Zwei Monate lang hat Ex-Astronaut Claude Nicollier das von SVP-Bundesrat Guy Parmelin aufgegleiste Kampfjet-Geschäft durchleuchtet. Der Ex-VBS-Chef hatte sich vehement dafür eingesetzt, dass eine verknüpfte 8-Milliarden- Vorlage über die Beschaffung von Kampfflugzeugen sowie bodengestützten Raketensystemen (Bodluv) vors Volk kommt.
Zusammen mit VBS-Vorsteherin Viola Amherd hat ETH-Professor Nicollier nun seinen Bericht vorgestellt. Zum Missfallen ihres Vorgängers hat die CVP-Bundesrätin eine «unabhängige Zweitmeinung» einholen lassen, bevor sie das Geschäft weiter vorantreibt.
Die 5 wichtigsten Erkenntisse:
Welche Schlüsse VBS-Chefin Amherd aus dem Bericht zieht, wollte sie an der Pressekonferenz noch nicht verraten. Es sei noch nicht entschieden, welchen Antrag sie dem Bundesrat stellen werde. Dass Amherd über einen Kurswechsel nachdenkt, verhehlte sie aber nicht: «Ich werde dem Bundesrat eine Lösung vorschlagen, die den Empfehlungen so weit wie möglich entgegenkommt», sagte sie.
Der Bericht des hoch geachteten Raumfahrers Nicollier dürfte ihr die nötige Legitimation für den Schwenker liefern. Dieser bestätigt den Bundesrat grundsätzlich in seinem Vorgehen. Nicollier lobt insbesondere die Qualität des Berichts «Luftverteidigung der Zukunft», der als Grundlage für die Beschaffungspläne dient. Er empfiehlt, diesen offiziell zur Doktrin für den weiteren Prozess zu machen.
Damit hätten auch die Diskussionen über allfällige Varianten ein Ende, sagte Nicollier. Zu den Flugzeugtypen, die derzeit evaluiert werden, äusserte er sich nicht. Anders zur Flottengrösse: Nicollier bevorzugt die im Bericht skizzierte Variante 2, für die 40 Kampfflugzeuge erforderlich sind. Darauf liess sich Amherd nicht festlegen. Die Flottengrösse sei abhängig vom gewählten Flugzeugtyp und dem Luftverteidigungssystem, betonte sie.
Am Donnerstagmorgen werden zudem zwei weiter Expertenberichte veröffentlicht:
In Amherds Auftrag hat der ehemalige Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle, Kurt Grüter, als externer Experte die Kompensationsgeschäfte (Offsets) unter die Lupe genommen. Auch sein Bericht stellt die bisherige Haltung des Bundesrats in Frage. Die Regierung will das Beschaffungsvolumen von 8 Milliarden Franken zu 100 Prozent durch Gegengeschäfte kompensieren.
Diese angestrebte hundertprozentige Kompensation in Form von Gegengeschäften sei angesichts der Grössenordnung von 6 bis 7 Milliarden Franken kaum realisierbar. Rund 20 Prozent davon entfallen voraussichtlich auf direkte Offsets, also auf Aufträge an Schweizer Firmen im Zusammenhang mit den neuen Kampfflugzeugen. Dagegen hat Grüter keine Einwände. Für problematisch hält er jedoch die Kompensation der übrigen 80 Prozent - rund 6,4 Milliarden Franken.
Offset-Geschäfte verteuern nämlich die Beschaffung. Die Schätzungen liegen laut Grüter zwischen 2 und 20 Prozent. Weiter gibt es Risiken wie Korruption bei der Vermittlung oder eine grosszügig gehandhabte Anrechenbarkeit. Schliesslich dürften mit Offset-Geschäften weder Industriepolitik betrieben noch versteckte Subventionen ausgerichtet werden, sagte Grüter.
Seiner Meinung nach soll mit Gegengeschäften daher ausschliesslich die Schweizer Rüstungsindustrie gestärkt werden. Diese könne rund 40 Prozent des Volumens absorbieren. Grüter empfiehlt dem Bundesrat daher, das Ziel einer vollständigen Kompensation fallen zu lassen und diese auf direkte Offsets und Gegengeschäfte zur Stärkung der sicherheitsrelevanten Industriebasis zu fokussieren.
Auf weitere Offsetgeschäfte soll der Bund laut Grüter ganz verzichten, weil solche gegen das Prinzip des freien Aussenhandels verstiessen. «Ohne inhaltliche Vorgaben droht eine Subventionierung der Industrie mit der Giesskanne.» Der Fokus solle deshalb auf Geschäften liegen, «die für die Sicherheit und Verteidigung der Schweiz unerlässlich sind».
Ein dritter Bericht ist im VBS selber entstanden. Sicherheitspolitik-Chefin Pälvi Pulli untersuchte darin die aktuelle Bedrohungslage. Gestützt darauf kommt sie zum Schluss, dass die Schweiz nach wie vor neue Kampfflugzeuge und Luftabwehrraketen braucht, um ihren Luftraum schützen und verteidigen zu können.
Die Verschlechterung der internationalen Sicherheitslage hat «den Handlungsdruck hat sogar etwas verstärkt», sagte Pulli.
Als Beispiele für eine negative Entwicklung nennt sie die Machtverschiebung nach Osten, die zunehmende Bereitschaft zum Einsatz von Machtmitteln oder die Kündigung des Vertrags über nukleare Mittelstreckenraketen. Allerdings könne niemand voraussagen, wie sich die Bedrohungslage in den Jahrzehnten der Nutzungsdauer neuer Luftverteidigungsmittel entwickeln werde, sagte Pulli.
Mit diesen Empfehlungen und Erkenntnissen im Rücken will Amherd dem Bundesrat in den nächsten Wochen konkrete Vorschläge unterbreiten. Eine allfällige Referendumsabstimmung könnte in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 stattfinden. Der Typenentscheid soll nach bisherigem Fahrplan spätestens Anfang 2021 stattfinden.
Derweil werden in Payerne bereits fünf Kampfjet-Kandidaten getestet. Nach heutiger Planung sollen die ersten Jets 2025 an die Schweiz ausgeliefert werden. (cbe/amü/mlu/sda)
Grundsatzentscheid des Volkes finde ich sehr gut, mit dem Typenentscheid ist sowieso jeder Stimmbürger, der nicht Jetpilot ist, überfordert.