«Mami, Kinder können sich nicht mit dem Virus infizieren. Das hat der Mann am Fernsehen gesagt!» Die Laune meines Sohnes war bestens. Er zitierte Daniel Koch, Delegierter des Bundes für die Coronaepidemie. Und wohl der wichtigste Mann in der Bundesverwaltung derzeit.
Schon seit Wochen wiederholt Koch: «Kinder sind keine Treiber der Pandemie.» Doch seine auf französisch gemachte Aussage an der Medienkonferenz vom Donnerstag hatte eine neue Dimension: «Kinder erkranken nicht und infizieren sich auch nicht.
Sie sind wirklich keine Überträger des Virus.» Und Koch fügte an: «Wenn es etwas Gutes gibt an dieser Epidemie, dann ist es die Neuigkeit, dass die Kinder wirklich nicht betroffen sind.» Wirklich und nochmals wirklich. Koch liess wirklich keinen Zweifel. Und sein Chef, Bundesrat Alain Berset, wiederholte die freudige Neuigkeit.
Der Widerspruch von den Wissenschaftlern kam aber prompt. Epidemiologin Emma Hodcroft von der Universität Basel sagte zur «Schweiz am Wochenende», es sei richtig, dass der Krankheitsverlauf bei Kindern fast immer sehr mild sei. Aber: «Meiner Meinung nach wissen wir noch zu wenig über die Rolle, die Kinder beim Coronavirus spielen.»
Andere Berufskollegen äusserten sich ähnlich. Die Frage, ob die Schulschliessungen falsch waren, könne nicht beantwortet werden, sagt Hodcroft. Dass man die Wiedereröffnung angehe, sei richtig: «Aber wir müssen genau beobachten, wie sich der Schritt auf die Entwicklung des Virus auswirkt.»
Nach der öffentlichen Schelte sah sich Koch gestern zu einer Präzisierung gezwungen: «Selbstverständlich gibt es ab und zu infizierte Kinder. Die allermeisten Kinder infizieren sich aber nicht.» Die Frage, ob er seine Aussagen auf empirische Daten stütze, verneinte Koch. «Diese Erkenntnisse habe ich aus Gesprächen mit Infektiologen aus der Pädiatrie. Sie haben erste Untersuchungen durchgeführt, die aber noch nicht veröffentlicht sind. Wann das geschehen soll, ist nicht klar.»
Professor Christoph Berger leitet die Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene am Kinderspital Zürich. Er stellt klar: «Es gibt positiv getestete Kinder. Sie können sich also infizieren.» Allerdings gebe es sehr wenige Covid-erkrankte Kinder und die Krankheitsverläufe seien mild.
In Zahlen ausgedrückt: 0,4 Prozent der 27'000 Infizierten in der Schweiz sind Kinder unter zehn Jahren. Das sind etwas mehr als 100, und von diesen mussten 24 im Spital behandelt werden, Todesfälle gibt es keine. Bei den 10- bis 19-Jährigen liegt die Ansteckungsrate etwas höher, da sind es 2,6 Prozent.
Chinesische Forscher haben untersucht, wie sich Kinder infizieren. «Die Mehrheit der Ansteckungen geht auf einen erkrankten Erwachsenen im gleichen Haushalt zurück», sagt Berger und stützt in diesem Punkt die Aussage von Virenjäger Koch. Berger fügt an, dass Kinder – zum Glück – ungünstig seien für das Coronavirus. Denn sie niesen und husten in der Regel wenig und sind deshalb schlechte Überträger. Zudem zeigen sie weniger Krankheitssymptome und scheiden deshalb weniger Viren aus.
Mit anderen Worten: Kinder sind für Kinder ungefährlich. Koch sagt: «Es ist völlig verantwortungsbewusst, dass man die Primarschulen öffnet.» Die Kitas wiederum seien vom Bund gar nie geschlossen worden. Berger sieht das gleich: «Wenn Kinder miteinander spielen, ist dies unproblematisch. Problematisch ist aber, wenn Kinder mit dem Grossvater oder anderen gefährdeten Personen Znacht essen.»
Denn: Ob Kinder infiziert sind und einfach keine Symptome zeigen, ist in der Regel unklar, ausser ein Kind ist getestet. Selbst Koch sagt, es gebe keine 100-prozentige Sicherheit, dass ein Kind nicht infiziert sei. Grosseltern sollen also keine Kinder hüten.
Der Krisenmanager des Bundes sagt zudem, dass das Versammlungsverbot ab fünf Personen nicht für Kinder gelte. «Wir haben nie verboten, dass sich die kleinen Kinder in grösserer Zahl verabreden.» Man wolle aber nicht, dass sich die Eltern in grosser Zahl treffen. Was klein heisst, liess Koch offen.
An der gestrigen Medienkonferenz wurde Koch gefragt, ob er überrascht sein, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werde, wie bei Präsidenten von Notenbanken. «Nein, aber ich bin froh, dass ich nicht Zentralbanker bin», antwortete Koch. Er hat seinen Schalk nicht verloren.
Ich find die Aussage kritisch, weil so vieles unklar. Bei uns werden auf Pausenplätzen die Gruppen angesprochen, wenn sie mehr als 5 Kinder umfassen. Man bezieht sich da dann auch auf die 5er Regel. War das also gar nicht richtig?