Stell dir vor, ein Bundesratssitz wird frei. Und niemand will ihn. Ungefähr so verlief in den letzten zwei Wochen bei der Mitte-Partei die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger für Bundesrätin Viola Amherd. Nachdem Parteipräsident Gerhard Pfister als vermeintlicher Topfavorit das Handtuch geworfen hatte, hagelte es Absage um Absage.
Am Ende fand die Partei doch noch einen Pfister, dank dem ihr die Peinlichkeit einer Einerkandidatur mit Nationalrat und Bauernpräsident Markus Ritter erspart bleibt. Martin Pfister deponierte am Montag kurz vor Meldeschluss seine Bewerbung. Er stammt wie sein Namensvetter aus Zug, ist mit ihm aber nicht verwandt und national kaum bekannt.
Martin Pfisters Trumpf ist die Herkunft aus der Zentralschweiz, die seit 2003 nicht mehr im Bundesrat vertreten war. Doch der Zuger Regierungsrat wird es schwer haben gegen den mit allen politischen Wassern gewaschenen Markus Ritter, der im Bundeshaus ein «bunter Hund» ist. Deshalb hat seine Last-Minute-Kandidatur einen Alibi-Beigeschmack.
Was nicht heisst, dass Martin Pfister chancenlos wäre. Markus Ritter hat sicherlich das Zeug zum Bundesrat, doch der Rheintaler hat mit seinem oft rabiaten «Bauerplay» viele in Bern vor den Kopf gestossen, bis ins freisinnige Lager. Umso mehr erstaunt es, dass sich nicht weitere Namen aus dem an sich beachtlichen Reservoir der Partei bewerben wollten.
In einigen Fällen (Christophe Darbellay, Nicole Barandun) passt die Kandidatur nicht in die Karriereplanung, andere (Philipp Matthias Bregy, Martin Candinas, Philipp Kutter) verweisen auf ihre Kinder, ein ehrenwertes Argument für eine Familienpartei. Und vielleicht ist das Bundesratsamt, für das man eine dicke Haut braucht, nicht mehr attraktiv genug.
Der Absage-Reigen ist dennoch eine Peinlichkeit für die Mitte-Partei, denn ihr Sitz ist eigentlich unbestritten. Der Waadtländer SP-Nationalrat Roger Nordmann brachte in der «Schweiz am Wochende» GLP-Ständerätin Tiana Moser ins Spiel, doch das war eine typische Nordmann-Provokation. Niemand hat ein Interesse, die Mitte anzugreifen.
Eher realistisch ist, dass der Partei eine «wilde» Wahl und damit ein Bundesratsmitglied droht, das nicht offiziell nominiert wurde. Solche Spielchen wurden bislang mit SP und SVP getrieben, weshalb dieses Szenario für die staatstragende Partei erst recht peinlich wäre. In gewisser Weise werfen die Personalprobleme ein Schlaglicht auf den Zustand der Mitte.
Die Partei hat unter Pfisters Präsidium einen Umbruch erlebt, durch die Fusion mit der BDP und den Namenswechsel zu Die Mitte. Nach aussen verlief er reibungslos, doch intern sind die Konflikte zwischen den «Traditionalisten», die der alten CVP ein Stück weit nachtrauern, und den «Modernisten» kaum bewältigt. Das zeigt sich in mehrfacher Hinsicht:
Nach Viola Amherds Rücktrittserklärung meldeten die Mitte-Frauen und ihre Präsidentin Christina Bachmann-Roth ihren Anspruch auf die Nachfolge an. Am Montag platzte mit dem Verzicht der Nationalrätinnen Nicole Barandun und Elisabeth Schneider-Schneiter ihre letzte Hoffnung. Zuvor hatten sich bereits diverse valabale Frauen abgemeldet.
Bachmann-Roth, deren forsche Auftritte im umgekehrten Verhältnis zu ihren politischen Erfolgen stehen, zeigte sich schon am Samstag gegenüber SRF ziemlich kleinlaut: «Es wäre wirklich toll, wenn noch eine Frau kandidieren würde.» Allerdings stellten die Frauen drei der vier letzten Bundesratsmitglieder von CVP/Mitte. Und es gibt noch ein Problem.
Seit einiger Zeit sieht sich die von Gianna Luzio geführte Parteizentrale mit Vorwürfen wegen eines angeblich untragbaren Arbeitsklimas konfrontiert. Allerdings wurden sie ausschliesslich anonym erhoben, was der dubiosen Affäre Züge einer Intrige verleiht. Mit Hilfe eines Anwalts gelangten sie ans Präsidiums.
Dieses engagierte einen externen Ombudsmann, der die Generalsekretärin entlastete. Gerhard Pfister wiederum verteidigte Gianna Luzio, die zu seinen wenigen Vertrauten gehört, vehement. Er geht davon aus, dass die Vorwürfe ihn treffen sollten, nach dem Motto «Man schlägt den Sack und meint den Esel».
Mit den Rücktritten von Präsident und Bundesrätin eskalierte die Geschichte erneut. Die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür forderte gegenüber den Tamedia-Zeitungen, die Sache müsse bis zur Bundesratswahl geklärt sein, sonst «geht das nicht mit Herrn Pfister auf dem Ticket».
Tags darauf erklärte der Zuger seinen Verzicht, und auch für Gmür ist das Bundesrats-Ticket kein Thema mehr. Sie galt als heisse Anwärterin, doch am letzten Freitag nahm sich die Luzernerin aus dem Rennen. Öffnet sich nun eine Tür für Gerhard Pfister? Die «Sonntagszeitung» forderte ihn faktisch auf, seine Absage zurückzunehmen.
Es gäbe eine Art Präzedenzfall. Als Samuel Schmid (BDP, ex-SVP) 2008 zurücktrat, wollte die SVP nach einem Jahr in der politischen «Wüste» zurück in den Bundesrat. Als Favorit galt Präsident Ueli Maurer. Er wehrte solche Spekulationen ab, bis er von der Partei trotzdem nominiert wurde, zusammen mit dem chancenlosen Christoph Blocher.
Am Ende schaffte Maurer die Wahl hauchdünn, gegen den von Mitte-links gepushten wilden Kandidaten Hansjörg Walter. Der Thurgauer war – noch eine seltsame Ironie – Präsident des Schweizerischen Bauernverbands. Jetzt könnte es ähnlich ablaufen, falls der eine Pfister (Martin) am 21. Februar in der Fraktion dem anderen (Gerhard) den Vortritt lassen sollte.
Der Präsident betonte am Montag, er werde das Amt «in keinem Fall» annehmen. Was aber, wenn die Fraktion ihn will? Er hätte am 12. März exzellente Chancen gegen Markus Ritter. Solche Winkelzüge passen eigentlich nicht zur Mitte-Partei, doch es geht dabei auch um den Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz zulasten der FDP.
Wenn Ritter Bundesrat werden sollte, dürfen sie gerne künftig auf meine Stimme verzichten.
Ich wähle doch nicht Mitte damit ein weiterer Bundesrat mit SVP Gesinnung ins Amt kommt.
Die Mitte plötzlich mitten drin! So unvorbereitet, das würde in anderen Ländern schamlos ausgenutzt und schwupps… weg ist der Sitz