Kaum sind die Pilotprojekte zur Legalisierung von Cannabis in diversen Schweizer Städten gestartet, wird in Bern bereits über einen nächsten Schritt diskutiert. Das Parlament der Stadt Bern hat kürzlich einem Vorstoss zugestimmt, der zum Ziel hat, «einen wissenschaftlich begleiteten Pilotversuch zum kontrollierten Verkauf von Kokain» umzusetzen. Suchtmediziner Thilo Beck erklärt, welche Folgen die Legalisierung von Kokain hätte - und sagt, wer die Droge überhaupt konsumiert.
Wie stark ist der Kokainkonsum hierzulande verbreitet?
Thilo Beck: Im Vergleich zu anderen Ländern wird in der Schweiz sehr viel Kokain konsumiert. Wir zählen zur Spitzengruppe weltweit. Soweit wir sehen können, bleibt der Konsum allerdings stabil.
Wer konsumiert Kokain?
Das hat sich über die Jahre sehr verändert - wohl auch wegen dem Preis und der Verfügbarkeit. Kokain wurde immer günstiger und ist über perfekt organisierte Dealernetze überall und jederzeit erhältlich. Wir sehen, dass Kokain über alle Schichten hinweg konsumiert wird. Vom Banker bis zum Handwerker verteilt sich der Konsum auf alle Bevölkerungsgruppen. Meist geht es darum, das Erleben zu intensivieren und zu vertiefen - sei dies im sozialen Bereich oder beispielsweise auch beim Sex.
Andere wiederum setzen Kokain bei der Arbeit ein, weil sie dadurch kurzfristig leistungsfähiger werden. Die meisten Menschen, die Kokain konsumieren, tun dies in einem kontrollierten Mass, sie sind dem Stoff nicht per se ausgeliefert. Da ist es also ähnlich wie beim Alkohol. Einer Minderheit allerdings fällt es schwer, das Ausmass des Substanzkonsums im Griff zu halten.
Dann ist Kokain gar nicht so gefährlich?
Doch, Kokain ist gefährlich. Aber auch Alkohol und Tabak sind gefährlich. Und doch konsumieren es die Menschen. Unser Ziel muss sein, Informationen zu einem möglichst risikoarmen Gebrauch für alle Konsumenten und Konsumentinnen zu verbreiten, die gefährdeten Personen so früh wie möglich zu erkennen und sie therapeutisch optimal zu unterstützen, um den Schaden zu minimieren.
Wie beurteilen Sie aus fachlicher Sicht eine Legalisierung von Kokain?
Ganz generell muss man sagen, dass Menschen schon immer psychoaktive Substanzen konsumiert haben - unabhängig davon, ob diese verboten sind oder nicht. Es gab in der Geschichte viele Experimente, etwa die Prohibition oder das Verbot von Tabak, als dieser neu nach Europa kam. Es gab sogar einmal Versuche, Kaffee zu verbieten. Doch das alles hat nie funktioniert. Daraus ziehen wir Lehren: Verbote ziehen immer grössere Schäden nach sich als eine gesteuerte, kontrollierte Abgabe.
Dann sind Sie also für eine Legalisierung von Kokain?
Legalisierung ist ein unklarer Begriff. Er sagt noch nichts darüber aus, wie die Substanz an die Leute gebracht werden soll. Es heisst einfach, dass Besitz und Konsum der Substanz nicht mehr illegal und demnach nicht mehr polizeilich strafbar sind. Entscheidend ist, wie die Abgabe beziehungsweise der Verkauf solcher Substanzen reguliert werden soll. Da gibt es viele Hebel. Diese müssen genau definiert und vorsichtig justiert werden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Man sieht das etwa beim Tabak und dem Alkohol. Diese Substanzen sind in der Schweiz klar zu wenig reguliert. Beispielsweise wird Werbung dafür gemacht und die Preise sind zu tief. Eine Rolle spielen auch Ort, Menge und Zeit der Verfügbarkeit, die Beratung sowie die Art der Kontrolle bei der Abgabe. Diese Regulierungsmassnahmen müssen für jede Substanz sinnvoll definiert werden.
Gibt es da eine Faustregel? Je härter die Droge, desto strikter die Massnahmen?
Man muss bei allen Substanzen testen, welche Massnahmen Sinn ergeben. Das lässt sich im Voraus nicht so genau sagen. Wir empfehlen, bei solchen Pilot- und Forschungsprojekten sehr vorsichtig zu starten. Zu Beginn sollte man eher streng regulieren. Dann kann man schauen, wo man allenfalls mehr Freiheiten gewähren kann. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn man in einem Regulierungsmodell zu liberal einsteigt, dann ist es schwierig, wieder anzupassen auf ein strenger reguliertes Level.
Besteht bei einer Legalisierung nicht die Gefahr, dass noch mehr Menschen Kokain konsumieren?
Wir wissen von anderen Experimenten, dass der Konsum dieser Substanzen nach der Legalisierung nicht signifikant zunimmt. Das hat sich beispielsweise in den Niederlanden gezeigt, nachdem dort die Coffeeshops aufgingen. Heisst: Wer Kokain konsumieren will, der tut es jetzt schon. Das ist auch auf den sehr gut organisierten Schwarzmarkt zurückzuführen. Die Versorgung ist immer gewährleistet - auch weil der Markt wegen der hohen Margen für die Dealer sehr interessant ist.
Was wären denn die Vorteile einer kontrollierten, legalen Abgabe?
Wenn die Produktion und die Abgabe kontrolliert erfolgen, können wir die Qualität des Stoffs überprüfen und schauen, dass keine unnötig gesundheitsschädigenden Substanzen enthalten sind. Das ist auf dem Schwarzmarkt ein grosses Problem: Wir sind immer wieder schockiert, wenn wir sehen, was dort alles verkauft wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass Konsumenten und Konsumentinnen seriös beraten werden können bezüglich eines möglichst sicheren, verantwortungsvollen Gebrauchs und dass die Personen mit riskantem Konsum frühzeitig erkannt und mit therapeutischen Angeboten erreicht werden können.
Würde eine auf die Schweiz beschränkte Legalisierung überhaupt funktionieren?
Das ist schwierig zu beantworten. Ich bin aber überzeugt, dass es nötig und sinnvoll ist, im Rahmen von Forschungs- und Pilotprojekten Erfahrungen zu sammeln. Auf diesem Weg wurde übrigens auch die Heroinbehandlung in der Schweiz eingeführt. (aargauerzeitung.ch)
Hopp Schwiiz!
*fahneschwenk