12. März könnte sich dies ändern. Das liegt vor allem an der Mitte-Partei, die bei der Nachfolgesuche keine gute Falle machte. Reihenweise sagten potenzielle Favoriten ab.

Video: watson/kilian marti, lucas zollinger

Am Ende musste die Parteileitung froh sein, dass sich zwei Kandidaten zur Verfügung stellten: der St. Galler Nationalrat und Bauernpräsident Markus Ritter sowie der Zuger Regierungsrat Martin Pfister, der seine Bewerbung kurz vor Meldeschluss einreichte. In Parlament und Bevölkerung stösst diese Auswahl auf überschaubare Begeisterung.

Vorbehalte gegen Ritter

In einer repräsentativen Tamedia-Umfrage sprachen sich nur 38 Prozent der Befragten für einen der beiden Mitte-Kandidaten aus, wobei Martin Pfister leicht die Nase vorn hat. Ein bemerkenswerter Befund, war er doch bis zu seinem Einstieg ins Rennen ausserhalb seines Kantons kaum bekannt. Das Umfrage-Ergebnis spricht vor allem gegen Markus Ritter.

Die Bundesratswahl ist keine Volkswahl. Und doch sind die Vorbehalte gegen Ritter nachvollziehbar. Sein aggressives Bauernlobbying, seine grenzwertigen Interview-Aussagen und die Herkunft dürften viele abstossen. Pfister hingegen eckt kaum an, und er stammt aus der Zentralschweiz, die seit mehr als 20 Jahren nicht im Bundesrat vertreten war.

Der Zweikampf

Markus Ritter vertraut auf die Dienste von Lorenz Furrer, einem der ausgebufftesten PR-Profis in Bern. Bei seinen ersten Auftritten muss man sich jedoch fragen, ob er beratungsresistent ist. Seine Aussagen waren ziemlich rechtslastig. Die Frauen? Interessieren sich nicht fürs VBS. Die Städter? Sind nicht die Fleissigsten unter der Sonne.

Video: watson/Seline Meier / David Indumi / Hanna Dedial

Vielleicht hat der Bauernpräsident das linksgrünliberale Spektrum bereits abgeschrieben (mehr als eine einstellige Stimmenzahl kann er von dort nicht erwarten, wenn überhaupt). Irritierend aber wirkt seine Kritik an den Zuständen im Verteidigungsdepartement, die indirekt Viola Amherd trifft. Das dürfte auch in den eigenen Reihen nicht allen gefallen.

«Ich schätze Frau Amherd sehr. Ich kann aber ihre Leistung nicht beurteilen, da bin ich heute zu wenig nahe dran», sagte Ritter gegenüber Tamedia. Es wirkt wie eine Schutzbehauptung. Seine Strategie ist riskant, denn bei der Mitte-Fraktion werden sich die Stimmen aufsplitten, und auch Freisinnige haben Vorbehalte gegen einen weiteren Bauern im Bundesrat.

Martin Pfister aus dem Wirtschaftskanton Zug dürfte bei ihnen auf mehr Anklang stossen. In seinem Auftritt ist der Gesundheitsdirektor eine Art Anti-Ritter. Sein Interview mit Tamedia etwa liest sich so spritzig wie ein Glas lauwarmes Wasser. Bei wichtigen Themen drückt er sich um eine klare Antwort herum. Einzig die Schuldenbremse verteidigt er eisern.

Bei den Linken stösst auch Pfister auf Ablehnung, wegen der Tiefsteuerpolitik in Zug. Aus dem Kantonsparlament gibt es aber durchaus lobende Worte von links für den «kompromissbereiten» Regierungsrat. Das ist nicht unbedeutend, denn die Zuger Regierung ist seit 2018 rein bürgerlich. Politisch wird Pfister «in der Mitte der Mitte-Partei» verortet.

Ein Bauernpolitiker mit rechtsbürgerlicher Schlagseite und ein «eingemitteter» Politiker aus einem wirtschafts- und finanzstarken Kanton – mit etwas gutem Willen kann man der Mitte-Partei attestieren, dass sie tatsächlich eine Auswahl anbietet. Eines aber haben beide gemeinsam: Ihr Französisch erinnert eher an «Français fédéral» als an die Sprache Molières.

Der Blocher-Faktor

Das Unbehagen über das Mitte-Duo sorgt für seltsame Blüten. Ausgerechnet der 84-jährige Christoph Blocher meldet via Teleblocher und CH Media seine Lust auf ein Bundesrats-Comeback an. Sein Ziel wäre, das VBS bis Ende 2027 in Ordnung zu bringen. «Nach zweidreiviertel Jahren könnte man den Sitz dann der Mitte-Partei zurückgeben.»

Blochers Vorpreschen irritiert, denn keine Partei hat die arithmetische Konkordanz im Bundesrat so vehement beschworen wie die SVP. Und nun will er der Mitte den einzigen Sitz «temporär» wegnehmen, während die praktisch gleich starke FDP weiterhin zwei Vertreter im Bundesrat haben soll? Es würde das System in seinen Grundfesten erschüttern.

