Um die 14'000 Läuferinnen und Läufer stehen in rund vier Wochen am Luzerner Stadtlauf am Start. Was die meisten von ihnen wohl nicht wissen: Mit der Anmeldung zum Lauf haben sie eingewilligt, dass ihre Kontaktdaten an Drittfirmen weitergegeben werden. Dazu gehören nicht nur Firmen, die im Anschluss an den Lauf persönliche Fotos und Läufervideos verschicken, sondern auch die Krankenkasse ÖKK, welche den Lauf sponsert.
Die Versicherung darf die Läufer im Anschluss an den Lauf gezielt mit Werbung eindecken. Was sich die ÖKK die Läuferdaten kosten lässt, wollen die Veranstalter auf Anfrage nicht offenlegen. Die Krankenkasse dürfe die Daten aber nur «einmalig und zu einem genau bezeichneten Zweck» brauchen, betont der Veranstalter. Und sie kontaktiere nur Personen, von denen ein Einverständnis für die Kontaktaufnahme bestehe.
Nur – dass sie ihr Einverständnis gegeben haben, dürfte den wenigsten Läufern bekannt sein. Bei der Anmeldung müssen sie zwar den Datenschutzbestimmungen zustimmen. Diese umfassen aber über 12 000 Zeichen, was eine ganze Zeitungsseite füllen würde. Kaum jemand wird sich im juristischen Dschungel bis zum Punkt 10, «Weitergabe von Daten an Drittfirmen», durchkämpfen. Dort ist denn auch erst vermerkt, dass man per Mail oder Post die Datenweitergabe verbieten könnte. Gerade einmal fünf Läufer pro Jahr machen davon Gebrauch.
Ähnliche Bestimmungen wie der Luzerner Stadtlauf kennen viele grosse Schweizer Läufe. Beim Schweizer Frauenlauf in Bern mit ebenfalls rund 14 000 Läuferinnen etwa heisst es: «Die Teilnehmerinnen willigen ein, dass der Veranstalter die von ihnen angegebenen Personendaten zu Marketingzwecken bearbeiten und an Dritte weitergeben darf (beispielsweise Zusenden von Prospekten, Kontaktaufnahme durch Call Center).» Auch beim Frauenlauf fliessen die Daten an die Krankenkasse, welche den Anlass sponsert, in diesem Falle die KPT.
Diese darf die Daten für den eigenen Direktversand und andere Marketingzwecke benützen. Auch hier wird der Datenfluss über das Sponsoring abgegolten, zu einem nicht kommunizierten Betrag. Und auch hier gibt es – wohl aufgrund des Unwissens – kaum Läuferinnen, welche die Datenweitergabe verbieten.
Andere Veranstalter, wie der Grand Prix von Bern oder die Sola Stafette in Zürich, verzichten gemäss eigenen Angaben auf eine Datenweitergabe, obwohl auch sie sich von Krankenkassen sponsern lassen.
Cécile Thomi, Leiterin Recht beim Konsumentenschutz, erstaunt die Zusammenarbeit der Krankenkassen mit den Laufveranstaltern nicht. «Läufer sind zum grossen Teil gesundheitsbewusst und fit. Das ist für die Krankenkassen ein ideales Becken, um neue Kunden zu angeln», sagt sie. Dasselbe gelte für Benutzer von Fitness-Trackern, Ernährungsblogs oder Sport-Apps. «Wenn hier eine Krankenkasse als Sponsor auftritt, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass Daten fliessen.»
Bedenklich sei dabei vor allem, sagt Thomi, dass das Vorgehen der Kassen vermutlich völlig legal ist. «Wenn auf Seite 25 der Datenschutzbestimmungen rechts unten und ganz klein vermerkt ist, dass die Daten zu Marketingzwecken weitergeleitet werden können, geht man davon aus, dass der Konsument sein Einverständnis gegeben hat. Obwohl die meisten sich dessen kaum bewusst sind.»
Dass die Vertragsmonster kaum gelesen werden, zeigte eindrücklich ein Aprilscherz der Firma Gamestation. Wer am 1. April 2010 beim britischen Spielehändler einkaufte und den Vertragsbedingungen zustimmte, übergab dem Unternehmen damit die Besitzrechte an seiner Seele. Fast 90 Prozent der Käufer waren damit einverstanden.
Gamestation verzichtete in der Folge freilich auf die Übernahme der 7500 Seelen. Eine britische Studie legte offen, dass Datenschutzbestimmungen im Schnitt gerade einmal eineinhalb bis zwei Sekunden lang gelesen werden. Würden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen alle tatsächlich studiert, müsste jeder Mensch rund drei Monate im Jahr nichts anderes tun – Tendenz steigend.
Der Konsumentenschutz fordert bei der laufenden Revision des Datenschutzgesetzes deshalb Anpassungen. Statt seitenlangem Juristenfutter sollen die Konsumenten in einer kurzen, einfach formulierten Übersicht die wichtigsten Punkte vorgelegt bekommen – mit der Option, einzelne davon auszuschliessen.
Ob dies überhaupt gewünscht ist, ist eine andere Frage. Zumindest wenn ihnen ein finanzieller Vorteil winkt, sind viele Konsumenten bereit, nicht nur ihre Kontaktangaben, sondern auch Gesundheitsdaten preiszugeben. Eine aktuelle Umfrage des Vergleichdienstes Comparis zeigt, dass bereits heute 9 Prozent der Schweizer ihre Angaben aus Smartphone oder Fitnesstracker an ihre Versicherung liefern. Gegen eine Belohnung von 50 Franken würden gar 70 Prozent ihre Daten offenlegen.