Schweiz
Basel

Guy Morins Wikipedia-Eintrag auf Staatskosten

Guy Morin, Praesident Tripartiten Agglomerationskonferenz (TAK), aeussert sich zum Integrationsdialog im Rahmen der TAK am Donnerstag, 3. Novembar 2016 in Bern. (KEYSTONE/Lukas Lehmann)
Noch-Regierungspräsident Guy Morin.Bild: KEYSTONE

Der Wikipedia-Eintrag von Noch-Regierungspräsident Guy Morin ging auf Staatskosten

Der scheidende Regierungspräsident liess sich seinen Wikipedia-Artikel von Mitarbeitern der Basler Verwaltung gestalten. So kommt es, dass dieser im Vergleich zu Einträgen über andere Regierungsräte deutlich länger ist.
20.01.2017, 10:4120.01.2017, 12:06
Samuel Hufschmid / bz Basel
Mehr «Schweiz»

Von Basler Verwaltungscomputern aus wird kräftig an der Online-Enzyklopädie Wikipedia gearbeitet. Die höchste Anzahl Veränderungen weist der Eintrag über Regierungspräsident Guy Morin auf – seit 2012 wurde innerhalb der Verwaltung insgesamt 48 Mal in die Tasten gegriffen, um den Eintrag des Grünen-Politikers zu ergänzen. Entstanden ist ein Werk von 7700 Zeichen – mehr als die doppelte Länge der Einträge, die seine Regierungskollegen betreffen (und die allesamt nicht verwaltungsintern bearbeitet wurden).

Die Veränderungen sind durchaus gewollt, wie seine Mediensprecherin Melanie Imhof auf Anfrage sagt:

«Guy Morins Wikipedia-Eintrag wurde von seinen Mitarbeitenden dann verändert, wenn der Regierungspräsident in einem Gremium eine neue Funktion bekleidet hat oder in ein neues Gremium gewählt wurde.»
Mediensprecherin Melanie imhof

Eine Überprüfung durch die «BZ» zeigt jedoch: Von der verwaltungsinternen IP-Adresse aus wurde eine umfangreiche Würdigung seines beruflichen und politischen Werdegangs vorgenommen.

Der Eintrag ist dreimal länger geworden

Die Wikipedia-Seite von Guy Morin vor (links) und nach (rechts) der Behandlung durch einen seiner Mitarbeiter.
Die Wikipedia-Seite von Guy Morin vor (links) und nach (rechts) der Behandlung durch einen seiner Mitarbeiter.bild: bz, screenshots wikipedia

2012, noch bevor die Angestellten erstmals mitschrieben, wies Morins Eintrag ein Drittel seiner jetzigen Länge auf und entsprach in etwa dem, was heute noch über aktuelle Regierungsratsmitglieder auf Wikipedia steht: Geburtsdatum, kurze Informationen zu seiner beruflichen Laufbahn sowie diverse politische Ämter in chronologischer Reihenfolge, inklusive der Wahl in den Regierungsrat. Danach wurde er ergänzt, etwa mit der Information, dass Morin die Wiederwahl «klar vor Baschi Dürr gewann», dass er in seiner ersten Amtszeit das Kulturleitbild lancierte und «ebenso in der staatlichen Museumslandschaft einiges ins Rollen brachte».

Der abtretende Regierungspraesident des Kantons Basel-Stadt Guy Morin laechelt vor der Bekanntgabe der Resultate fuer die Regierungsratswahlen, im Kongresszentrum in Basel, am Sonntag, 23. Oktober 201 ...
Ein Bild von Guy Morin ist dem Wikipedia-Artikel allerdings nicht beigefügt.Bild: KEYSTONE

Einige Wochen später wurde Morins Name aus der Verwaltungsstube durch ein «Dr.» ergänzt, um nur eine Minute später von einem freiwilligen Wikipedia-Mitarbeiter wieder gelöscht zu werden (da gemäss Richtlinien Titel in Namen nicht genannt werden). Anfang 2013 fügte der Morin-Mitarbeiter an, dass seinem Chef bereits in seiner Zeit als Vorsteher des Justizdepartements die Umsetzung der «umfangreichen Regierungsreorganisation oblag».

Im Januar 2014 kam ein ganzer Absatz zum Statistik-Gesetz dazu, der «wichtige Fragen, die sich im Umfeld der statistischen Tätigkeit stellen», beantwortet. Dieser Abschnitt wurde von Wikipedia unverzüglich wieder entfernt – jedoch liess Morins Schreiberling nicht locker und fügte die Verdienste seines Chefs beim Ausarbeiten des Statistik-Gesetzes im Juni 2014 erneut und in einer verlängerten Version an. Und fügte hinzu, dass der Zeitpunkt für die Erarbeitung dieses Gesetzes «optimal» war.

