An Umfang und Kadenz der medialen Berichterstattung zu den Corona-Leaks und der Rolle von Bundespräsident Alain Berset hat sich nichts geändert. Das Thema ist omnipräsent und hält die Schweizer Journaille auf Trab. Allerdings hat der Tenor eine Entwicklung durchlaufen. Wurde zu Beginn der Indiskretionsaffäre aus vollen Rohren gegen Berset und seinen ehemaligen Kommunikationschef Peter Lauener geschossen, sind dem Schweizer Blätterwald immer mehr hinterfragende Elemente zu entnehmen. Allen voran die Rolle und die Ermittlungsmethoden des ausserordentlichen Staatsanwalts Peter Marti. Eine Übersicht.
Es mag durch die zahlreichen Texte und Debatten in den vergangenen zwei Wochen etwas untergegangen sein, weshalb Jurist Peter Marti Anfang 2021 eingesetzt wurde. Die Aufgabe des damals bereits pensionierten Richters lag darin, zu untersuchen, wie ein geheimer Bericht zur Crypto-Affäre den Weg erst zur NZZ und dann zum «Tages-Anzeiger» hatte finden können. Beauftragt wurde Marti von der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA), weil der Verdacht der Amtsgeheimnisverletzung unter anderem auf eben dieser Bundesanwaltschaft lag.
Peter Marti begann mit seinen Ermittlungen, dabei stellte sich jedoch bald einmal heraus, dass die Bundesanwaltschaft für das Informationsleck nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Sie hatte gemäss WOZ nur einen «Bruchteil» des Berichts zu Gesicht bekommen. Damit wäre Martis Aufgabe eigentlich beendet gewesen.
Doch Marti, von 1995 bis 1999 für die SVP im Zürcher Kantonsrat, ermittelte weiter. Und stiess dabei auf die in der Zwischenzeit bekannt gewordenen «Corona-Leaks», also die Weitergabe von vertraulichen Informationen durch Bersets Kommunikationschef Peter Lauener an Ringier-CEO Marc Walder. Die Ausweitung seiner Untersuchung wurde Marti von der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft am 1. März 2022 «ausdrücklich» bewilligt, wie die Republik schreibt.
Mehrere bekannte Schweizer Strafrechtler bezweifeln allerdings rückblickend die Rechtmässigkeit der Einsetzung Martis und die Ausweitung seines Mandats. Strafrechtsprofessor Marcel Niggli von der Universität Freiburg meinte dazu im Tages-Anzeiger: «Ausserordentliche Staatsanwälte dürfen nur eingesetzt werden, wenn ein Verdacht besteht, dass Angehörige der Bundesanwaltschaft bei ihrer amtlichen Tätigkeit eine Straftat begangen haben. Es reicht nicht, dass eine blosse Möglichkeit für eine solche Täterschaft besteht.»
Doch wie kam Sonderermittler Peter Marti überhaupt darauf, die Crypto-Affäre mit der Covid-Pandemie zu verbinden und deshalb weiter gegen Peter Lauener zu ermitteln? Marti vermutete, dass Lauener aufgrund eines positiven Coronabuchs über Berset und das Innendepartement – verfasst von 14 Tamedia-Journalisten – den Crypto-Untersuchungsbericht sozusagen als Belohnung weitergab. Indiskretionen aus Bersets Departement für positive Berichterstattung über den SP-Bundesrat aus dem Hause Tamedia (das auch den «Tages-Anzeiger» herausgibt). Die WOZ schreibt diesbezüglich von einer «abenteuerlichen, geradezu irrwitzigen These».
Besonders brisant war das Vorgehen bei der Auswertung von Peter Laueners E-Mails. Marti forderte sowohl den geschäftlichen als auch den privaten E-Mail-Verkehr an. Die entsprechenden Informationen erhielt er vom Bundesamt für Informatik und Telekommunikation, kurz BIT (geschäftlicher Verkehr), und von der Swisscom (private E-Mails). Marti interessierte sich dabei gemäss WOZ für einen Zeitraum von einigen Wochen rund um die Enthüllung des Crypto-Berichts. Statt weniger Wochen erhielt der Sonderermittler aber sowohl vom BIT als auch von der Swisscom den Mailverkehr mehrerer Jahre. Dabei stiess Marti eher zufällig auf den Austausch von Peter Lauener mit Ringier-CEO Marc Walder.
Wie bissig aber in Teilen auch erfolglos Peter Marti in der Causa Peter Lauener vorging, zeigt sich an zwei gerichtlichen Entscheiden. Aufgrund des Vorwurfs, Lauener habe Tamedia den vertraulichen Crypto-Untersuchungsbericht zugespielt, beantragte Marti Untersuchungshaft. Ein übliches Vorgehen, das Zürcher Zwangsmassnahmengerichte in über 90 Prozent der Fälle genehmigen. Nicht so bei Peter Lauener. Das Zwangsmassnahmengericht am Bezirksgericht Zürich hat am 20. Mai 2022 entschieden, dass bei Lauener kein dringender Tatverdacht besteht.
