Keiner liebt den «Güsche» mehr als Fredi Hallauer. Gemeinsam mit fünf anderen Musik-Pionieren stampfte er 1977 das allererste Gurtenfestival aus dem Boden. Seither geht er mit seiner Frau Kathrin jedes Jahr auf den Gurten – und zwar von der ersten bis zur letzten Band. Unglaublich: In all den Jahren hat er nur eine Ausgabe verpasst. Hallauer ist zwar ein Festival-Oldie: «Dort oben bin ich aber kein alter Sack, sondern eine Legende. Wir werden immer wieder von jungen Leuten erkannt und gefeiert. Das geniesse ich.»
Auch nach 36 Ausgaben leuchten seine Augen, wenn er von seinen Festival-Erlebnissen erzählt. Das sind die besten und schrägsten Episoden aus Fredi Hallauers Gurten-Historie:
Kaum zu glauben: Bei der allerersten Ausgabe des Gurtenfestivals 1977 schenkten die Veranstalter offiziell keinen Alkohol aus. «Dafür wurde gekifft, was das Zeug hält. Leute nahmen ganze Hasch-Platten mit. Über dem Gurten lag eine dichte Hanfwolke», erinnert sich Hallauer. In den Hippie-Anfängen ging es auf dem Hausberg rund zu und her. «Damals gab es gleich fünf Konzertbühnen. Es wurde bis tief in die Nacht getanzt».
7000 zahlende Besucher pilgerten bei der ersten Ausgabe auf den Gurten. Der 2-Tagespass kostete damals gerade einmal 28 Franken (heute CHF 195). Fast alle Musiker seien gleich das ganze Wochenende am Festival geblieben. So entstanden viele spontane Sessions. «Auf der Treppe des Gurten-Hotels versammelten sich auf einmal die Geiger von allen Bands, spielten stundenlang und becherten», so der frühere Sozialarbeiter. Denn ganz ohne Alkohol ging es trotzdem nicht. So zogen Anhänger des Berner Musikclubs «Mahogany-Hall» ein Wägeli mit Bierfässern auf den Berner Hausberg und schenkten Gerstensaft an die durstigen Festivalbesucher aus.
Welches war der beste Act, den Hallauer auf dem Gurten je erlebt hat? Der Musikkenner muss trotz den hunderten Konzerten nicht lange überlegen. Es waren Nick Cave und Kylie Minogue, die 1996 gemeinsam auf die Gurten-Bühne stiegen. «Es schiffte und windete zwar wie blöd. Kylie klebte ihr Kleid auf der Haut, als die beiden den Song ‹where the wild roses grow› anstimmten. Der Gig war einfach magisch», so Hallauer.
Ebenso unvergesslich ist für den Festival-Oldie das erste grosse Konzert von Patent Ochsner auf der Hauptbühne. «25'000 sangen ‹Scharlachrot›. Band und Publikum vereinten sich regelrecht. Ein ganz grosser Moment in der Geschichte des Gurtenfestivals».
Der gebürtige Basler ist die Gemütlichkeit in Person. Richtig in Wallung gerät Hallauer aber, wenn Bands nicht vollen Einsatz geben. «Mich regt es auf, wenn die Künstler bei ihrem Auftritt bloss ihr Pflichtprogramm abspulen und einfach ‹Stütz› machen wollen.»
Als nervigste Band nennt er die Gorillaz, die sich bei einer Performance hinter einem «Duschvorhang» versteckten, wie es Hallauer ausdrückt. «Man sah gar nicht, wer spielt. Da kann ich gleich zu Hause bleiben und eine CD hören.»
Hallauer ist mitnichten ein «Früher war alles besser»-Rentner. Auch in den Anfangszeiten habe es mit 20'000 Besuchern ein grosses Gedränge und lange Wartezeiten gegeben. Ein Trend passt ihm nicht: «Als Gurten-Oldie sind mir die vielen Party-Zelte und die Dauerbeschallung ein Dorn im Auge.» Im früheren Party-Dome «Rock the Block» seien viele Drogen gespickt worden, das habe es in den alten Zeiten nicht gegeben.
