Kurz bevor er abtritt, stellt der Basler Regierungspräsident Guy Morin seinen Stadtentwickler Thomas Kessler (im Bild) vor die Tür. Bild: KEYSTONE
Der beste Stadtentwickler der Schweiz wurde entlassen! Weshalb wir ihn vermissen werden 😢
Thomas Kessler war immer für ein Interview gut. Ob zu Drogen, Migration, Stadtentwicklung oder auch zum «alemannischen Waldmenschen» – der Basler Chefbeamte gab pointiert Auskunft. Das ist eine Seltenheit in den eher zugeknöpften Schweizer Ämtern. Und damit ist jetzt (leider) Schluss.
Die Medienmitteilung ging am Mittwoch raus: Regierungspräsident Guy Morin sei mit Stadtentwickler Thomas Kessler gemeinsam zum Schluss gekommen, dass der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel an der Departementsspitze gekommen sei.
Ganz so freundlich dürfte Kesslers Abgang aber nicht vonstatten gegangen sein. Vielmehr sei Kessler «gegangen worden», wie die Basler Zeitung schreibt. Es sei schon im Vorhinein klar gewesen, dass die neue Präsidentin Elisabeth Ackermann nicht mit Kessler zusammen arbeiten wolle.
Klar ist: Nicht alle fanden es gut, dass Kessler in seinen 26 Jahren Amtszeit zur national gefragten Auskunftsperson zu allen möglichen Themen avancierte: Drogen, Stadtentwicklung, Migration. Als er öffentlich forderte, die Ladenöffnungszeiten an der Basler Schifflände zu verlängern, verpasste Morin ihm einen Maulkorb. Auch dass er gewisse Asylsuchende gegenüber dem «Tages-Anzeiger» als «Abenteuermigranten» bezeichnete, kam nicht gut an.
Nichtsdestotrotz war Kesslers Art, mit den Medien umzugehen, erfrischend und eine zu grosse Seltenheit in der Schweiz. Wir erinnern uns an Kesslers beste Aussagen:
Im Interview mit watson im Mai vor zwei Jahren verteidigte Kessler die strikten Lärmregeln der Stadt Basel und stellte dazu seine interessante Theorie von unserer Spezies – dem «alemannischen Waldmenschen» – vor:
«Der alemannische Waldmensch besäuft sich im Wald, tobt sich aus, ungestört, unflätig, unbeachtet. Der urbane Lateiner hat keinen Wald. Sein Raum ist die dichte Stadt, wo er es lustig hat, wo er sich frei bewegt, wo er sich aber eben kultiviert bewegt.»
Interessant! Auf der Spur dieser Waldmenschen war Kessler aber schon lange. 2012 äusserte er sich im «Tages-Anzeiger» zu den «Tanz dich frei»-Partys in Basel, Bern und Zürich:
«Wir stehen am Übergang von der alemannisch-ruralen zur urban-mediterranen Lebensweise: Wir seit Jahrtausenden von ländlicher Weite geprägte Alemannen nehmen nach mediterranem Vorbild plötzlich Strassen und Plätze unserer engen Städte als Erholungs- und Unterhaltungsraum ein und geniessen die Vorzüge und die vermeintliche Leichtigkeit dieses Lebensstils.»
Tages-Anzeiger, 05.06.2012
Und während wir das tun seien wir alle – die Jungen und die Alten – die genau gleichen Spiesser:
«Dabei ist das Spiessertum auf beiden Seiten schön verteilt. Auch die jungen Menschen, die meinen, sie seien sehr progressiv, verkennen, dass es um einen Freiheitsdiskurs geht und nicht um die egoistische Durchsetzung der eigenen Interessen.»
Tages-Anzeiger, 05.06. 2012
Solch spannende Theorien vermisst man normalerweise bei Chefbeamten. Doch Kessler scheute sich nicht vor steter Gesellschaftskritik. Zum Beispiel in der Tageswoche 2015:
«Heute werden die Leute hingegen nicht mehr von existenziellen Problemen, sondern von ihren eigenen Ansprüchen herausgefordert. Wenn es heute bereits Einsprachen gegen Nutzungen durch ein ‹quartierfremdes Publikum› gibt und beliebte Gartenbeizen schon um 20 Uhr schliessen müssen, wird's doch absurd.»
Dabei schonte er aber auch seine Basler Kollegen nicht. Als Kessler nach einer ruhigeren Phase der «Basler Zeitung» wieder mal ein Interview gab, kritisierte der Stadtentwickler sofort, dass die Diskurse über Infrastrukturprojekte hierzulande nicht gerade visionär geführt würden:
«Die Stimmen der tragenden gesellschaftlichen Kräfte, die Ideen liefern und schliesslich auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, fehlen heute weitgehend. Die Misanthropen und Bedenkenträger dominieren die öffentliche Wahrnehmung. Die Stadt Basel ist aber dank genialen Projekten und weitsichtigen Investitionen zu dem geworden, was sie heute ist.»
Basler Zeitung, 17.07.2010
National äusserte sich Kessler immer wieder zur Migrations- und Asylthematik – mit durchaus spannenden Ansätzen. Im September 2015 erklärte er beispielsweise der «Aargauer Zeitung», warum kleine Gemeinden besser mit Flüchtlingen umgehen können als grosse:
«Häufig werden auch in mittelgrossen Gemeinden Lösungen verunmöglicht. Erstens, weil sie zu gross sind, als dass der Gemeindepräsident die Leute und ihre Bedürfnisse genügend kennt. Und zweitens, weil die Verwaltung mangels Ressourcen zu wenig professionalisiert aufgestellt ist und deshalb schnelle pragmatische Lösungen verunmöglicht.»
Gegenüber der Tageswoche kritisierte er anfangs 2014 die «Dichtestress-Hysterie» und wartete mit einem völlig neuen Ansatz auf, warum die Pendler sich morgens jeweils gegenseitig dichte-stressen:
«Die Gründe dafür, dass so viele Leute gleichzeitig morgens in den Zug steigen, sind kultureller und sozialer Art: Man will zusammenkommen und sich zeigen. Viele Arbeitnehmer leben auch alleine. Die freuen sich auf die erste Kaffeepause, der 7.30-Uhr-Stress ist dann das erste Thema in der Kaffeepause.»
Übler stolperte er aber im «Tages-Anzeiger», als er in einem Rundumschlag darlegte, warum heutzutage die «falschen» Flüchtlinge vom System profitieren würden:
«Die heutige Situation pervertiert den Flüchtlingsbegriff. Wir haben Arbeits- und Abenteuermigration auf Kosten der wirklich Verfolgten. Das müsste doch die SP auf den Plan rufen: Sie müsste die erste Partei sein, die aus Solidarität mit den wirklich Betroffenen ausruft.»
Egal wen Elisabeth Ackermann also neu ins Amt einsetzt, so pointierte Aussagen kann man vom Neuen wahrscheinlich nicht erwarten. Schade eigentlich. (rar)
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Die beliebtesten Kommentare
walsi
12.01.2017 17:04registriert Februar 2016
Wenn man den Kopf aus der Masse steckt wird er abgeschnitten.
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