Marti zog das Urteil ans Bundesstrafgericht weiter, blitzte jedoch auch dort ab. Auch die zusätzlich zur U-Haft beantragte vorsorgliche Massnahme – Lauener sollte bis zum Gerichtsentscheid vorläufig festgenommen bleiben – wurde abgeschmettert.
Wie in der Zwischenzeit bekannt ist, wollte Marti für Lauener auch wegen des Mailkontakts mit Ringier-CEO Marc Walder Untersuchungshaft beantragen. Einer der Vorwürfe: «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung», ein Artikel des Strafgesetzbuchs, der zu den «Verbrechen gegen den Staat» zählt. Lauener soll via «Blick» und andere Titel des Ringier-Konzerns «eine Presseberichterstattung lanciert und gefördert haben, um direkt auf die Entscheidungsfindung im Bundesrat einzuwirken», schreibt der Tages-Anzeiger.
Martis Problem: Er durfte die E-Mails für das Strafverfahren gar nicht verwenden, Lauener hatte zuvor eine Siegelung sämtlicher Daten verlangt. Vom Zürcher Zwangsmassnahmengericht gab's einen Rüffel. Marti hätte die entsprechenden E-Mails zunächst siegeln und in der Folge bei einem Zwangsmassnahmengericht Entsiegelung beantragen müssen. In der Zwischenzeit ist dies erfolgt, der Antrag Martis beim Berner Zwangsmassnahmengericht allerdings hängig.
Dass SP-Bundesrat Alain Berset bei der SVP nicht allzu gut ankommt, ist allenthalben bekannt. So waren es auch SVP-Präsident Marco Chiesa und SVP-Nationalrat Alfred Heer, die nach Bekanntwerden der «Corona-Leaks» als Erste laut den Rücktritt von Alain Berset forderten. Peter Laueners Name wurde zudem durch «Weltwoche»-Journalist Christoph Mörgeli publik. Der ehemalige SVP-Nationalrat hatte am 23. Juni 2022 über das Strafverfahren berichtet.
Die linke Wochenzeitung WOZ erwähnt zudem das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT), das die geschäftlichen E-Mails von Lauener herausgegeben hat. Das BIT untersteht dem Finanzdepartement, zum Zeitpunkt der Herausgabe geführt von SVP-Bundesrat Ueli Maurer.
Als Sonderermittler Marti seine Untersuchungen von der «Crypto-Affäre» auf die Coronamails ausweiten wollte, meldete er sich dafür bei der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA). Dem Antrag auf Ausweitung von SVP-Richterin und AB-BA-Präsidentin Alexia Heine wurde zugestimmt, Marti durfte weiter ermitteln, obwohl sich sein Anfangsverdacht nicht erhärtet hatte.
Marti (70) selbst sass in der 90ern, wie bereits erwähnt, vier Jahre lang für die SVP im Zürcher Kantonsrat und war während Jahren Mitglied der SVP.
Am Dienstagabend haben die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des National- und Ständerates entschieden, für die weitere Untersuchung eine Arbeitsgruppe einzusetzen.
Diese Arbeitsgruppe soll die Indiskretionen im Innendepartement (EDI) von Alain Berset untersuchen. Der Fokus liegt aber nicht nur auf dem EDI, auch die weiteren Departemente werden hinsichtlich Leaks unter die Lupe genommen.
Im Fall Marti ist mit dem Luzerner Anwalt Stephan Zimmerli ein weiterer ausserordentlicher Staatsanwalt eingesetzt worden. Der Grund: Bersets ehemaliger Kommunikationschef Peter Lauener hat Marti wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und weiterer Delikte angezeigt. Vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement hat Zimmerli die Ermächtigung erhalten, ein Strafverfahren gegen Marti zu eröffnen.
Der Bundesrat hat diese Woche zu den «Corona-Leaks» eine Sitzung abgehalten. Alain Berset ist dabei in den Ausstand getreten und hat das Bundesratszimmer während des Gesprächs teilweise verlassen. Von seinen Amtskollegen erhält er jedoch Rückendeckung, in einer Erklärung hiess es: «Gestützt auf die Angaben des Bundespräsidenten, der versichert hat, von solchen Indiskretionen keine Kenntnis gehabt zu haben, will der Bundesrat die Geschäfte auf der Grundlage des wiederhergestellten Vertrauens weiterführen.»
Berset versprach zudem an einer Medienkonferenz, vollumfänglich mit den GPK zusammenzuarbeiten.
Baldomir Gabalzar
Andi Weibel
Mocking Bert
Ich frag ja nur...