Jetzt auf

Die Statistik-Errungenschaften sind der letzte amtliche Schliff, der Morins Eintrag verpasst worden ist. Seither wurde es ruhig. Dass er 2016 nicht mehr zur Wiederwahl antreten wird, vermeldete ein registrierter Wikipedia-Nutzer.

Wieso nebst dem Morin-Artikel noch drei weitere Artikel mit Personen oder Institutionen des Präsidialdepartements bearbeitet wurden, jedoch keine Artikel mit Bezug zu anderen Departementen, beantwortete die Departementssprecherin nicht. Von der Staatskanzlei heisst es, dass es in der Verwaltung derzeit keine allgemeinen Regeln bezüglich Veröffentlichungen auf Wikipedia gebe, dass aber momentan Social-Media-Richtlinien ausgearbeitet würden, die ebenfalls Informationen zum Umgang mit Wikipedia enthalten werden. 

Wieso weiss die «BZ» das alles so genau?
Wikipedia ist nicht nur die grösste Online-Enzyklopädie, sondern auch so konzipiert, dass Änderungen jederzeit nachvollzogen werden können. Bei jeder Änderung wird quasi eine neue Kopie erstellt, die alte bleibt erhalten. Diese alten Versionen können jederzeit und von allen eingesehen werden (ausser sie enthalten offensichtliche Beleidigungen oder rassistische Hetze, dann werden sie dauerhaft gelöscht). Gleichzeitig wird in der Kopie abgespeichert, wer die Änderung vorgenommen hat, bei registrierten Benutzern mit ihrem Nutzernamen, bei unregistrierten mit ihrer IP-Adresse.

Bei dieser Adresse handelt es sich um eine zehnstellige Zahl, die im Fall der Basler Verwaltung eindeutig zugeordnet werden kann. Es lässt sich jedoch nicht sagen, welcher der fast 10'000 Mitarbeiter des Kantons dahintersteckt, wie auch Morin-Sprecherin Melanie Imhof sagt. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass einzelne Bearbeitungen in den Texten nicht durch Morins Mitarbeiter, sondern durch andere Kantonsangestellte vorgenommen wurden.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
16 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Majoras Maske
20.01.2017 11:04registriert Dezember 2016
Dann kann man jetzt - mit Watson als Quelle - den Wikipediaeintrag vervollständigen und noch anmerken, dass der Beitrag von Basler Verwaltungsangestellten geschrieben wurde als letzte Station seines Wirkens...
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Linus Luchs
20.01.2017 11:22registriert Juli 2014
Aha, Guy Morin hat sich den Wikipedia-Eintrag verwaltungsintern pflegen lassen. Und jetzt?!

Als Schneider-Ammanns "Rire c'est bon pour la santé"-Rede um die Welt ging, wurde zurecht gefragt, warum das kein Kommunikationsprofi verhindert hat. Bei hohen politischen Ämtern sollte eine professionelle und aktuelle Kommunikation selbstverständlich sein. Dazu braucht es Ressourcen. Und es müssen auch moderne Informationskanäle berücksichtigt werden, wie zum Beispiel Wikipedia.

Mir scheint, da will jemand einen Skandal konstruieren. Eigentlich ist das eine Spezialität der Baz, nicht der bz.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
Corahund
20.01.2017 12:09registriert März 2014
Als einer der bestbezahlten Stadtpräsidenten der Schweiz
mit ganz verrückt viel Arbeit in dieser kleinen Stadt ist es ja klar, dass er nicht alles selbst machen konnte.....Hauptsache das Image stimmt und die Pension
00
Melden
Zum Kommentar
16
Die Espresso-Königin über steigende Preise und den Schweizer Café Crème
Cristina Scocchia, Geschäftsführerin der italienischen Kaffeefirma Illy aus Triest, verrät, wie sie in der Schweiz zulegen will, wie es sich in einer Familienfirma arbeitet - und erklärt ihren Migros-Deal.

Sie ist eine von weniger als 4 Prozent weiblicher CEOs in Italien: Cristina Scocchia leitet seit 2022 die Traditionsfirma Illy, bekannt für den gemahlenen Kaffee in silbernen Dosen mit rotem Logo. Die Spezialität: der Espresso. Im Telefoninterview spricht die 50-Jährige über ihre Vision für die Zukunft des Familienunternehmens mit Sitz in Triest, die Rolle von Starbucks und Nespresso für die Branche und ihre eigene Kaffeevorliebe, mit der sie überrascht.

Zur Story