An der Zürcher Kreuzung Eidmattstrasse-Böcklinstrasse stehen zwei alte paar Ski. Ein Passant, dem die illegal entsorgten Latten ein Dorn im Auge sind, hat ein Bild von ihnen auf die Internet-Plattform «Züri wie neu» hochgeladen. Eine Stunde später antwortete die Abteilung Entsorgung und Recycling, der «gemeldete Abfall» werde abgeholt.
Über den Infrastrukturschadenmelder «Züri wie neu» können seit 2013 Schlaglöcher, Graffiti, überwuchernde Rabatten, tropfende Hydranten oder beschädigte Tramhäuschen gemeldet werden. Bisher kamen über 8900 Beanstandungen zusammen. Der Stadt geht es bei der App um Bürgernähe. Statt die Faust im Sack zu machen, wenn eine alte Waschmaschine illegal deponiert wurde, schiesst der Bürger ein Foto und übermittelt mit dem Smartphone die Position des Ärgernisses. Je nach Schadenskategorie landet der Hinweis bei der Müllabfuhr, beim Elektrizitätswerk, bei der Dienstabteilung Verkehr, bei der Immobilienverwaltung, bei den Trambetrieben, beim Tiefbauamt, bei den Stadtgärtnern oder bei der Fachstelle Graffiti.
Die App hilft die Stadt sauber zu halten und führt zu mehr Sicherheit, etwa wenn auf diesem Weg ein gefährliches Verkehrshindernis aus dem Weg geräumt werden kann. Die Anwendung gibt aber auch tiefe Einblicke in das Seelenleben des Stadtzürchers. Aufschlussreich ist etwa die allererste Meldung vom 14. März 2013. In Zürich-Höngg nahe des Limmatufers «steht ein Signalpunkt vor», meldete ein Passant, dem diese Unebenheit aufgefallen ist. Damals antwortete die Verwaltung noch lapidar, der Schaden werde «in den nächsten Wochen oder Monaten» behoben, heute nennt die Stadt meist einen konkreten Zeitpunkt. So werden die zwei Paar Ski, die an der Kreuzung Eidmattstrasse-Böcklinstrasse illegal deponiert wurden, am nächsten Dienstag eingesammelt, wenn sich nicht vorher jemand die Sammlerstücke unter den Nagel reisst.
Ein anderer Einwohner beschwerte sich über skelettartige Bäume und fragte: «Warum wurden diese Stämme nicht gleich mit entfernt, als man die Äste stutzte?» Die Stadt klärte den Anwohner darüber auf, es handle sich um Säulenpappeln, und versprach, dass sie bald wieder austreiben würden. Ein weiterer Nutzer der App fragte, wann die Tramhaltestellen endlich rauchfrei würden.
Die allermeisten Einträge auf «Züri wie neu» betreffen tatsächliche Mängel. Schlaglöcher, Baustellen oder defekte Verkehrsschilder führen die Liste der Beschwerden an. 2827 Einträge gibt es zum Thema «Strasse/Trottoir/Platz». Ähnlich oft motzen Zürcher über unsachgemäss entsorgten Abfall (2309 Einträge). Auf der Website zueriwieneu.ch kann jeder Eintrag eingesehen werden.
Nicht ersichtlich ist dort, wer hinter den Einträgen steckt. Die Forschungsstelle für digitale Nachhaltigkeit der Universität Bern hat nun eine Nutzerbefragung durchgeführt. Aus ihr lässt sich ein Bild des typischen App-Nutzers erstellen. Er ist 50 Jahre alt, männlich, hat einen Hochschulabschluss und arbeitet im öffentlichen Dienst. 76 Prozent der Online-Nörgler sind Männer. Zwei Drittel der Nutzer haben eine Hochschule oder eine Universität besucht.
Besonders oft melden Beamte Mängel im öffentlichen Raum. Jeder dritte Benutzer der «Züri wie neu»-App arbeitet im öffentlichen Dienst, obwohl in der Stadt Zürich bloss jeder Fünfte beim Staat angestellt ist. «Staatsangestellte engagieren sich offenbar besonders häufig für die Ordnung auf Zürichs Strassen», sagt Fachstellenleiter Matthias Stürmer.
Als Motivation für ihre Beanstandung gaben die allermeisten Nutzer an, der Stadt und ihren Bewohnern «etwas zurückgeben» zu wollen. Wer gedacht hat, die gleichen Nörgler füllten die Website am Laufmeter mit Reklamationen, liegt übrigens falsch. Pro Monat kommen etwa 50 neue Nutzer hinzu. Und dies, obwohl die Stadt für die Anwendung kein Marketing betreibt. Die App ist ein Erfolg. Die Nutzer geben ein positives Feedback. Achtundachtzig Prozent der Befragten waren mit der Anwendung zufrieden bis sehr zufrieden.
Die städtischen Mitarbeiter, welche die Beschwerden entgegennehmen, waren anfangs weniger begeistert. In einer internen Umfrage aus dem Jahr 2014 sagten 80 Prozent der befragten Beamten, die Anwendung passe nicht zu den bestehenden Arbeitsprozessen und führe zu Mehraufwand. 70 Prozent gaben an, die Schlaglöcher und Schmierereien wären auch ohne App gefunden worden.
Die Stadt reagierte auf die Kritik mit Änderungen im Ablauf. Inzwischen interessieren sich auch andere Städte für die «Nörgler»App. In St.Gallen gibt es bereits einen Schadenmelder, Bern und Luzern diskutieren über eine eigene App.
Jeder regt sich über Blockwarte auf, die auf der Gemeindeverwaltung reklamieren, wenn der Schneepflug zwei Minuten zu spät durchgefahren ist. Aber diese App ist nun wirklich keine schlechte Sache, da die Hinweise dort ankommen, wo sie hin gehören und so nicht unnötig Ressourcen binden, sondern zur Verbesserung der Stadt beitragen können.