Wahrscheinlicher ist, dass der alte Politfuchs wieder einmal seine Lust an der Provokation auslebt. Vielleicht will er eine Mitte-links-Mehrheit für Martin Pfister verhindern und Markus Ritter pushen, der ihm mit seinem rechtsbürgerlich-bäuerlichen Profil sicher nähersteht. Oder er will der Mitte signalisieren, auf keinen Fall einen der beiden FDP-Sitze anzugreifen.

Die Mitte-Frauen

Die Buendner Regierungsraetin Barbara Janom Steiner, aufgenommen an der Delegiertenversammlung der BDP Schweiz, am Samstag, 28. April 2018, in Seewis. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Auf den letzten Drücker wurde die frühere Bündner BDP-Regierungsrätin Barbara Janom Steiner angefragt.Bild: KEYSTONE

Für die Amherd-Nachfolge stellen sich zwei Männer um die 60 zur Verfügung. Auch in diesem Punkt irritiert das Vorgehen der Partei. So hat die Findungskommission die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür und die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter nicht einmal angefragt. Offenbar hielt man dies nicht für notwendig.

Am Ende sagten beide ab. Dafür versuchte die Findungskommission laut dem «Sonntagsblick» nur eineinhalb Stunden vor Ablauf der Meldefrist am letzten Montag die frühere Bündner Regierungsrätin Barbara Janom Steiner zur Kandidatur zu überreden. Sie ist seit sieben Jahren nicht mehr politisch aktiv und verzichtete wegen der kurzen Bedenkzeit ebenfalls.

Einen professionellen Eindruck hinterlässt diese Kandidatensuche nicht. Um ein drohendes Einerticket mit Markus Ritter zu verhindern, wurde zuerst Martin Pfister überredet, unter anderem von Namensvetter und Mit-Zuger Gerhard Pfister. Und schliesslich versuchte man auf den letzten Drücker noch eine Frau aufzutreiben.

Nimmt man die bizarre Episode um die Intervention von Markus Ritter wegen der Ausmusterung seines Sohnes aus der Armee hinzu, erinnert diese Bundesratswahl zunehmend an eine Kabarettnummer. Am 21. Februar entscheidet die Mitte-Fraktion über die Nomination. Es wird wohl auf Markus Ritter und Martin Pfister hinauslaufen.

Und es bleibt wahrscheinlich, dass einer von ihnen gewählt wird. Aber wie gesagt, in diesem Fall ist nichts auszuschliessen.

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Ein Rückblick auf Viola Amherds Karriere
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Ein Rückblick auf Viola Amherds Karriere
2003: Von 2000 bis 2012 war Viola Amherd Stadtpräsidentin von Brig-Glis.
quelle: ti-press / ely riva
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Mitte-Präsident Gerhard Pfister gibt sein Amt im Sommer ab
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116 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ChillDaHood
11.02.2025 16:25registriert Februar 2019
Hat die Mitte eine gute Falle gemacht bei der Kandidierendensuche? Definitiv nicht, Nein! Die Findungskommission sah ihre Aufgabe wohl eher im Aussortieren aller Willigen. Aber das Bashing ist schon etwas gar hart. Am Schluss sind das auch nicht schlimmere Kandidaten als von anderen Parteien gemeldet, also vor allem Herr AB Blocher dürfte sich da zurücknehmen! Ja es hat keine Frau drauf, aber was will man denn machen, wenn keine kandidieren will. Nach 25 Jahren Frauenvertretung der Mitte im Bundesrat ist wieder mal ein Mann wohl auch okay...
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Irgendwie so
11.02.2025 16:44registriert August 2022
Das ganze hat angefangen mit der kurzfristigen Kündigung von Frau Amherd. Einen Abgang als BR bereitet man minimal mit der eigenen Partei vor. Das scheint nicht geschehen zu sein und das wiederum spricht Bände...
Dass (fast) alle valablen Kandidaten und alle valablen Kandidatinnen zurückgezogen haben, hat mich doch sehr erstaunt. Wie um Himmels willen soll die MITTE so jemals einen zweiten BR-Sitz kriegen? Das stehen Anspruch und Bereitschaft meilenweit voneinander weg.
... und gebt Blocher als Stütze eine Hellebarde in die Hand und stellt ihn neben Dettling an den Rand des Bundesplatzes...
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Latvietis1101
11.02.2025 16:29registriert Oktober 2023
Das Mitte Ticket Ritter/ Pfister ist nicht schlechter als das Zweierticket der SP, Jans/ Pult. Abgesehen davon ist Martin Pfister ein valabler Kandidat. Sein einziges Manko, dass er in Bundesbern nicht so vernetzt ist, hat keinen Einfluss auf seine fachlichen und menschlichen Qualitäten.
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    Auch wir bei watson erhielten diese Tage das Mail. Wie jedes Jahr, wenn das Thermometer zum ersten Mal langfristig auf über 28 Grad zu steigen droht. Bei uns kam es von Bürgi – Hockey-Bürgi. Er kennt nicht nur die Penalty-Killing-Quote aller Teams der Saskatchewan Junior Hockey League, er weiss auch, wie man am Morgen richtig lüftet. Und deshalb hiess der Betreff: «So überleben wir den Sommer im Büro ohne Streit».

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