Die Affäre nennt sich Cryptoleaks. Sie wirft gerade Schockwellen durch die Schweizer Politik. Denn eine gross angelegte Recherche von ZDF, SRF-«Rundschau» und «Washington Post» zeigt, dass der amerikanische Geheimdienst CIA und der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) zahlreiche Regierungen ausspioniert hatten – dank Verschlüsselungsgeräten aus der Schweiz.
Mehr als 100 Staaten hatten die Apparaturen bei der inzwischen aufgelösten Crypto AG in Steinhausen (ZG) beschafft, im Vertrauen auf die schweizerische Neutralität. Entsprechend gross ist die Empörung. Der Bundesrat hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben, gleichzeitig werden Forderungen nach einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) erhoben.
Allerdings sind die Enthüllungen nicht ganz neu. In den 1990er Jahren gab es erstmals Vorwürfe an die Crypto AG – und schon damals berichtete die «Rundschau». Frank Garbely, einer der beteiligten Redaktoren, schilderte die Affäre 2015 in der Oberwalliser Zeitung «Rote Anneliese». Die Schweizer Neutralität sei «eines der wichtigsten Verkaufsargumente» gewesen, schrieb er.
Neu an den aktuellen Enthüllungen ist das Ausmass der Bespitzelungen. Sie betrafen wichtige Ereignisse der Weltgeschichte seit den 1970er Jahren. Eine Auswahl:
1973: Salvador Allende, der demokratisch gewählte linke Präsident von Chile, wird von General Augusto Pinochet gestürzt. Die Beteiligung der CIA am Militärputsch ist seit langem bekannt. Nun weiss man: Sie war dank Crypto-Geräten über Allendes Aktivitäten genau im Bild.
1976: Auch im benachbarten Argentinien übernimmt eine Militärjunta die Macht. Sie lässt Oppositionelle foltern und aus Flugzeugen ins Meer werfen. Deutsche und Amerikaner wissen Bescheid, handeln aber auch dann nicht, als Argentinien 1978 die Fussball-WM veranstaltet.
1978: US-Präsident Jimmy Carter vermittelt in Camp David den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten. Weil die Ägypter ihre Kommunikation mit Crypto-Maschinen verschlüsseln, ist Carter stets über deren Standpunkt auf dem Laufenden.
1979: Nach der Islamischen Revolution in Iran wird die US-Botschaft in Teheran gestürmt. 52 Amerikaner werden als Geiseln gehalten. Die Iraner waren schon unter dem gestürzten Schah Kunden bei Crypto, was die Amerikaner nun ausnutzen. Im Krieg zwischen Iran und Irak von 1980 bis 1988 beliefern sie die Iraker mit Geheimdienstinformationen.
1982: Argentinien besetzt die britischen Falkland-Inseln, es kommt zum Krieg mit Grossbritannien. Dank Crypto können die Amerikaner ihre britischen Verbündeten über die Aktivitäten der Argentinier informieren. Premierministerin Margaret Thatcher befiehlt aufgrund dieser Erkenntnisse die Versenkung des Kreuzers General Belgrano. Mehr als 300 Soldaten kommen ums Leben.
1986: Bei einem Bombenanschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin, die vor allem von US-Soldaten besucht wird, sterben drei Menschen. Die Urheberschaft Libyens wird lange bezweifelt, doch weil Diktator Muammar Gaddafi bei der Crypto AG eingekauft hat, wissen die Amerikaner rasch Bescheid. Präsident Ronald Reagan ordnet einen Vergeltungsangriff an.
1989: Die USA marschieren in Panama ein. Weil der Vatikan seine Kommunikation mit Crypto-Geräten verschlüsselt, weiss die CIA, dass General Manuel Noriega, der eigentliche Machthaber in Panama, in die päpstliche Gesandtschaft geflüchtet ist. Er wird verhaftet und ausgeliefert.
Mit den Jahren wurden die Iraner misstrauisch. Sie vermuteten, dass etwas mit ihren Crypto-Geräten nicht stimmte. 1992 schlugen sie zu: Sie verhafteten den 51-jährigen Hans Bühler, den gemäss «Washington Post» besten Verkäufer der Zuger Firma, und sperrten ihn während mehr als neun Monaten ins Gefängnis. Laut Frank Garbely wurde er auch mit Folter bedroht.
Bühler kam frei, nachdem der BND eine Million Dollar «Kaution» bezahlt hatte, wie die neuen Dokumente zeigen. Allerdings bekamen die Deutschen wegen der «Hydra» genannten Affäre kalte Füsse, sie zogen sich 1993 aus der Crypto AG zurück. Hans Bühler wurde nur einen Monat nach seiner Rückkehr von der Firma entlassen, worauf er sich an die «Rundschau» wandte.
Er wurde von seinem früheren Arbeitgeber wegen Rufschädigung verklagt und in erster Instanz verurteilt. Schliesslich einigte man sich aussergerichtlich. Die CIA war sich bewusst, dass man «ganz knapp davongekommen» war, wie es in den nun veröffentlichen Unterlagen heisst. Viele Kunden beendeten die Beziehungen zur Crypto AG. Eine Ausnahme war ausgerechnet Iran.
Die offizielle Schweiz gab sich damals ahnungslos. Nun muss sie aufgrund der neuen Berichte handeln. Über den Nachrichtendienst des Bundes heisst es in den Papieren gemäss dem ZDF: «Bestimmte Leute dort wussten durchaus etwas über die Rolle, die die Deutschen und die Amerikaner in der Crypto AG spielten und waren bereit, diese Beziehung zu schützen.»
..der ist gut.