Der Applaus ist lange und kräftig im Berner Kornhauskeller - und Bundesrat Albert Rösti freut sich sichtlich darüber. Das Klatschen folgt auf seine Eröffnungsrede zur Fachtagung des Bundesamts für Umwelt (Bafu) am Dienstag zur «Anpassung an den Klimawandel». Es werden 50 Projekte vorgestellt, um die Auswirkungen der Klimakrise zu mildern.
Der Auftritt Röstis vor Klimaexperten aus Bund, Kantonen, Gemeinden und Wissenschaft war mit Spannung erwartet worden. Als Politiker der SVP, die gegen das Klimaschutzgesetz kämpft, befindet er sich auf gegnerischem Terrain.
Doch Rösti schlägt sich gut. Er spricht vom Schutz und von der «Sicherheit für die Menschen und ihr Hab und Gut» vor Hochwasser, Erdrutschen oder Felsstürzen. Das liege ihm sehr am Herzen.
Trotz grossem Applaus liegt Spannung in der Luft. Nach knapp fünf Monaten im Amt wird immer klarer, dass Rösti die Akzente im Departement teilweise massiv verschiebt: Energie, Sicherheit (bei Strom, Ernährung und vor Klimafolgen) und Autobahnen gewinnen an Bedeutung. Biodiversität, CO2-Reduktion, Klimakrise und öffentlicher Verkehr verlieren.
«Viele Projekte, welche die Mitarbeitenden im Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) in den vergangenen Jahren aufgegleist haben, werden nun nach und nach über den Haufen geworfen», sagt GLP-Nationalrat Beat Flach. Er verstehe gut, dass dies Frust und Unsicherheit auslösen könne.
«Mentalitätsmässig gibt es mit Albert Rösti einen grösseren Umbau im Uvek», analysiert FDP-Nationalrat Kurt Fluri, auch Präsident der Stiftung Landschaftsschutz. «Die Prioritätensetzung ist anders. Bei der Biodiversität sehe ich schwarz. Schon heute führt sie ein kümmerliches Dasein. Unter Rösti wird sie sicher nicht forciert. Er setzt seine Prioritäten in der Energie und im Verkehr.»
Die Biodiversität - also die Vielfalt der Arten und Ökosysteme - scheint stark betroffen von Röstis Neuausrichtung. Insider sagen, Rösti gebe den Interessen der Bauern deutlich mehr Gewicht als der Artenvielfalt. «In Sachen Biodiversität kommt aus dem Uvek nichts mehr, seit Rösti Departementsvorsteher ist», sagt Aline Trede, Fraktionschefin der Grünen. «Er wird da keinen Finger rühren. Wir müssen Druck machen.» Schon am 8. Juni wird es dazu einen Gradmesser geben. Dann kommt die Biodiversitätsinitiative in den Ständerat.
Auch die Klimapolitik mit der «Dekarbonisierung» - dem Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien - dürfte es unter Rösti schwerer haben. Am Forum sagte Rösti nur einen Satz dazu: «Die Mitigation, also die Reduktion von CO2, ist eine Aufgabe.» Das «Aber» folgte auf dem Fuss: «Das hat die Schweiz nicht in den eigenen Händen. Dazu braucht es die grossen Industrieländer.»
Rösti, so scheint es, meidet die Begriffe Klimakrise und CO2-Reduktion wenn möglich. Lieber spricht er darüber, dass Klimapolitik Energiepolitik sei und über den Schutz vor Naturkatastrophen.
Schon zuvor war klar geworden, dass Rösti auf den sechsspurigen Ausbau der Autobahn A1 zwischen Lausanne und Genf und zwischen Zürich und Bern setzt. Am 17. März hatte SVP-Nationalrat Erich Hess eine Motion eingereicht, in der er dies forderte. Nur zwei Monate später beantwortete der Bundesrat die Motion positiv. Der Nationalrat befindet zu Beginn der Sommersession darüber. Schwieriger sieht die Situation für den öffentlichen Verkehr aus.
Während das Bundesamt für Strassen (Astra) unter dem neuen Departementschef als vorläufige Siegerin dasteht, ist vor allem beim Bundesamt für Umwelt Verunsicherung spürbar. Dort sind Klimapolitik und Biodiversität angesiedelt. «Dass es da eine gewisse Verunsicherung gibt, kann ich gut verstehen», sagt SVP-Nationalrat Christian Imark. «Es liegt in der Natur der Sache, dass Rösti andere Akzente setzt.» Und betont: «Er ist aber auch kein Parteisoldat.»
Umweltverbände und linke Parlamentsmitglieder wollen Verbesserungen. Der WWF hofft, «dass Umweltminister Rösti die Biodiversitätskrise ernst nimmt und sich dafür einsetzt, die international vereinbarten Ziele zu erreichen». Und Grünen-Fraktionschefin Trede sagt: «Ich hoffe, dass Bafu-Direktorin Katrin Schneeberger Klimaziele und Biodiversität hochhält und Rösti die Stirn bietet.»
Insider bezweifeln, ob Schneeberger das kann und will. Obwohl sie offenbar einen guten Draht hat zu Rösti. Dieser gilt als sehr offen. Man könne jederzeit und gut mit ihm diskutieren, heisst es. Das schaffe Vertrauen.
Die Verunsicherung im Amt hat wohl auch damit zu tun, dass Rösti Yves Bichsel zum Generalsekretär machte, einen SVP-Hardliner. In Kommissionssitzungen fiel auf, dass die Bafu-Experten in Anwesenheit von Rösti schwiegen, obwohl sie sonst gerne Red und Antwort standen. Auch erstaunte es, dass Parlamentsmitglieder mit der Verwaltung einen Prüfauftrag für eine Gesetzesrevision besprochen hatten, den diese später plötzlich zur Ablehnung empfahl.
Im Bafu selbst empfindet man die Zusammenarbeit mit Rösti offiziell als «sehr professionell, wie mit Bundesräten üblich». Sprecher Robin Poëll betont: «Das Bafu spürt, dass Bundesrat Rösti die Anpassung an den Klimawandel ein wichtiges Anliegen ist.»
Und was sagt Albert Rösti selbst? Der Rollenwechsel vom Nationalrat zum Bundesrat spiele in gewissen Themen «selbstverständlich» eine Rolle, betont er gegenüber CH Media. «Aber nicht bei der Prävention von Hitzewellen und Überflutungen. Dies vertrat ich als Nationalrat immer.»
Was Bauern und Biodiversität betrifft, sagt er: «Natürlich haben die Bauern einen guten Zugang, wie die anderen auch. Zum Glück. Für unsere Ernährungssicherheit ist das sehr wichtig.» Den Schutz der Artenvielfalt brauche es auch für die Bauern. «Man muss ihn aber so gestalten, dass die Bauern trotzdem produzieren können.»
Ein Bundesrat müsse immer eine Güterabwägung machen. Er könne es «nie allen recht» machen, bilanziert Rösti. Und fügt – als Beispiel – hinzu: «Das Astra will Strassen bauen und ist skeptisch, wenn ich von Umweltschutz rede.»
ich würde ihn auch eher als Partei-Diplomat bezeichnen. Rösti wirkt im Ton konziliant und sogar sympatisch, wenn es um die Sache geht, vertritt er die Interessen seiner Parteikollegen und Interessengruppen aber mit Nachdruck. Er ist dabei viel effektiver als z.B. ein Blocher es war, weil er es immer wieder schafft, auch im Bundesrat Mehrheiten für seine Anliegen zu gewinnen.