Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) hat dem «Tages-Anzeiger» ein bemerkenswertes Interview gegeben. An die Adresse der Impfgegner sagte sie in der Ausgabe vom Mittwoch:
Und an die Adresse des Bundesrates sagte Rickli, er solle die Zertifikatspflicht «so schnell wie möglich» ausweiten: «Es braucht Zeit, bis die Massnahme greift. Und die Situation in den Spitälern ist angespannt. Bereits müssen erste nicht unmittelbar lebensnotwendige Eingriffe verschoben werden - etwa Herzklappenoperationen oder Behandlungen von Bauchspeicheldrüsenkrebs.»
Die Gesundheitsdirektorin des bevölkerungsreichsten Kantons sprach also Klartext. Doch der Bundesrat hat das Drängen einzelner Kantone nicht erhört. Er verzichtet vorerst auf die Ausweitung der Zertifikatspflicht auf Besuche in Restaurants oder Fitnesscentern. Gesundheitsminister Alain Berset hatte die Gesamtregierung in einer Informationsnotiz darüber unterrichtet, dass die Mehrheit der Kantone eine Ausweitung begrüsse, um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern.
Berset und seine Regierungskollegen hielten es aber nicht für nötig, den Schritt bereits jetzt zu ergreifen. Die Zahl der Spitaleinweisungen sei zwar weiterhin hoch, habe aber in der letzten Woche nicht mehr zugenommen. Der Bund beobachte die Situation und könnte die Massnahme jederzeit beschliessen, sollte dies nötigt werden.
In der Konsultation hatte sich eine Mehrheit der Kantone für die Ausweitung der Zertifikatspflicht ausgesprochen. Übergeht der Bundesrat damit die Kantone? Bundesratssprecher André Simonazzi verneint: Es gebe unter den Kantonen unterschiedliche Meinungen zum Zeitpunkt, also wann die Ausdehnung der Zertifikatspflicht in Kraft treten soll. So ist etwa bekannt, dass der Kanton Bern mahnte, nicht «vorschnell zu handeln». Ähnlich sieht es Luzern. Andere drängten aber aufs Tempo.
Die Reaktionen der Kantone fallen dennoch zurückhaltend aus. Die St.Galler Regierung etwa «bedauert, dass der Bundesrat keine Aussagen zu einem möglichen Zeitpunkt kommuniziert hat». Die Regierung werde nun «die neue Ausgangslage analysieren».
Gleich äussert sich der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin. Sein Kanton ist derart stark von der vierten Welle betroffen, dass bereits Patienten in andere Kantone verlegt werden mussten. Zürich reagiert schärfer: «Der Regierungsrat hätte es aufgrund der Situation in den Spitälern begrüsst, die Ausweitung der Zertifikatspflicht rasch einzuführen», teilt der Kanton mit.
Auffällig ist: Die Kantone warten auf eine Bundesregelung. Vorpreschen kommt für sie nicht in Frage. So hält der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf fest: «Eine gesamtschweizerische Lösung ist grundsätzlich sehr wichtig, da ein Flickenteppich mit kantonal unterschiedlichen Lösungen vermieden werden soll.» So oder ähnlich tönt es überall.
Dabei hatten Bundesratssprecher André Simonazzi und Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit an der Medienkonferenz noch beträchtliche Irritationen gestiftet. Sie hielten fest, dass die Kantone nicht befugt sind, die Ausdehnung der Zertifikatspflicht im Alleingang zu beschliessen, dafür fehle die rechtliche Grundlage.
Diese Aussage löste in den Kantonen viel Unsicherheit aus. Nun zeigt sich aber: Die Kantone haben sehr wohl die Möglichkeit, den Geltungsbereich des Covid-Zertifikats in Eigenregie auszuweiten.
Mit dem Nicht-Entscheid bleibt auch die rechtliche Grundlage zum Einsatz des Zertifikats am Arbeitsplatz ungeklärt. «Mit der Rückkehr aus dem Homeoffice gibt es derzeit viele offene Fragen und Unsicherheiten. Mit 60 Millionen Franken soll die Tourismusbranche unterstützt werden. Dabei will der Bundesrat besonders die ausländischen Gäste wieder in die Schweiz locken», sagt Daniella Lützelschwab vom Schweizerischen Arbeitgeberverband.
Die Unternehmen seien daran, ihre Schutzkonzepte anzupassen und zu optimieren. «Die Frage nach dem GGG-Status ist eine zentrale. Sie erlaubt es den Arbeitgebern, differenzierte Schutzmassnahmen für ihre Mitarbeitenden einzusetzen», erklärt sie. Es gehe auch darum, die Angestellten nicht mit unnötigen Schutzmassnahmen zu belasten.
Die Diskussion um das Impfen und das Covid-Zertifikat wird in der Gesellschaft heftig und zum Teil auch gehässig geführt. Bundespräsident Guy Parmelin zeigt sich darob beunruhigt. In einem Appell sagte er: «Ich bin überzeugt, der kürzeste Weg zur Beilegung der Krise ist das Impfen.»
Zwar habe jeder das Recht, anders zu denken. Doch: «Es beunruhigt mich, dass Amtsträger und Bürger diskreditiert werden, weil sie anderer Meinung sind.» Jeder müsse nun Verantwortung übernehmen, dass Pandemie und Wirtschaftskrise bald ein Ende hätten. Der SVP-Politiker mahnte: «Der Feind bleibt das Virus und nicht der andersdenkende Bürger.» (bzbasel.ch)
Das wäre endlich mal die Chancen auf proaktives Agieren, statt überraschtes Reagieren gewesen... Schade.