Pubfest statt Musik-Festival: Auf dem Gurten werde viel mehr gebechert als in den Anfangsjahren. Ein Bild hat sich bei Hallauer eingebrannt. «Einmal lagen zwei halbnackte Modis ‹chlapfum› im strömenden Regen am Boden. Sie waren völlig unterkühlt und mussten regelrecht eingesammelt werden.»
In den Anfängen habe der Gurten als Folk-Festival noch einen politischen Anstrich gehabt. «Damals traten Umweltaktivisten wie Franz Hohler bei uns auf».
Vier Tage Gurtenfestival am Stück. Selbst für Mitzwanziger eine echte Herausforderung. Auch mit seinen 68 Jahren ist Fredi Hallauer wenn immer möglich beim ersten Konzert des Tages auf dem Hügel und bleibt bis zum letzten. « Nur die DJ-Acts auf der Hauptbühne schenke ich mir, das brauche ich nicht mehr.» Aber wie hält er den Konzert-Marathon durch? Er trinke während des Tages keinen Schluck Alkohol. Weiter könne er sich im Backstage-Bereich gut erholen. «Meine Leidenschaft für Musik gibt mir extrem viel Energie.»
Wie dröhnt sich Fredi Hallauer zu? Der Pensionär genehmigt sich abends ein paar Bierchen und einen Caipirinha. «Ich trinke nicht mehr viel, ich kann keinen Kater mehr gebrauchen.» Vielmehr lasse er sich durch die Musik berauschen.
In den 1970er-Jahren sei er aber schon mal «versumpft» und habe natürlich gleich auf dem Gurten übernachtet. Dann und wann habe er als Mitorganisator sogar sein Funkgerät abgestellt. «Sie suchten so per Funk nach mir. Vergeblich», sagt Hallauer und schmunzelt.
Knutschen ohne Ende: Der Gurten mutiert während des Festivals zum Liebeshügel. Wer glaubt, dass sich Fredi Hallauer auf dem Berner Hausberg so richtig ausgelebt hat, der täuscht sich. Seine Frau Kathrin traf er bereits 1975, also zwei Jahre vor dem ersten Festival. Auch sie half bei der Organisation der ersten Folk-Festivals mit. «Seither gehen wir immer zusammen auf den Gurten». Mit dabei ist auch die jüngere der Töchter. «Sie ist natürlich mit ihren eigenen Leuten da, wir sehen uns aber hin und wieder.»
Fredi Hallauer ist auf Social Media fitter als viele jüngere Festivalbesucher. Auf Instagram postet er von jedem Konzert ein Bild und markiert die Musiker. «Instagram ist mein Kanal, um mit den Bands direkt zu kommunizieren. So bekomme ich wieder Einladungen an Konzerte.»
Auf seinem Blog schreibt er zudem Konzertkritiken und veröffentlicht Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern. Diese werden übrigens von einem neuseeländischen Radio gesendet, welches ein Kollege des Musik-Liebhabers betreibt.
Ob Gurten, «Moon&Stars» in Locarno oder «Stars of Sound »in Murten. In den Sommermonaten pilgert Hallauer von Festival zu Festival. Sein Favorit ist und bleibt natürlich der Gurten. Was macht für ihn die Magie des «Güsche» aus? Einerseits kenne er natürlich nirgendwo mehr Leute als auf dem Gurten. Anderseits sei die Stimmung einfach einmalig. «Was gibt es schöneres als einen Sonnenuntergang am Gurtenfestival. Dazu ist das hügelige Gelände wie eine natürliche Arena.»
Mit seinen 68 Jahren hat Hallauer noch lange nicht genug vom Gurten. Er fühlt sich fit für viele weitere Ausgaben. «Wenn nötig, werde ich einmal mit dem Rollstuhl auf den Berner Hausberg gehen.»
Sorry aber da muss ich dann doch ziemlich schmunzeln, und den ansonsten sehr sympathischen Herrn etwas Ahnung absprechen.
Es sei ihm verzeiht.